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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Belehrung zu verschaffen Er las Gönner's Civilproceß, den Strafcodex, und bereicherte seine durch die Praxis erworbenen Kenntnisse, indem er die verschiedenen Land- und Statuarrechte mit großem Eifer studirte. Die Sonntage verwendete er ebenfalls zu seinem Studium, nur daß er in den Nachmittagsstunden nach der Vesper einem von seiner Schwester angenommenen Kinde Unterricht gab. Durch das viele Abschreiben, durch aufmerksames Zuhören bei den Verhandlungen mit den Parteien gewann er eine nicht gewöhnliche Geschäftsgewandtheit, und vermochte in Fällen, wenn der Anwalt abwesend war, den Clienten mit Rathschlägen an die Hand zu gehen. Man glaube aber ja nicht, daß er dabei seinen Nutzen suchte; er war und blieb die treueste, uneigennützigste Seele, die es gab.

Indessen waren es vorzugsweise die Paragraphen der Criminaljustiz, die ihn anzogen, die er mit Vorliebe und Beharrlichkeit seinem Gedächtnisse einprägte, über die er nachdachte, die er prüfte und bei sich ergänzte. Er kam darüber zuweilen mit seinem Prinzipale in Wortstreit; denn ihm schienen die meisten Strafbestimmungen zu mild, und daß gar dem Delinquenten ein Advocat an die Seite gegeben wurde, der ihn zu vertheidigen, die Schuld von ihm abzuwälzen bestrebt war, ja selbst dann, wenn sich ihm die moralische Ueberzeugung von dessen Schuld aufdrängte, dies erschien ihm ganz ungehörig; eher wäre er für die Anwendung der Tortur gewesen, wenn ein überwiesener Verbrecher hartnäckig leugnete. Daß er ein Anhänger der Todesstrafe war, versteht sich von selbst.

Nun mußte Herr Sebald, wenn er nach Beendigung der Bureaustunden seiner Heimath zuging, an dem Hause eines Mannes vorüber, der weit und breit im Geruche eines argen Schelmen stand. Oft bestraft und noch öfters durchgeschlüpft, war er ein gefürchteter Mensch, dem man nichts anhaben konnte, den zu beleidigen gefährlich war. Seines Zeichens ein Goldschmied, lebte er mutterseelenallein in einem Häuschen am Rande des Waldes in geringer Entfernung von der Landstraße, und daß sein Gewerbe nur ein Aushängeschild war, leuchtete Jedermann ein. Hösch – so hieß er – war wenig zu Hause; er ging auf Handelschaft, streunte in den Dörfern umher und blieb oft tagelang außer Landes.

Diesen Mann nun haßte unser Schreiber ganz besonders er nahm ihn fest aufs Korn. Oft, wenn er auf seinem Heimwege an des Goldschmiedes Haus vorüberging, hob er drohend seinen Stock und sagte halblaut „Mir kämest Du nicht länger aus, so fein Du auch Dein Handwerk verstehst, Spitzbube!“ Dabei wieder holte er sich im Geiste alle bezüglichen Stellen des Strafgesetzbuches und gedachte, wie er es bewerkstelligen wollte, durch verfängliche Kreuz- und Querfragen ein Geständniß aus dem Manne herauszubringen.

Eines Abends – es war gegen Ende des Winters und die Dämmerung bereits eingetreten – fühlte er bei seiner ihm schon fast zur Gewohnheit gewordenen Standrede einen leichten Schlag auf seiner Schulter, und hinter ihm stand der gefürchtete Hösch selbst.

„Nun, erschreckt Ihr vor mir, Herr Sebald?“ redete er den verblüfften Schreiber an. „ein Jurist, wie Ihr, sollte sich vor dem Teufel selbst nicht fürchten“

„Ich fürcht’ Euch auch nicht,“ entgegnete Sebald, „ nicht weil ich mich etwa für einen Juristen halte, sondern weil ich selbst ein armer Teufel bin, bei dem nichts zu holen ist.“

„Oho,“ lachte der Andere auf, „Ihr glaubt am Ende gar, ich wolle Euch ausrauben? Das Gegentheil davon will ich – ich hab’ da einen kleinen Zins an Euren Principal zu entrichten und würd’ ihn Euch gern anvertrauen, wenn Ihr ihn morgen übergeben möchtet.“

„Das kann schon sein,“ war die Antwort.

„Nun, so kommt die wenigen Schritte mit in meine Wohnung! Da will ich Euch die paar Gulden einhändigen, und Ihr bescheinigt mir den Empfang, Herr Oberschreiber, wenn Ihr so gut sein wollt. Ihr erspart mir einen Gang in die Stadt.“

„Soll geschehen,“ antwortete dieser, der sich schämte, eine Aengstlichkeit zu verrathen. So ging er denn mit. An seinem Hause angekommen, öffnete der Goldschmied die Hausthür und hieß seinen Begleiter eintreten. Unwillkürlich zögerte Sebald ein wenig; ein unheimliches Gefühl beschlich ihn. In dieses Haus kam sonst selten Jemand; wer konnte, vermied es. Er wollte sich jedoch keine Furcht anmerken lassen und trat ein. Auf dem Ofen im Zimmer brannte ein trübes Licht und ein eigentümlich metallischer Geruch drang daraus hervor.

