Seite:Die Gartenlaube (1881) 831.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

aber im Allgemeinen unschöner, und nur selten sieht man unter den Männern und Frauen ein hübsches Gesicht. Ihren vorherrschenden Charakterzügen nach sind sie träge und gutmüthig, mit einem starken Beisatz von Verschlagenheit. Anerzogen ist ihnen eine sehr abergläubische Bigotterie, welche sie dermaßen unter dem Krummstabe der Geistlichkeit hält, daß der katholische Pfarrer unumschränkt die Gemüther des Volkes beherrscht.

Hierzu kommt leider bei Männern wie Frauen die unselige Trunksucht, welche sie physisch wie moralisch ruinirt. Auf das Nothdürftigste beschränkt der polnische Bauer seine Nahrung, und muß sie darauf beschränken, weil er sein Gut, seine Aecker nicht durch Arbeit zu verbessern sucht, sondern nur die notwendigste Bestellung des Bodens in althergebrachtem Schlendrian vornimmst; darum sind auch die Erträge seines Bodens auf ein Minimum beschränkt. Als Nahrung dienen ihm hauptsächlich Kartoffeln und „Shur“. Letzterer besteht aus Sauerteig, in welchen Speckstücke geworfen werben und der dann unter Wasserzuguß gekocht und gierig verschlungen wird. Gut zubereitet soll das Gericht nicht so übel munden, hier aber läßt die Zubereitung meistens an Sauberkeit zu wünschen übrig.

Es ist wahr, der Boden jener Gegenden ist nicht besonders ergiebig, aber seine Dürftigkeit steht in keinem Verhältniß zu der Armuth des polnischen Bauers. Wir haben in Deutschland, ja in Schlesien selbst schlechtere Ackerdistricte, wo dennoch mit Fleiß und zäher Ausdauer dem Boden die doppelte, ja vierfache Frucht abgerungen wird, als sie der Wasserpole auf seinem Acker erntet. Seit drei Jahrzehnten ist er freier Bauer auf seiner Scholle. Aber was wollen dreißig Jahre der Freiheit bedeuten im Vergleiche mit der Jahrhunderte hindurch fortgesetzten feudalen und priesterlichen Herrschaft, die dieses unglückliche Volk zur Thierheit herabgedrückt, um es desto bester knechten und ausbeuten zu können! Uebrigens hat sich der Segen der fortschreitenden Zeit trotz aller Bollwerke der Hierarchie auch hier nicht ganz verleugnet; denn trotz Allem ist im letzten Jahrzehnt vielfach ein Aufraffen des polnischen Bauers in Oberschlesien zu bemerken gewesen; Mancher fängt bereits an, den Werth des fleißigen Schaffens, der Ordnung und Cultur einzusehen. Es geschieht das überall, wo deutsche Belehrung und deutsches Beispiel ihren Einfluß üben. Aber neben der Priesterherrschaft steht diesen menschenfreundlichen Bestrebungen ein in Oberschlesien alteingesessenes Uebel im Wege: der schamloseste Wucher, durch welchen jahraus jahrein viele Bauern von ihren Höfen vertrieben werden. Gelegentlich der letzten Hungersnot in Oberschlesien ist das gewissenlose Treiben der dortigen Wucherer in erschreckender Weise aufgedeckt worden, und die Thatsachen sind so allgemein bekannt, daß wir auf dieselben wohl ausführlicher nicht einzugehen brauchen.

Zur richtigen Beurtheilung der Ursachen und Folgen der trostlosen Lage dieses Bauernstandes ist kaum etwas dienlicher als sich das Bild eines merkwürdigen und interessanten Gegensatzes zu vergegenwärtigen, der sich auf diesem traurigen Boden herausgebildet hat. Schreitet man eine halbe Stunde über die Industriestadt Gleiwitz hinaus, so leuchtet einem mitten aus dem Elend und Schmutz jener verkommenen Bevölkerung, aus der öden, von dem Rauch unzähliger Hüttenwerke geschwärzten Wüste Oberschlesiens, dieser Brutstätte wiederkehrender Hungerseuchen eine Oase entgegen, die sofort den Blick gefangen nimmt: ein großes, freundliches Dorf, Schönwald genannt.

Noch strenger abgeschlossen von den polnischen Nachbarn als der Sachsenstamm im fernen Siebenbürgen von der slavisch-romanischen und magyarischen Umgebung, hat diese deutsche Colonie Oberschlesiens sich seit dem Jahre 1223 bis heute nicht nur erhalten, sondern auch voll die deutsche Sitte und den deutschen Sinn bewahrt. Nur durch Fleiß und Strebsamkeit ist die einst winzige Ansiedelung zu einer der reichsten Gemeinden Schlesiens geworden, und wenn irgendwo, so hat sich aus diesem Fleckchen Erde die Culturkraft des deutschen Elementes unwiderruflich bewährt.

In den Bewohnern des Dorfes sehen wir noch in geschlossenem Beisammenleben die Nachkommen jener deutschen Colonisten, welche vor sechs und einem halben Jahrhundert durch den Herzog Kasimir von Oberschlesien in's Land gerufen wurden, um die Urwälder desselben urbar zu machen. Die Fremdlinge kamen meist aus den reich bevölkerten Niederungen Sachsens und aus Mitteldeutschland in das noch so unwirthliche polnische Land. So ließ sich eine Anzahl Familien aus Meißen im Jahre 1223 in dem Boyezow nieder, wie die ganze mit Urwald bedeckte Gegend von dem Flüßchen Birawka bis zur Klodnitz bei Gleiwitz hieß. Theuerung und Hungersnoth trieben zu jener Zeit die arme Landbevölkerung Niedersachsens ostwärts.

