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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Herr, Sie möchten doch mal mit mir tanzen.“ „Was? Tanzen soll ich?“ Er nahm die Pfeife aus dem Munde voll verräucherter Zahnstummel und lachte in seiner kurzen Weise. „Du bist wohl ungesund im Kopfe, Fieken? Das müßte ja aussehen, als wenn ein alter Kettenhund hier ’ne Polka machen wollte. Krischan Schnabel, komm mal ran und nimm mir das Kind ab! Das wird ihm lieber sein, als ’n Tanz mit so ’nem lahmen Krippensetzer. Trinken? Ja, das will ich wohl; gieb mir mal das Glas her, mein Sohn! – Nein, ich setz’ mich nicht; das giebt Podagra in meine alten Knochen. Donner un de Knütt! Was für ’n guter Schnaps ist das – Lüchting, da kannst mir mal ’ne Buddel aus den Hof bringen, ich habe das gern zum Frühstück. – Juch! Was kreischt denn so? Das ist ja wohl Jechann Schuring? Komm mal ’n bischen näher, mein Sohn. Was machst Du denn hier auf dem Eise? Gehörst Du zu meiner Compagnie? Hab’ ich etwa für Dich die Musik bezahlt?“

„Ach, Herr Baron, wir wollten doch auch ein bischen tanzen –“

„Na, was in Hofdiensten stehst das soll’s meinetwegen, aber zu trinken kriegt die Art nichts von mir, Lüchting, und was die Tagelöhner sind, die nicht zu mir gehalten haben, die jagt Ihr herunter. Na, adschüs auch!“

„Adschüs, Herr! Und ’nen Tusch für unsern Herrn Baron!“

Der alte Herr ging langsam wieder zurück, wie er gekommen, und musterte das Volk auf dem Teiche.

„Nun hab’ ich meinen Willen, Pogge, und nun wollen wir mal sehen, ob Du Deinen auch haben sollst,“ knurrte er befriedigt zwischen den Zähnen.

Gegen die Dunkelheit zu wurde das Fest immer lebendiger und in Folge der genossenen Getränke gefährlicher für die Theilnehmer.

Die Alten legten sich in’s Mittel, aber es half nichts. Erst als ein Bursche dermaßen hingestürzt war, daß er besinnungslos fortgetragen werden mußte, leerte sich die Fläche wie mit einem Schlage.

Am folgenden Tage begann der Tanz auf’s Neue. Wieder dampfte und stampfte, musicirte und lärmte, trank und schwatzte es bis in den sinkenden Abend hinein.

Am dritten Tage wollte nichts mehr zu Stande kommen. Die Musikanten aus Demmin fuhren Nachmittags heim, und die Eisfläche blieb einsam; nur ein paar Kinder suchten Schleifen, Knöpfe und was sonst Verlorenes für Kinder Werth hatte, standen wohl auch schaudernd vor ein paar Blutspuren. In den Stuben schliefen die Theilnehmer mit wüsten Köpfen oder hockten fröstelnd an den Oefen umher. Tanzen um’s Tagelohn – es war doch ein unvergleichlicher Gedanke!




8.

Die Kosten des Festes auf dem Eise bezahlte Anne-Marie wieder „auf Borg“. Neujahr fuhr sie mit dem Onkel nach Branitz. um zu gratuliren – aber erst Nachmittags; denn Curt war Vormittags drüben gewesen. Als sie zurückkamen, fand der Baron ein Billet vor, in welchem Curt mit kurzen geschäftsmäßigen Worten den Alten aufforderte, sich bis zum Beginn des neuen Quartals nach einer anderen Wohnung umzusehen. Der Alte lachte höhnisch – das Billet wurde wieder, wie alles ihm fatale Papier, zum Fidibus verwandt.

Langsam dehnten sich die kalten Winterwochen. Klares Wetter, Schneegestöber, eisiger Nordost wechselten in fast regelmäßigem Turnus. Der Baron war viel auf der Jagd, auf Pelchower Revier und in der Nachbarschaft, während Curt die Einladungen ausschlug – für diesen Winter. Seltsam fügte es der Zufall, daß der alte Herr jetzt beständig im Spiel, dem unvermeidlichen Abschluß jedes Jagdfestes, gewann; er brachte Summen heim, welche die Auslösung seiner Compagnie bis zum Frühjahr sicher stellten, und man war versucht, die Abmachung, daß man ihm Verluste stillschweigend erlassen wolle, aufzuheben. Die Geschichte vom Pelchower „Eistanz im Tagelohn“ machte die Runde, soweit man den Alten kannte, und wurde weidlich belacht; sie bildete ein neues Blatt in der Geschichte seiner tollen Streiche.

Man fragte ihn wohl, was er zu thun gedächte, wenn der April käme; denn er traf nicht die geringsten Anstalten, sich um eine künftige Wohnstätte zu bemühen. Man war überzeugt, daß er wieder etwas Närrisches anstellen werde.

