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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

dieselbe Bahn mit ihnen wandelte, Emanuel Geibel. Das „Elend“, welches Dingelstedt’s „Kraft brach“, war ein glänzendes Elend, beschienen vom Lampenlicht, durchweht von Hofluft, die noch selten einem deutschen Dichterleben gedeihlich war. Nicht mehr als Parias, als Märtyrer mit dem Kainszeichen auf der Stirn wandeln unsere Poeten durch die Welt, und das ist gut, aber sie werden auch zu Hof- und Weltmännern niemals taugen, und auch das ist gut; denn der Dichter gehört dem Volke, dessen Lust und Leid zu singen er berufen ist. Kein Minnesold, aus den Höhen der Gesellschaft empfangen, mag sich mit dem Dichterlohne vergleichen, den das Volk zu spenden hat. Mit Unsterblichkeit lohnt das Volk; mit Orden und Titeln lohnen die Könige. Was bliebe einst vom Hofrath, vom Baron, wenn das deutsche Volk sich nicht mehr an den Dichter in diesem Hofrath und Baron erinnerte?

Wenn indessen auf dem Dichterpfade Franz Dingelstedt’s nicht alle Knospen aufsprangen, wenn man nach „Nachtwächters Stillleben“ und „Nachtwächters Weltgang“ lang und bang zu warten hatte, bis hier und da wieder ein Ton, so rein und so fein wie ehedem, von Dingelstedt’s Lippen kam, so hat er dagegen als Theaterdirector jeder Erwartung genügt, wenn nicht alle übertroffen. Und hier darf man, ob man auch im Uebrigen vielleicht das Verdienst um das Theater nicht in der ersten Linie der Verdienste um Cultur und Literatur erblicken mag, von dem hessischen Schulmeister sagen, daß er einen schier phänomenalen Weg gemacht. Man braucht in dieser Richtung nur anzudeuten, um Dingelstedt gerecht zu werden.

Als dramatischer Schriftsteller hat er sich mit einer Tragödie „Das Haus der Barneveldt“ herausgewagt; Viele meinen, dieselbe lasse tief bedauern, daß Dingelstedt nicht auf der Bahn des dramatischen Schriftstellers ausharrte, Andere stellen das Stück nicht hoch, und ihnen scheint die Factensprache des Repertoires völlig Recht zu geben. Dem sei indessen wie ihm wolle! War Dingelstedt kein Bühnendichter, so war er doch ein Bühnenleiter von seltenem Können. Und man begreift deshalb, warum die Großen und Vornehmen dieser Erde des Zauberkünstlers habhaft zu werden suchten, der die Welt des Scheines und der Bretter mit neuem Glanze belebte, warum andererseits die Finsterlinge ihm, dem „kosmopolitischen Nachtwächter“ von damals, die Gunst der Höfe zu rauben, zu vergiften trachteten. Als er in München mit Dönniges und General von der Tann zu den Günstlingen des Königs Max gehörte, ward durch das Baierland von den Ultramontanen der lateinische Spruch verbreitet:

A duobus D
Et uno T
Liberi nos, Domine!
(Von zweien D
Und einem T
Befreie uns, o Herr!)

In Weimar nannte ihn die knirschende Auflehnung eingerosteter alter Bühnenpraktiker nicht anders als „Herr von Dünkelstedt“. Auch in Wien hat er bei aller Glätte sich niemals in vollen Einklang mit den Stimmungen des Hofes zu setzen vermocht, weil er nicht seine ganze Persönlichkeit gegen die höfische Gunst dahin geben wollte und weniger zu geben dem Hofmanne nicht erlaubt ist, zumal wenn er eine demokratische Vergangenheit vergessen zu machen hat. Dingelstedt ist Director des Wiener Opernhauses gewesen, als er Director des Burgtheaters sein wollte, und Director des Burgtheaters, als er mit seinem ganzen Ehrgeiz darnach strebte, die Leitung beider Bühnen in seiner Hand zu vereinigen. Erst als die tödtliche Krankheit seine Kraft aufzuzehren begann, nahte ihm die Erfüllung seines Traumes; er sollte sich ihrer nicht mehr erfreuen.

Seines Traumes? Hat der Pessimist überhaupt geträumt?

Nun er ist immer just das nicht gewesen, was er gerade sein wollte, Baron, aber nicht Mitglied des Herrenhauses, Hofrath, aber nicht Intendant, Günstling der Großen, aber nicht Diplomat. Darin bestand sein Leid, das ewige Ach und Weh seines Ehrgeizes, und es ist schlechthin unräthlich, seine Ironie und Selbstverspottung als etwas zufällig Individuelles anzuschauen. Er hat mehr gewollt als gekonnt, weil man so verstockt war, ihm den „Nachtwächter“ nicht vergessen zu wollen, weder oben noch unten. Von oben betrachtete man ihn mit Mißtrauen; von unten hieß man ihn nicht selten einen Renegaten. Die Leute sehen einem ja nicht in’s Herz; sie wissen nicht, was darin vorgeht. Aber Hindernisse dort und hier zu finden, dort, wo man in dem engen Cirkel der Gymnasiallehrerexistenz nicht verbleiben wollte, hier, wo man trotz aller äußeren Ehren nicht als voll angesehen wird, das macht bitter, hart gegen sich und Andere. Nennt man sich nicht rund heraus den „Pechvogel aus Kurhessen“, so persiflirt man im Voraus seinen eigenen Tod.

