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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

nannte die einzelnen Gegenstände, welche von den Ausarbeitungen seiner Räthe handelten.

„Kürzen wir das Verfahren ab!“ sagte der Herzog, „lassen Sie Alles hier! Ich will es durchsehen und mit meinen Unterschriften Ihnen zusenden. Ich möchte von etwas Anderem mit Ihnen reden, Lanken. Graf Gollheim“ – der Herzog betonte das Wort Graf ein wenig ironisch – „war am heutigen Morgen bei mir. Der Mann war außer sich. Er sprudelte die heftigsten Vorwürfe wider Sie aus, Lanken – um den Unglücklichen los zu werden, habe ich ihm versprechen müssen mit Ihnen zu reden.“

„Und wessen beschuldigt er mich, Hoheit?“ fragte Aurel.

„Zuerst, daß Sie seiner Tochter den Hof gemacht – was, wie er mir dann freilich zugab, kein Verbrechen sei, wohl aber, daß Sie an dem ehrgeizigen Wunsche, eine Gräfin Gollheim heimzuführen, noch festgehalten, als er bereits seine entschiedenste Mißbilligung dieses Verhältnisses ausgesprochen, und daß Sie dann so weit gegangen, um eine gründliche Bresche in sein Familien-Allerheiligstes zu legen und durch diese sich hineinzudrängen, seinen einzigen Sohn durch Ihre Schwester verführen zu lassen.“

„Das ist eine ganz neue Deutung des Geschehenen“ bemerkte Lanken betroffen, „eine Auslegung, auf die Graf Gollheim zwischen seiner Unterredung mit mir und der darauf folgenden mit Eurer Hoheit gekommen sein muß. Mir machte er nur den Vorwurf, ich wollte ihn mit unwahren Vorspiegelungen überlisten; die Verbindung meiner Schwester und seines Sohnes sei ein Schreckschuß; sie sei von mir ersonnen und, eiferte er dann, sie sei jedenfalls nichtig; er werde sie nie und nimmermehr anerkennen.“

„Nun ja – auch mir erklärte er das,“ fiel der Herzog ein. „Im Nothfall – das schimmerte deutlich durch seine Reden durch – hätte er ja mich. Ich würde eine solche Ehe für nichtig erklären. Welche Vorstellungen sich der Mann von meiner Fürstengewalt macht! Ich habe bon gré, mal gré ihn zum Grafen machen müssen – aber ihm zu Gefallen nun auch noch eine Ehe, welche die Gerichte anerkennen, nichtig erklären? Verrückte Zumuthung das! Was ist eigentlich an der ganzen Sache, Lanken? Wußten Sie darum? Hat man mit oder ohne Ihre Einwilligung gehandelt?“

„Nicht mit meiner Einwilligung, Hoheit; die leichtsinnige Handlungsweise Ludwig Gollheim’s hat mich sehr unglücklich gemacht; ich kann mich lebhaft in den Schmerz des Vaters versetzen. Aber was geschehen, ist geschehen, und ich bin gezwungen, meiner Schwester Recht zu vertreten. Documente, welche dieses Recht beweisen, liegen mir vor.“

„Gollheim’s Eifer,“ fuhr der Herzog fort, „riß ihn hin, zu behaupten, die Documente seien unmöglich da; oder sie seien von Ihrem Vater, dem leidigen alten Händelsucher, wie er ihn nannte, gefälscht, und was derartiges Alles noch aus dem halb unzurechnungsfähig gewordenen Gollheim hervorsprudelte. Nun ja –“ er hieß mit einer abwehrenden Handbewegung Aurel, der etwas erwidern wollte, schweigen – „Sie brauchen nichts darauf zu erwidern; wenn Sie die Documente geprüft und gültig befunden haben, ist es thöricht, sie anzufechten. Aber eine höchst fatale Sache bleibt es darum dennoch, die auch für mich persönlich eine unangenehme Seite hat. Am Ende kann Ludwig Gollheim geheirathet haben, wen er will – eine Fidschi-Insulanerin oder eine Chippewäer-Squaw meinethalb; das Verdrießliche bei der Sache ist, daß seine Heirath uns hier Ihren Vater herbringt, der ein unberechenbarer Mann sein soll und schwerlich hier stille sitzen wird, ohne für seine hirnverbrannten Principien Propaganda zu machen …“

„Ich glaube doch mich verbürgen zu können, Hoheit, daß dies nicht geschieht. Mein Vater fände, wenn er auch noch so voll des alten republikanischen Feuereifers steckte, kein Terrain zur Proselytenmacherei mehr. Die Welt ist, was sie nennt, fortgeschritten, und die Menschen, in deren Charakter das Bedürfniß der Zersetzung, der feindseligen Zerstörung liegt, sind bis zu einem Punkte gekommen, auf welchem mein biederer Vater mit seiner fixen Idee sie nicht mehr versteht und sich zum Schweigen verdammt sieht.“

„Mag sein! Wenn nur auch der Sturmfluth von Geschwätz, das sich über ihn erheben wird und dessen Wellen bis an meine Füße heranspülen werden, um da allerlei giftige und häßliche Stoffe abzulagern, Schweigen aufzuerlegen wäre! Ich sage Ihnen nichts Neues, Lanken, wenn ich Ihnen sage, daß Sie Feinde haben –“

