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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Rheins sich nicht knüpfen, so giebt es ja ein prophetisches Wort Leibnitzen’s, das deutsche Männer stets beherzigen mögen: „Wer den Schlüssel zu seinem Hause seinem Nachbarn, seinem Feinde, seinem formidabeln Feinde, einem Feinde, der eine ewige Ambition und Jalousie gegen das römische Reich unterhält und nimmermehr quittiren wird, überlassen muß, der kann gewiß nicht ruhig schlafen.“

Lina Schneider.




Die Wüstenmetropole am Nigerstrom.

Etwas von der Dr. Lenz'schen Expedition nach Timbuctu.
Von A. Woldt.

Zu den mächtigen Städten, welche der Muhamedanismus im Laufe der Zeiten am fruchtbaren Südrande der großen Wüste, quer durch Afrika, gründete, gehört auch die seit Jahrhunderten in den Schleier des Geheimnisses gehüllte Wüstenmetropole am Nigerstrom – Timbuctu.[1] Vor etwa achthundert Jahren gegründet, entwickelte sich die interessante Stadt in Folge der gewaltigen Energie der islamitischen Machtentfaltung im Mittelalter zu einem der bedeutendsten Culturcentren Afrikas, aber auch an dem stolzen Timbuctu hat sich das Wort vom Zahn der Zeit erfüllt – die Stadt ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Vor fünf oder sechs Jahrhunderten wußten trotz der großartigen Hindernisse, welche ihnen die wilde Wüstennatur entgegensetzte, die islamitischen Herrscher zwischen dem Nordrand von Afrika und den mohammedanischen Städten südlich von der Sahara fortdauernde Handelsbeziehungen zu unterhalten. Dieser lebhafte Verkehr erreichte seinen Gipfelpunkt unter dem mächtigen Sultan El Kahal in Marokko, von dem ein arabischer Schriftsteller berichtet, durch sein Machtgebot sei jenes gigantische Werk ausgeführt worden, welches in der Bepflanzung der ganzen ungeheuren Wegstrecke zwischen Marokko und Timbuctu mit hölzernen Pfählen bestand, die den hin und her fluthenden Handelskarawanen als Wegweiser dienten.

Es spricht sehr für die siegende Gewalt des Muhamedanismus, daß er Jahrhunderte hindurch seine Jünger so zu begeistern verstand, daß sie die Schrecknisse der Wüste kaum beachteten und daß die Sonnengluth der erhitzten Sandflächen und Thäler nichts vermochte gegen den glühenden Religionseifer der Anhänger des Propheten. Ungeachtet aller Sandstürme und Einöden wanderten namentlich die Gelehrten des Islam in großen Schaaren nach der „heiligen“ Stadt Timbuctu, um dort in tiefster Versenkung und Hingebung an Allah aufzugehen und die Grundlehren ihrer Religion zu berathen. Selbstverständlich mußte das „Athen der Wüste“ den „Ungläubigen“, gleichviel ob Christen oder Juden, für immer unzugänglich bleiben; als daher mit dem Erwachen des geographischen Forschungsgeistes Versuche gemacht wurden, die märchenhafte Stadt, welche eine Einwohnerschaft von 100,000 Personen in sich bergen sollte, der wissenschaftlichen Untersuchung zu erschließen, wurden alle dahin zielenden Bestrebungen durch den Fanatismus der Bewohner zurückgewiesen. Vergebens bemühte sich in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts der kühne Reisende Mungo Park die Stadt Timbuctu zu erreichen; denn einige Tagereisen von ihr entfernt, mußte er umkehren und arm und elend den Rückweg antreten, während er auf seiner zweiten heldenmüthigen Reise im Jahre 1805 den Hafenort von Timbuctu, nicht aber die Stadt selbst erreichte und bald darauf, stromabwärts fahrend, bei Bussa ein ruhmvolles, doch unfruchtbares Ende fand. Der erste Europäer, welcher Timbuctu erreichte, war der englische Major Alexander Gordon Laing, der sie am 18. August 1826 betrat, dann aber verjagt und einige Tagereisen landeinwärts ermordet wurde. Glücklicher waren später der Franzose Réné Caillié, welcher vierzehn Tage in Timbuctu verweilte, und nach ihm zwei deutsche Forscher, Dr. Heinrich Barth, der den Winter des Jahres 1853 und das Frühjahr 1854 daselbst zubrachte, sowie Dr. Oscar Lenz aus Leipzig, der vom 1. bis 17. Juli 1880 Timbuctu durchforschte. Die Beschreibungen unserer deutschen Landsleute sind das Einzige, was wir über die gegenwärtigen Verhältnisse der interessanten Nigerstadt mit Sicherheit wissen.