„Gebt mir ein Dutzend Trauerspiele,
Die ich zum Einschlaf stets bedarf,
Zündhölzchen, Bürsten, Gänsekiele,
Mir niemals, Andern oft zu scharf,
Den Schwamm, Vergangnes auszuwischen,
Ein Glas, aus dem man Lethe trinkt,
Auch Kölner Wasser zum Erfrischen,
Wenn’s drunten wie hier oben stinkt!“

Der Dichter verpfändet eben mit den ersten Liedern, die er seinen Volke singt, seine Zukunft; er gehört sich selbst von dem Augenblicke nicht mehr an, da sein Volk ihm seine Lieder nachsingt. Und wenn er dann auch sich in den berühmten Theaterdirector verwandelt, wenn ihm anscheinend alle Blüthenträume gereift sind, er fühlt doch in seinem Innern, daß er sich selbst fremd geworden:

„So wärme dich am fremden Herde;
Denn einen eignen hast du nicht,
Und sprich von deiner Muttererde,
Wo man in fremden Zungen spricht.“

Auch der andere von den beiden großen deutschen Theaterdirectoren der letzten dreißig Jahre, Heinrich Laube, war mit seinem Wirken auf die Kaiserstadt an der Donau angewiesen, weil nun einmal hier das erste deutsche Bühneninstitut vorhanden und der Sinn der Wiener Bevölkerung wohl mehr als der in irgend einer andern Großstadt dem Theater zugewendet ist. Auch Heinrich Laube hat seinen vollen Antheil an der Bühne des Burgtheaters. Aber Laube ist eine Art Puritaner, wo Dingelstedt der farbendurstige, abwechslungsdedürftige Weltmann war. Laube hat die innere Nöthigung empfunden, seine Acclimatisirung an Wien zu erklären, und es ist oft beinahe erheiternd, wie er sich zu erweisen bemüht, daß in seiner schlesischen Heimath ein engerer geistiger Zusammenhang mit Wien als mit Berlin bestehe. Dingelstedt ist solchen Reflexionen scheu aus dem Wege gegangen, nur bisweilen brach es ihm wie ein Ton ängstlicher Sehnsucht aus der Seele, sei es, daß er, wie in den „Liedern aus der Fremdenlegion“, den Schmerz des Heimwehs vorausahnend empfand:

„Wohin uns auch das Schicksal treib’,
Es dorre uns die Hand am Leib,
Die gegen dich zum Muttermord
Sich hebt, trotz Werbung und Accord –“

sei es, daß er, wie am 1. August 1866, dem Könige von Preußen mit ergreifendem Pathos zurief:

„König von Preußen, du mußt sterben,
Als deutscher Kaiser aufzustehn!“

Heinrich Laube hat Talente entdeckt und sie sprechen gelehrt. Sonnenthal, Lewinsky, die Wolter. Es blieb in dem „Jungdeutschen“ immer etwas Lehrhaftes aus seiner Theologenzeit; die Bühne galt ihm als eine Kanzel. Franz Dingelstedt, der die Sängerin Fanny Lutzer zur Frau nahm und von Anfang an dem operistischen Elemente auf dem Theater zuneigte, hat die Bühne zu einer Augenweide gemacht, ohne das wirksame Element des Wortes dabei zu verkürzen; er erzielte lange vor den Meiningern die glänzendsten scenischen Massenwirkungen in der Wiener Hofoper, und als er zum Burgtheater übertrat, brachte er die Intentionen des Weltmannes mit, der nicht blos gut und richtig, sondern auch sein und belebt sprechen hören will, dem es nicht genügt, die Einbildungskraft des Parterres durch ärmliche Andeutungen zu spannen, sondern der es vorzieht, der Illusion auf halbem Wege entgegenzukommen, und ihr nicht zumuthet, ein Boudoir oder einen Salon sich vorzustellen, die ebenso gut eine Küche oder ein Vorzimmer sein könnten.

In der ganzen Art seines Kunsttriebes war es begründet, daß Dingelstedt im Burgtheater das Conversationsstück zu üppiger Blüthe brachte, und es verschlägt dabei wenig, daß er L’Arronge und Moser in den Kreis hineinzog. Der Theaterdirector, welcher die Gegenwart vernachlässigt, ist kein geschickter Mann, und wenn diese Gegenwart nun einmal die Grenzen zwischen Lustspiel, Posse, Schwank zu verwischen liebt, so begeht sie eine ästhetische Sünde, nicht er. Es bleibt dennoch ein Ruhm Dingelstedt’s, daß in dem Burgtheater auch mittelmäßige Stücke durch die Kunst der Darstellung wirksam erhalten werden. Nicht weniger schief ist es, zu behaupten, Dingelstedt’s Theaterleitung sei parallel mit dem

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