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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Am 25. November 1781 wurde der neue Saal unter Hiller’s Direction mit folgendem Concertprogramm eröffnet:

 Erster Theil.
Symphonie von Joseph Schmitt.[1]
Hymne an die Musik von Reichardt.[2]
Concert auf der Violine („Schönste Tochter des Himmels“), gespielt von Herrn Berger.
Quartett mit dem ganzen Orchester von Stamitz.[3]
 Zweiter Theil.
Symphonie von J. C. Bach.[4]
Arie von Sacchini, gesungen von Madem. T. Podleska.[5]
Symphonie von E. W. Wolff.[6]

Der Concertsaal des Leipziger Gewandhauses.
Nach der Natur gezeichnet von Martin Laemmel.

Drei Symphonien an einem Abend! Man begann um fünf Uhr Nachmittags; das Billet kostete zwölf Groschen, und die Leistungen waren so glänzende, daß Mozart in der Probe zu seinem Concerte am 12. Mai 1789 den Musikern zurufen konnte: „Wenn die Herren so zu spielen vermögen, brauche ich mein Concert nicht zu probiren – denn die Stimmen sind richtig. Sie spielen richtig und ich auch; was braucht’s mehr?“

Wer in Leipzig auftreten wollte, dem war der Gewandhaussaal eine Nothwendigkeit, und was außerhalb dieser Räume concertirt wurde, das zählte nicht mit. Um aber das Verdienst zu verstehen, welches daran die Direction der Gewandhaus-Concerte hat, muß man auf die allgemeinen Concertverhältnisse Deutschlands um die Wende des Jahrhunderts einen Blick werfen. Man kann sagen: die in der Entwickelung begriffene neue Instrumentalmusik rang um ihr junges Leben. Ihre gutwilligsten Stützen waren die musikalische Collegien, die Dilettantenclubs und Liebhaberconcerte, die in den mittleren und kleinen Städten zu Hause waren und auf schwachen Füßen standen, wogegen in den großen Städten und an den Höfen die Virtuosen dominirten. Im Vergleiche mit jenen Liebhaberorchestern repräsentirten sie die vollendete Kunst im Gegensatz zum unfertigen Versuch, und kein Zweifel kann darüber bestehen, auf wessen Seite sich das Publicum wenden mußte, wo es zu wählen hatte.

Dieser Concurrenz zwischen Virtuosen und Orchester zu begegnen, hatte nun das Leipziger Gewandhausinstitut ein unfehlbares Mittel in seinem Saale, und es bediente sich desselben geschickt. Es ist höchst interessant, die verschiedene Erlasse und Maßregeln zu verfolgen, durch welche es diesen Kampf führte, aber das würde hier zu weit führen. Genug: die Virtuosen, welche in Leipzig auftreten wollten, benutzten den Gewandhaussaal, und die Besitzer dieses Saales, die Directorien des Instituts, sorgten dafür, daß durch die Virtuosen nicht die Theilnahme des Publicums für die Leistungen des Orchesters und des vocalen Ensembles geschwächt wurde. Einmal wurde der Saal den fremden Künstlern überhaupt versagt, dann nur unter der Bedingung zugestanden, daß dieselben vorher im öffentlichen Concerte aufträten. Auf diese Weise wurde das Leipziger Gewandhaus ein „Hort“ der höheren Instrumentalmusik, wie es öfters genannt worden ist, an dem die ganze Kunstgattung während der beiden ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts sich hielt.

Während wir um diese Zeit in anderen deutschen Städten die Symphonien sehr vernachlässigt finden, bilden sie in Leipzig den Stamm des Programms; das Publicum lernte diese Werke lieben. „Und wenn darüber nichts gedruckt würde,“ schrieb Beethoven in Bezug auf die Concerte an einen Leipziger Freund, „als die dürren Register, ich würde es doch mit Vergnügen lesen; man sieht doch, es ist Verstand darin und guter Wille gegen Alle.“

Das Orchester zeigte ursprünglich noch seinen Zusammenhang mit den alten Liebhaberconcerten. Ein Dilettant, Notarius Hofmann, trat noch in den Jahren 1805 und 1806 als Fagottsolist auf. Allmählich aber wurde das Orchester durch die Bemühungen der Direction und das Entgegenkommen der städtischen Behörde zu einer Künstlercorporation, die heute siebenzig und etliche Köpfe zählt. Im Jahre 1843 verdankte die Stadt der Concertdirection auch ein Conservatorium, das noch heute blüht.

Nach Hiller’s Abgang vom Dirigentenposten – er starb 1804 – übernahm denselben Johann Gottfried Schicht. Dieser, im Jahre 1753 zu Reichenau in der Lausitz als Sohn eines armen Leinwebers geboren, hatte eine den älteren Musikern gewöhnliche Carrière gemacht. Er war Alumnus des Gymnasialchors in Zittau gewesen und hatte dann die Universität Leipzig bezogen, um Jurisprudenz zu studiren. In seinen ersten Semestern schon kam er mit Hiller in Berührung, der ihn in das große Concert zog, wo er das Violinspiel und namentlich das zu jener Zeit sehr wichtige Amt eines Flügelaccompagnateurs versah. Er führte die

  1. Schmitt in Amsterdam, nachher Musikdirector in Frankfurt a. M.
  2. Reichardt, königl. preuß. Musikdirector, † in Halle an der Saale 1814.
  3. Wahrscheinlich Karl Stamitz in Mannheim, † 1801 in Jena.
  4. J. C. Bach, Sohn von Johann Sebastian Bach, der sogenannte Londoner Bach.
  5. Madem. Podleska war später in Prag als Frau Battka eine beliebte Sängerin und ließ mit ihrer Schwester dem wackern Hiller ein Monument in Leipzig errichten.
  6. Wolff starb 1792 als Capellmeister in Weimar.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_790.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2022)