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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

der Anlage, speciell bei der Umgrenzung jedes Hofes. Was nämlich für das Geesthaus die Hecke, das ist für das Marschhaus der Wassergraben, die Graft, welcher jeden Marschhof rings umgiebt. Doch darf sich der binnenländische Leser darunter ja nicht einen jener Wassergräben vorstellen, wie sie noch teilweise alte Herrenhäuser unserer Güter im übrigen Deutschland zu umgeben pflegen, sondern diese Gräben sind nur Glieder eines die ganze Marsch durchziehenden und das ablaufende Wasser aufnehmenden, von Binnen- und Außensielen regulirten Grabensystems. Dieser voll hohem nickendem Schilf durchwachsene Graben macht einen charakteristischen Eindruck, und derselbe steigert sich oft zu einem hochmalerischen, wenn die Graft sich unter den weit übergebogenen Bäumen des Gartens tiefbeschattet einherzieht.

So ist denn auch der Klubenstock der treue Begleiter des Marschbewohners (in der einen Marsch übrigens mehr als in der anderen), mit welchem er die Gräben gewandt überspringt, wenn er in seine Felder und Weidegründe hinausgeht.

Nächst dem Graben wäre nun noch die Warf zu nennen, ein künstlich gewölbter Hügel, auf welchem einst das Marschhaus errichtet wurde. Doch kann man dieselbe gegenwärtig nicht mehr als allgemeines Charakteristicum hinstellen, da sie mit den stärker werdenden Deichen allmählich mehr und mehr verschwunden ist und eigentlich nur noch in der Marsch Wursten sich im Profil der Landschaft hervorhebt.

Das dem Geesthause eigenthümliche Streben nach Isolirung findet sich in vollem Maße in der Marsch wieder. „Wie durch ein Sieb vom Himmel gestreut“ ist ein übliches, die Einzellage der Höfe bezeichnendes Bild. Doch gilt von der Marsch, was ich vom übrigen Niederdeutschland sagte, daß neben dem Einzelgehöft auch der Häusercomplex als Dorf, Flecken und Stadt vertreten ist, und zwar zeigen die einzelnen Marschen hier eine große Verschiedenheit.

In Hadeln und Kehdingen z. B. herrschen die Einzelgehöfte. In Osterstade dagegen drängen sich die Höfe von Köthnerwohnungen umgeben zu kleinen Dörfern zusammen, und zwar namentlich in der Nähe des Deiches, den endlosen Weideflächen freien Spielraum lassend. Im Butjadingerland wiederum finden wir ein Gemisch beider Arten, und zwar nach der Weser zu die Anhäufung zu Ortschaften, welche oft rein das Gepräge mitteldeutscher moderner Kleinstädte tragen, nach dem Jahdebusen zu das Vorherrschen des Einzelhofes.

Das Material beim Bau des Marschhauses ist schon längst kein gleichmäßiges mehr; denn während das Haus früher entsprechend dem Geesthause aus Fachwerk bestand, tritt jetzt bei jedem Neubau der massive Backsteinbau an dessen Stelle. Freilich – die Romantik muß auch hier wie anderwärts der praktischeren Neuerung weichen; denn so malerisch sich z. B. ein alter Butjadinger Berg dem Auge darbietet, einen so verzweifelt nüchternen Eindruck macht der moderne aus Backsteinen und Ziegeldach zusammengesetzte Kasten.

Durchaus gemeinsam allen Marschen ist der Bau zu ebener Erde. Dagegen ist das Herdfeuer auf der Diele nicht nur aus den neueren, sondern auch fast aus allen älteren Häusern verschwunden und meist nur da noch vorhanden, wo alte Leute die Sitten der „guten alten Zeit“ hartnäckig festhalten. Nicht in gleichem Maße hat aber mit der Entfernung des Herdfeuers und der Verwendung des Schornsteines ein Ersatz des Rieddaches durch ein Ziegeldach stattgefunden und abgesehen von den Neubauten überwiegt noch das erstere.

Den größten Unterschied zwischen dem Marschhause und dem Urtypus des Geesthauses einerseits und den Marschen unter sich andererseits bietet das Verhältniß der Diele zur Wohnstube, der Dönse des Geesthauses. Während das Verhältniß in letzterem ein gleichmäßiges ist, herrscht in den Marschen große Verschiedenheit, sodaß es schwierig ist, Allgemeines festzustellen.

Die Diele an sich hat im Großen und Ganzen ihre Physiognomie bewahrt, teilweise hat sie aber starke Abänderungen erfahren. Vollständig verschwunden ist die Howand, an deren Stelle der sogenannte „Windfang“ getreten ist, welcher eine Art Flur vor dem Wohnzimmer darstellt, und durch eine Thür, meist Glastür, mit der Diele in Verbindung steht, während die Seiteneingänge die Haupteingangsthür zu dieser Flur bilden. Der Grund für dieses Verschwinden der Howand liegt in der verschiedenen Bedeutung, welche die Wohnzimmer im Geest- und im Marschhause haben.