Dr. Lenz ist kein Neuling mehr in der Afrikaforschung; denn bereits in der Mitte des vorigen Jahrzehnts bereiste er im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland eine andere Region Afrikas, und zwar das äquatoriale Stromgebiet des Ogowe, aus dem er manche bemerkenswerthe Entdeckung und vor Allem die echten Eigenschaften eines Afrikareisenden, treue Hingebung an die Idee, zielbewußtes unentwegtes Streben, festes Handeln, sowie Klugheit und Geduld im Verkehre mit den Menschen mitbrachte. Nach seiner Rückkehr vom Ogowegebiet verwaltete er einige Jahre lang die Stelle als Adjunct an der kaiserlich königlich geologischen Reichsanstalt in Wien und rüstete sich, im Alter von noch nicht zweiunddreißig Jahren – Dr. Lenz ist am 13. April 1848 geboren – im Herbst 1879 zu seiner zweiten Reise im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft. Das Ziel derselben war ursprünglich das Atlasgebirge und die geologische Erforschung des Gebietes von Marokko; durch eine Reihe von günstigen Verhältnissen gelang es ihm jedoch, Timbuctu zu erreichen. Die Einzelheiten dieser ruhmvollen Expedition sind durch die Zeitungen überall bekannt geworden, und wir wollen dieselbe hier nur in ihren Hauptzügen verfolgen.

Das große Geheimniß, auf dem auch hier wieder, wie ehemals bei Barth, der Erfolg der Reise beruhte, bestand darin, daß Lenz den besondern Verhältnissen Rechnung trug und nicht nur seine Stellung als Christ verleugnete, sondern direct als Muselmann reiste. Ja, er wählte sogar eine ziemlich exponirte Stellung als Bekenner des Islam, indem er sich für den Leibarzt eines der angesehensten priesterlichen Gelehrten des Islam ausgab. Dieser Gelehrte war ein sogenannter Scherif, das heißt einer der wirklichen direkten Nachkommen des Propheten Mohammed, und genoß als solcher eine ganz außerordentliche Hochachtung bei allen seinen Glaubensgenossen. Den Augen der afrikanischen Welt stellte sich das Verhältniß also folgendermaßen dar: Der hochgelehrte Scherif Hadj Ali, ein naher Verwandter des in Damaskus lebenden berühmten alten Kriegshelden Abd el Kader, hat, den Vorschriften des Islam zufolge, die Wallfahrt nach der heiligen Stadt Mekka vollendet und auf der Weiterreise in Constantinopel, der Hauptstadt des Padischah, einen sehr tüchtigen türkischen Militärarzt „Hakim Omar ben Alian“ (Dr. Oscar Lenz) kennen gelernt und ihn wegen seiner Geschicklichkeit in seine Dienste genommen. Da nun der Scherif begierig ist, den Lehren seiner Religion zufolge, auch die übrigen heiligen Städte des Islam kennen zu lernen und überall mit den Gelehrten zu disputiren, so hat er beschlossen, auch Timbuctu zu besuchen und seinen Leibarzt dorthin in seinem Gefolge mitzunehmen. In Wirklichkeit verhielt es sich aber anders: Dr. Lenz hatte diesen Scherif Hadj Ali, der natürlich eine ebenso käufliche Natur war, wie alle Anderen, um den Preis von dreitausend Franken als Dolmetsch gemiethet, wofür dieser ihn unversehrt von Tanger bis Timbuctu und wieder zurück nach Tanger zu bringen hatte. Falls Jener dies nicht vollständig erfüllte, so erhielt er überhaupt kein Geld. Dr. Lenz verkleidete sich als Muselmann und trat als Leibarzt des Scherif auf. Es glückte ihm besser als Dr. Barth, sein Incognito zu bewahren; denn während Dieser in Timbuctu sofort als Christ erkannt wurde und deshalb während seines langen Aufenthalts endlosen Verfolgungen der fanatischen Einwohnerschaft ausgesetzt war, blieb das Geheimniß des Dr. Lenz, wenigstens äußerlich, bewahrt, und wenn die vornehmen Kreise in Timbuctu es auch zu durchschauen schienen, so ignorirten sie doch vornehm, daß sie darum wußten, und ließen unsern Landsmann unbehelligt. Zudem verstand es der Scherif, sich das Ansehen eines ganz besonderen Heiligen zu geben und den „Gläubigen“ durch ein barsches, selbstbewußtes Auftreten zu imponiren; er spielte seine Rolle mit solcher Ueberzeugung, daß er zuletzt selber daran glaubte.

Als die kleine Karawane des Dr. Lenz von Norden her über

  1. Wir verweisen bei dieser Gelegenheit auf das vor Kurzem im Verlage von A. Hartleben erschienene Werk „Die Sahara oder von Oase zu Oase“ von Dr. J. Chavanne, welches wegen seiner klaren und allgemein verständlichen Schilderungen aus dem Natur- und Volksleben der großen afrikanischen Wüste die besondere Aufmerksamkeit unserer Leser verdient. Auch entnehmen wir dem mit vielen Illustrationen geschmückten Buche unsere heutige Abbildung.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_430.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)