Auf jene Frage hatte er eine charakteristische Antwort:

„Denkt ihr denn, ich weiß heute schon, was ich morgen thun werde?“

Anne-Marie saß daheim, ernst und schweigsam, eine Andere als sie vordem gewesen. Sie las und stickte und nähte. Selten ging sie aus, etwa einmal zu Radmachers, um nach den Kindern zu sehen. Und immer hatte sie Furcht, sie könne Curt einmal dort treffen. Zuweilen hielt der Wagen, mit der Steinfigur Jochens im blauen Mantel auf dem Bock, bei dem Hause; dann fuhr sie in die Nachbarschaft, nach Langsdorf, nach Branitz, an einen oder zwei andere Orte, wo sie mütterliche Freundinnen gewonnen hatte. Am liebsten war ihr das stille Zimmer in Pelchow.

Von dort aus konnte sie Curt nebenan auf- und abgehen hören und den Laut seiner Stimme vernehmen. Die Tasten des Flügels berührte er nicht wieder. Sie bekam ihn sehr selten zu sehen; denn im Februar war er fast immer abwesend. Was sollte er auch in dem öden Pelchow beginnen? Was hätte ihn da fesseln können? Das geringe Maß Arbeit, welches die Jahreszeit zu verrichten erlaubte, konnte der Statthalter Drewes beaufsichtigen. Er fühlte wohl auch das Bedürfniß, die Zeit bis zum Frühjahr zu tödten, welche ihm Erlösung von dem auf dem Gutshause lastenden Banne und Freiheit der Bewegung bringen sollte.

Ach, was stand ihr danach bevor! Der Onkel wollte durchaus nicht zum Abzuge rüsten; er ließ sich nicht zureden und blieb dabei: er ginge freiwillig nicht fort. Welche Aufregungen würde es da noch zu ertragen geben!

Und immer näher rückte der gefürchtete Zeitpunkt. Anfang März kam ein häßlicher Thauwind mit Regen, welcher die Wege in Sümpfe verwandelte, dann ein kühler Ostwind bei grauem Himmel, welcher am Tage die Wege austrocknete, in der Nacht Frost brachte, endlich ein paar linde, fast schwül warme Tage. Das Holz der Bäume und Sträucher ward bräunlich und glänzend; die Knospen schwollen; der Rasen begann zu sprossen.

Es wurde Frühling in Pelchow.

Anne-Marie von Lebzow hatte schlaflose Nächte. Sie sah bleich aus, und ihre fröhlichen, glänzenden blauen Augen waren matt geworden. So nervös war sie, daß sie zusammenschrak wie ein Stämmchen, an das eine kräftige Faust geschlagen, wenn Dürten Schoritz unvermuthet an ihre Thür klopfte. Nicht der Gedanke, daß sie von Pelchow scheiden solle, nicht das Loslösen aus der Nähe Curt’s war es, was sie quälte – das Gespenst der Katastrophe, welche bevorstand, hatte in ihrer Seele Wohnung genommen und wuchs und marterte ihre Nerven, daß jedes andere Leid von dieser Pein verschlungen wurde.

Eine barbarische Zeit, so sagt man, erfand Gefängnisse mit beweglicher Decke. Jeden Tag rückte diese Decke ein paar Zoll tiefer; der Unselige, der unter ihr ahnungslos wohnte, merkte es, er konnte den sich verkleinernden Raum endlich mit dem ausgestreckten Arme messen. Tiefer, immer tiefer sinkt die Decke! Er kann sie mit den Händen fassen; er drängt und stemmt in verzweifelter Angst; noch drei Tage – dann liegt er, und das Ungeheuer über ihm wird ihn zerquetschen rettungslos, unerbittlich – –

Aehnliches empfand Anne-Marie von Lebzow.

In der letzten Märzwoche nahmen die Feldarbeiten auf Pelchower Grund und Boden wieder ihren Anfang. Curt hatte den Winter trotz des Arbeitermangels leidlich überstanden; jetzt aber sah er sich der Frage gegenüber: woher Arbeiter schaffen? Entweder die Getreuen des Onkels, oder neue, die am sichersten in Schweden zu haben waren – das Beides stand zur Wahl.

Der Zeitpunkt war gekommen, wo man den Versuch machen konnte, ob die „Compagnie“ des Onkels vernünftigen Vorstellungen zugänglich war. Man mußte den Leuten die Pistole auf die Brust setzen und er hatte sich zu diesem Zwecke die genauesten Instructionen vom Landrath geholt.

Curt nahm die Liste der Leute und ging zum Radmacher, den er fragte, ob er es auf sich nehmen wolle, die Widerspänstigen für morgen Sonntag, zu einer Versammlung in den Nachmittagsstunden aufzufordern? Er, Curt, werde gegen vier Uhr erscheinen, um ein ernstes Wort mit ihnen zu reden. Der Radmacher möge mit Mederow sprechen: das Schullocal sei wohl der geeignetste Zusammenkunftsort; der Baron erführe am besten vorher nichts von der Sache.

„Gern“ meinte der Radmacher. „Ich verrathe auch nicht vorher, was Sie ihnen sagen wollen, junger Herr. Die Neugier hilft treiben; ich kenne die Art hier“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_826.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)