„Der schlägt auch falsches Geld,“ dachte der Schreiber, während Hösch einen Schrank aufschloß, das in Papier gewickelte Geld herausnahm und ihm einhändigte.

„Es ist schon in der Ordnung,“ sagte er lachend, da Sebald die Summe bei der mangelhaften Beleuchtung im dunkeln Winkel der Stube abzuzählen sich anschickte. Dieser nickte nur, unterschrieb hastig die Quittung und wollte sich eiligst davon machen, aber Hösch hielt ihn nochmals auf; er brachte aus demselben Schrank, in welchem er das Geld verwahrt gehabt, ein kleines schmutziges Gebetbuch hervor und sagte:

„Seht, guter Freund, das Büchlein das hat mich auf den rechten Weg gebracht; Ihr wißt es ja, daß ich früher einmal ein leichtes Vergehen gegen das Gesetz im Gefängniß abzubüßen hatte – aber mit den heiligen Worten, die darin stehen, hab’ ich das Heil gefunden. Gehet mit Gott und denkt besser von mir!“

Sebald sah mit Widerwillen in das heuchlerische Gesicht des Mannes und hörte die süßlichen Reden mit Abscheu; so schnell wie möglich empfahl er sich. Zu Hause prüfte er sorglich Klang und Gepräge der Guldenstücke, es war aber kein falsches Geld dabei.

Am andern Morgen händigte er den Zins seinem Principal ein und erzählte zugleich, wie er gelegentlich dieses Geschäftes zu einem Besuche bei dem berüchtigten Manne gekommen.

„Ich war recht froh, als ich wieder draußen war: der Schelm hat gewiß eine Absicht gehabt; umsonst ließ er mich nicht in seinen Schlupfwinkel blicken.“

„Haben Sie richtig gezählt?“ unterbrach ihn der Anwalt; „es ist ein Gulden zu viel.“

„Nicht möglich,“ rief der Schreiber, „ich glaubte doch so genau abgezählt zu haben.“

„Es ist doch so – nun müssen Sie sich schon entschließen, der Spelunke einen zweiten Besuch abzustatten.“

„Leider,“ antwortete Sebald und dachte bei sich: es hat Zeit bis zum nächsten Sonntag; denn Nachts geh' ich nicht mehr hin. –

Ehe er aber dazu kam, seine Verpflichtung zu erfüllen, trat ein Ereigniß ein, das die öffentliche Aufmerksamkeit in außerordentlicher Weise auf Hösch lenkte.

An einem Sonntagmorgen, als die Landleute aus den Höfen umher nach dem Dorfe zur Kirche gingen, entdeckten sie im Straßengraben einen blutigen Leichnam. Man erkannte in dem Todten einen begüterten Händler, der an jedem Markttage, nachdem er seine Geschäfte im Städtchen abgewickelt hatte, nach seinem einige Stunden entfernten Hofe zurückfuhr, und zwar meistens noch spät in der Nacht. Eine Menge Menschen hatte sich bald an dem Platze versammelt; man brachte Pferde und Wagen des offenbar Ermordeten aus dem nächst der Straße gelegenen Wald, und die Bewohner eines Hauses unfern vom Orte, wo die blutige That geschehen war, sagten aus, sie hätten ungefähr um Mitternacht Schüsse gehört, als ein paar alte Leute aber hätten sie sich nicht vor die Thür getraut. Von dem Gelde, das der Händler, wie man wußte, bei sich getragen, war keine Spur aufzufinden.

Wäre nicht der freundliche helle Sommermorgen gewesen und hätten nicht von allen Seiten her die Sonntagsglocken zusammengeläutet, so hätte man wohl das Gefühl gehabt, daß die Stelle, an der man sich befand, etwas Düsteres, wie für einen Mord Vorausbestimmtes an sich trage. Rechts von der Straße ist dichte Waldung, die sich bis zum Fuße der Berge hin ausdehnt; links erstreckt sich zuerst ein Torfmoor, das mit einzelnen Birken bestanden ist, und weiterhin ebenfalls Waldung, über der sich ein Hügel mit den Ruinen einer alten Burg erhebt. Der Name dieser Burg und einiger der nächsten Ortschaften legen die Vermuthung nahe, daß hier in uralter Zeit eine Gerichtsstätte sich befunden habe und ringsumher der Boden eines heidnischen Götterdienstes. Ein Reiter, der dort einstmals in einer sehr kalten Winternacht auf dem hartgefrorenen Boden hintrabte, hat erzählt, daß er plötzlich Hufschläge aus dem nahen Walde herübertönen hörte, und zwar so deutlich und in gleichem Tacte mit dem seines eigenen Pferdes, als reite unter den Tannen ein gespenstiger Doppelgänger mit ihm. Ein eigener Schauer habe ihn überkommen, und er sei froh gewesen, als er das nächste Gasthaus erreicht und sein schweißtriefendes Pferd in den Stall gebracht habe.

An jenem Morgen nun, als unter den die Leiche umstehenden Leuten die Rede darauf kam, wer wohl das gräßliche Verbrechen

begangen habe, wandten sich Aller Blicke scheu nach dem alten

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