Während sie im ersteren, wie wir sahen, für das eigentliche tägliche Wohnbedürfniß eine untergeordnete Rolle spielen und die Howand der Schauplatz des täglichen Lebens ist, treten die Wohnzimmer in der Marsch in ihr volles Recht, ja erfreuen sich einer sorgfältigen, oft sogar luxuriösen Ausstattung.

Daß freilich die Einheit einer solchen Einrichtung oft noch sehr zweifelhaft ist, läßt sich denken.

So findet man z. B. folgende Einrichtung: Die eine Seite weist die Ausstattung einer kleinbürgerlichen Stube auf mit obligaten Häkeldecken auf Sopha, Tisch u. dergl. m. Die gegenüberliegende Wand aber wird von zwei der oben geschilderten Bettkästen eingenommen und zwischen den Schiebtüren dieser beiden steht ein kostbares Pianino, das jedem eleganten Salon zur Zierde gereichen würde.

Wie Howand und Wohnstube, so hat auch der Fruchtboden bedeutende Veränderungen erfahren, was bei dem großen wirtschaftlichen Abstand zwischen Geest und Marsch nahe liegt. Theils treten große Scheunen zum Hof hinzu, theils nehmen auch zwei, drei Stock hohe Fruchtböden innerhalb des hochgegiebelten Hauses die Frucht auf, theils wird sie sogar zu ebener Erde innerhalb der Diele aufgespeichert.

Von der Frucht zum Mist ist kein allzu weiter Sprung, und dieser wichtige Stoff der Landwirthschaft wird gleichfalls in sehr verschiedener Weise untergebracht – in der einen Marsch in hoch gewölbten Haufen, welche seitlings im Hofe untergebracht sind, oder weit ausgebreitet, fast teichartig theilweise mit Geländer umgeben, sodaß sie den ganzen mittleren Raum des Hofes einnehmen.

Endlich sei noch mit einigen Worten des Blumen- und Gemüsegartens Erwähnung getan, welcher beim niederdeutschen Bauernhaufe ebenso wenig fehlt wie beim oberdeutschen; er ist hier wie dort derselbe, wie er sich beim Geesthause auch fast durch nichts von dem oberdeutschen unterscheidet.

Anders dagegen in der Marsch! Theils macht sich hier auf das Deutlichste der holländische Einfluß in den verschnittenen Hecken, Bäumen und Laubgängen, sowie in der Anordnung der Blumenbeete geltend, theils nimmt er ganz im Gegensatze hierzu ein parkähnliches Aussehen an und bietet mit den breiten wasser- und schilferfüllten Gräben ein hochmalerisches Ensemble; hier tritt dann auch noch eine ganz absonderliche Eigentümlichkeit der Marsch hervor, indem die Bäume und die Vegetation des Gartens auf der Seite, wo sie dem Ansturm des Nordwest ausgesetzt sind, in den wunderlichsten Windungen und Krümmungen auf dem Boden hinkriechen, während erst die nächsten Colonnen allmählich eine aufrechte und stattliche Haltung gewinnen.

Vor dem Marschhause findet man die sehr verbreitete Verwendung des Windschutzes – eine Reihe von Bäumen, welche in holländischer Manier, flach verschnitten wie ein breiter, grüner Schirm, vor der Giebelfront mit den Wohnzimmern sich hinzieht. Doch kommt man in der Neuzeit mehrfach davon ab, da dieser Laubschirm wohl gegen den Wind schützt, zugleich aber auch den trocknenden Einfluß der Sonne hemmt. Die trocknende Sonne ist aber von großer Wichtigkeit; denn so behaglich und freundlich der Eindruck ist, den das Marschhaus macht – eines wird dem Oberdeutschen immer störend und unangenehm auffallen: der leichte Modergeruch, der in allen, namentlich den geschaffenen Räumen, und hier besonders wieder in den Ecken, herrscht und der auch nicht zu entfernen ist, da er aus der Bodenbeschaffenheit der Marsch entspringt. Doch würde man sich täuschen, wenn man gerade diesen Umstand für besonders gesundheitsschädlich ansähe: die Marschfieber hängen meist mit anderen Erscheinungen zusammen und sind überdies in der neueren Zeit in stetiger Abnahme begriffen. Eine specielle Schilderung der Höfe in den einzelnen Marschen muß hier des Raumes wegen unterbleiben, und verweise ich den Leser auf das vortreffliche Marschenbuch von Hermann Allmers, in welchem er eine anziehende Schilderung des Lebens und Treibers auf einem Marschhofe findet. (Vergl. auch „Gartenlaube“ 1866, Nr. 22; 1864, Nr. 32 und 51.)

Wer in seinem Empfinden nicht tief von der Eigenart des niederdeutschen Bauernhauses berührt wird, der muß von allen Göttern verlassen sein. Wenn ich so des Abends am Herdfeuer saß, wenn der Rauch rötlich angeleuchtet in leichten Wolken zu den Balken hinaufklomm und wie ein Schatten im Dunkel der Diele verschwand, in der man kaum etwas Anderes als

die im Widerschein des Feuers glänzenden Augen der Rinder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_631.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)