„Ich weiß, Hoheit, bis in Ihrer nächsten Nähe!“

„Nun, mein Gott, ja – welcher Mann in Ihrer Stellung hätte das nicht? – und hier kommt nun noch die Gehässigkeit der Partei, mit deren Anschauungen ich brechen mußte, um, ohne auf meine eigenen Sympathien und Antipathien Rücksicht zu nehmen, Ihnen das Ruder zum Einlenken in die Strömung der Zeit zu überlassen, hinzu. Man wird jetzt Ihre Privatverhältnisse, Ihre Familienbeziehungen, die mitleidswürdige Lage, in die Gollheim durch das Zerwürfniß mit seinem Sohne versetzt worden, ausbeuten; man wird die Erinnerungen an die früheren hirnverbrannten Tollheiten Ihres Vaters auffrischen, wird Dinge und Behauptungen aus der Luft greifen –“

„Alles Das wird man thun, Hoheit,“ sagte Aurel; „es ist mir ein tiefer Kummer, daß ich nicht die geringste Hoffnung habe, Sie damit verschont zu sehen. Und wenn Sie sich der Ansicht zuneigen sollten, daß eine solche Lage als Mittelpunkt der gehässigsten Commentare, in welche man mich versetzen wird, sich nicht mit der Würde eines ersten Rathgebers des Herzogs verträgt, so bin ich ganz bereit –“

Aurel stockte einen Augenblick. Er war sich völlig bewußt, daß er im Begriffe war, ein Wort auszusprechen, welches, wenn es seine Lippen verlassen und bejahend erwidert war, den letzten Hoffnungsschimmer seiner Liebe zu Regina auslöschte – war er nicht mehr Minister, so war er in den Augen der Leute, neben welche bisher sein Rang ihn gestellt hatte, nichts mehr. Und dennoch sprach er weiter, wenn auch nicht mit dem festen und ruhigen Tone, mit dem er bisher gesprochen:

„So bin ich ganz bereit, Hoheit, Ihnen diese Würde wieder zu Füßen zu legen.“

Ein Schatten flog über des Herzogs Gesicht.

„Wen hätte ich dann, um sie ihm zu übertragen?“

„Es giebt doch noch andere Männer, die, wenn sie mich an treuer Ergebenheit für die Person meines Fürsten auch nicht übertreffen können, doch –“

„Reden wir nicht davon, Lanken! Werfen wir nicht so rasch die Flinte in’s Korn! Lassen wir Gollheim für’s Erste noch sich austoben – die Stunden werden ihm guten Rath bringen. Und dann – morgen schon – werde ich ihn rufen lassen, um selbst ihm Vernunft zu predigen. Senden Sie mir die Documente, von denen wir geredet haben! Im Angesicht derselben wird er eher geneigt sein, sich in’s Unvermeidliche zu fügen. Gewiß! Ich werde ihm scharf zureden; es wird mir gelingen, ihn davon abzuhalten, es auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen. Wenn das öffentliche Aergerniß solch eines Processes vermieden wird, ist ja der ganzen Affaire die Spitze abgebrochen –“

„Wenn Ihnen das gelänge, Hoheit, würden Sie auch der Wohlthäter meiner armen Schwester werden –“

„Die freilich bei der ganzen Sache in der bedauernswerthesten Lage ist; sie ist das Opfer des Leichtsinns dieses Weltfahrers, dieses thörichten Weltumseglers; ich bin gespannt, zu hören, was mein Officierscorps zu der Sache sagen wird; er wird am Ende den Dienst quittiren müssen – doch ich muß Sie jetzt entlassen, Lanken – senden Sie mir die Documente – morgen in den ersten Vormittagsstunden! Adieu!“

Er reichte Aurel flüchtig die Hand, und dieser schied mit einer tiefen Verbeugung.

Auf dem Rückwege, den Aurel von der Residenz zu seinem „alten Schlosse“ zu machen hatte, fuhr er in der bescheidenen Equipage, deren er sich mehr dem Herzoge zu Liebe, der es wünschte, daß seine Würdenträger sich Equipage hielten, als aus Bequemlichkeit bediente, an Graf Gollheim’s Hotel vorüber. Er sah gespannt zu den Fronten desselben hinauf – wie ausgestorben lag das stattliche Gebäude da; es lugte mit seinen geschlossenen Fenstern fast sphinxhaft auf ihn herab, kalt und feindlich das Räthsel seiner Zukunft hütend. Als er sodann in seiner Wohnung angekommen, fand er zu seiner Ueberraschung dort den Vater seiner harrend.

Der alte Thierarzt war in großer Aufregung. Er lag zurückgelehnt auf einem Divan, hatte die Beine auf eine Stuhllehne gestreckt und rauchte; sobald Aurel eintrat, begann er eine zornige Rede wider die „niederträchtige Menschenbande“, auf welche er in seiner alten Heimath gestoßen, auf dieses „in Grund und Boden demoralisirte Volk“, die allgemeine Hundegesinnung, welche nichts sei, als die Frucht der monarchischen Regierung, die seit Jahrhunderten auf dem Lande gelastet und alle Würde und allen Anstand hinausregiert habe. Aurel ward es schwer, aus dem

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