Nachdem diese fleißigen Ansiedler in kurzer Zeit große Strecken des schönen Waldes ausgerottet hatten, gründeten sie Colonien, von denen die älteste (um's Jahr 1200) Deutsch-Zernitz war, welche aber in späteren Zeiten sich mit polnischen Elementen vermischte und nach und nach polonisirte. Unsere Meißener Landsleute dagegen nannten ihre Colonie Schönwald, den Namen ihres neuen Heims der schönen Waldgegend entlehnend.

Später (1258) gründete sodann Herzog Wladislaus von Oppeln das Cisterzienserkloster Rauden um durch deutsche Mönche die deutschen Colonisten in ihrer Culturaufgabe zu unterstützen, und schenkte außerdem mit dem Boyczow dem Kloster auch die darin liegenden Ortschaften, wodurch auch Schönwald demselben unterthänig wurde.

Hierbei sei jedoch bemerkt, daß die deutschen Colonisten (gleich den Siebenbürger Sachsen) von den Herzogen Schlesiens mit deutschem (sogenanntem Magdeburger) Recht belehnt wurden, wonach sie freie Männer auf der ihnen verliehenen, von ihnen dem Urwalde abgerungenen Scholle blieben und dem Stifte Rauden nur den üblichen Zehnten und den Grundzins entrichteten.

Die polnischen Bauern damaliger Zeit standen unter der Gerichtsbarkeit der Castellane (Landesverwalter); der von ihnen bebaute Grund und Boden war, wie schon gesagt, Eigenthum des erbangesessenen Adels, dessen Leibeigene sie waren. Als solche lebten sie fast rechtlos und waren den Launen ihrer Feudalherren so gut wie schutzlos preisgegeben. Außer den Spann- und Handdiensten die sie dem Gutsbesitzer leisteten, mußten sie dessen Jagdmeute füttern (Hunde, Falken etc.), die Dienerschaft und Couriere der Gäste ihres Herrn, sowie der Landesfürsten auf deren Reisen bewirthen und unentgeltlich Vorspann leisten, Getreide für die Besatzung der landesherrlichen Burgen liefern und andere Frohndienste leisten.

Daß unter solchen Verhältnissen dem polnisch-schlesischen Bauer wenig oder in schlechten Erntejahren nichts von der Bestellung des Ackers übrig blieb, welcher ihm nicht einmal gehörte, ist ebenso erklärlich, wie daß er unter solchen Seitenverhältnissen leiblich und geistig verwahrlosen mußte.

Ganz anders die deutschen Freibauern und deren Colonien! Unter dem besonderen Schutze der Landesherren oder der hauptsächlichsten Culturträger jener Tage der geistlichen Ordensstifte, kamen sie sehr rasch empor. und so blühte auch unser Schönwald bald zu ansehnlicher Stattlichkeit heran. Das waren freilich besonders glückliche Umstände. Sie würden jedoch nicht ausgereicht hoben, den Ort beinahe sieben Jahrhunderte lang, trotz mannigfacher schwerer Heimsuchungen, auf seiner Höhe zu erhalten und sein Gedeihen zu fördern, wenn nicht die kernige Art des urdeutschen Charakters seiner Bewohner, ihr Festhalten an deutscher Art und die Fernhaltung des umgrenzenden polnischen Elements hinzugekommen wären.

Ganz Oberschlesien ist überwiegend römisch-katholisch, und dieser Kirche gehören auch die Schönwälder seit jeher an. Der Umstand, daß sie einem geistlichen Stifte dieser Kirche unterthänig waren und daß unstreitig dieses Cisterzienserstift Rauden sein Wohltäter, sein Schützer und sein geistiger und weltlicher Rathgeber jeder Zeit gewesen ist, mag die biederen Bauern abgehalten haben, zur Zeit der Reformation dem Beispiele ihrer stammverwandten Meißener zu folgen und lutherisch zu werden. Das Religionsbekenntniß ist aber fast das Einzige, was sie mit ihrer polnischen Umgebung gemeinsam haben In allem Anderen unterscheiden sie sich wesentlich, schon in ihrem Aeußeren auffallend, von den Wasserpolen. Sie haben die deutsche Sprache und Meißener Mundart beibehalten, welche allerdings durch den steten geschäftlichen Verkehr mit den Wasserpolen wesentliche Veränderungen erlitten hat und ein Gemisch von sächsischem Deutsch und schlesischem Polnisch geworden ist, für Fremde schwer verständlich. In der Gegend von Gleiwitz wird diese Sprache die „Schönwälder Mundart“ genannt.

Ebenso haben sie in ihrem ganzen Haus-, Familien- und Gemeindeleben, bei all ihren Festen und Feierlichkeiten die Sitten und Gebräuche ihrer ursprünglichen Heimath beibehalten und gleichen

auch hierin, wie in fast allem Anderen, den Siebenbürger Sachsen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_831.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2022)