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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Volk, welches den Suezcanal gebaut hat und an dem Panamadurchstich in erster Linie betheiligt ist, ließ sich weder durch die Mühseligkeit des Werkes, noch durch die großen Kosten abschrecken. Mit seltener Energie wurde der neue Plan von der Presse, den wissenschaftlichen Vereinen und von hervorragenden Männern befürwortet und in wenigen Jahren die öffentliche Meinung für ihn gewonnen. Auch die Regierung der Republik unterstützte kräftig das Unternehmen, und nach und nach wurden mehrere Millionen Franken für die Erforschung der künftigen Bahnlinien ausgeworfen. Im Allgemeinen ist heute die Besitzergreifung Sudans für die Franzosen eine feststehende Thatsache, und man muß auch zugeben, daß dieser Erwerb für Frankreich von dem größten Nutzen sein wird. Sind einmal die Bahnlinien erbaut, so wird es ohne Mühe gelingen, durch Errichtung einiger militärischer Posten der trägen Bevölkerung von Innerafrika, die keineswegs von dem räuberischen Geiste der arabischen und kabylischen Stämme des Nordens beseelt ist, Gesetze zu dictiren. Ist dann auch das handelspolitische Uebergewicht Frankreichs gesichert, so wird für die, wie überall, so auch in Frankreich hart bedrängte Industrie ein wichtiger Markt eröffnet, während dem kornarmen Lande Bodenproducte unter günstigen Bedingungen zugeführt werden. Es ist also kein abenteuerliches Unternehmen, welches wir vor uns haben, sondern eine durchaus kluge Berechnung, eine gesunde volkswirthschaftliche Operation.

Von einem verhältnißmäßig überraschenden Erfolge sind bereits die Bemühungen, von Senegal aus in Sudan einzudringen, gekrönt worden. An der Mündung des gleichnamigen Stromes liegt die Hauptstadt der französischen Colonie, Sant Louis, mit ungefähr 15,000 Einwohnern, die schon jetzt den Centralpunkt des Handels an der Westküste Afrikas bildet. Der Hafen dieser Stadt ist aber in drei bis vier Monaten des Jahres für größere Schiffe unzugänglich, und man sah sich daher genöthigt, in der wohlgeschützten Bucht von Dakar einen neuen Hafenplatz zu begründen, dessen Handelsbedeutung von Tag zu Tag im Wachsen begriffen ist. Man beschloß nun diese beiden Plätze durch einen Schienenweg mit einander zu verbinden, indem man hervorhob, daß hierdurch der Warenverkehr von dem bereits vorhandenen Handelscentrum nach dem einzigen guten Hafen der Gegend geleitet werde. Diese Idee befürwortete vor Allem der äußerst rührige Gouverneur von Senegal, Herr Brière de l’Isle, der es außerdem durchsetzte, daß die geplante Linie in einem Bogen das volkreiche Königreich von Cayor durchschneiden solle. Zu diesem Zwecke wurden nun zwischen den Civilisirten und den Barbaren Verträge abgeschlossen, die für weitere Kreise unserer Leser nicht ohne Interesse sein dürften.

Herr Brière de l’Isle wählte zu dieser diplomatischen Mission einen schlauen, gebildeten Neger, Bou-el-Moghdad genannt. Dieser begab sich im Jahre 1879 an den Hof des regierenden Herrn von Cayor, Lat-Dior, und machte es ihm klar, daß die Eisenbahnen keineswegs gegen den mohammedanischen Glauben verstoßen, wobei als Hauptargument angeführt wurde, daß selbst gläubige Mohammedaner ihre Pilgerfahrten nach Mekka ohne Gewissensbisse mittelst der Bahn zurücklegen.

Auf Grund dieser Unterhandlungen wurde zwischen Lat-Dior und dem schwarzen Vertreter Frankreichs, Bou-el-Moghdad, am 10. September 1879 ein Vertrag unterzeichnet, welcher nicht nur den Bau der Bahn Dakar-St. Louis sichert, sondern auch das Königreich Cayor gewissermaßen unter das französische Protectorat stellt. Frankreich garantirt demnach der Herrscherfamilie der Guedj, von welcher der gegenwärtige „Damel“ Lat-Dior abstammt, den ungestörten Besitz des Königreichs Cayor und erhält dafür das Recht, die betreffende Eisenbahn zu bauen und in Betrieb zu erhalten. Der Vertrag macht überdies dem schwarzen Diplomaten des Herrn Brière de l’Isle alle Ehre; denn Lat-Dior verpflichtet sich, nicht nur alles nöthige Holz umsonst zu liefen:, sondern auch für die Beschaffung der Arbeitskräfte zu sorgen; die Arbeiter dürfen jedoch von den Franzosen nur in der Zeit vom 1. December bis zum 15. Mai jedes Jahres requirirt werden, und es soll ihnen ein Lohn von 1 Fr. 25 Cent. pro Tag bezahlt werden. Dafür aber wird auch dem Damel das Recht zugestanden, auf der ganzen Linie mit einem Hofe von vierzig Personen unentgeltlich hin und her zu fahren, und die französische Regierung verpflichtet sich am Schluß eines jeden Jahres während des Baues der Eisenbahn dem Herrscher Lat-Dior zwei arabische Rosse zu schenken, zum Zeichen, daß sie mit der Arbeit der Unterthanen Seiner farbigen Majestät zufrieden ist.

Auf Grund dieses Vertrages hat sich denn auch die französische Eisenbahngesellschaft von Batignolles bereit erklärt, diese Strecke zu bauen, und erhielt im Herbst des vorigen Jahres von den Kammern die hierzu nöthige Concession. Die Länge dieses ersten Theiles der Bahn Senegal-Niger beträgt zweihundertsechszig Kilometer, und ihr sollen sich später die Linien M’pal-Medina mit fünfhundertachtzig Kilometer und Medina-Niger mit fünfhundertzwanzig Kilometer Länge anschließen. –

Die Versuche, von Algier eine Handelsstraße nach dem Sudan zu bauen, haben schon wegen der größeren Schwierigkeiten, mit denen man hier zu kämpfen hat, weniger glückliche Erfolge zu verzeichnen. Für die Sahara-Eisenbahn fanden sich übrigens auch in Deutschland begeisterte Verfechter; so schlägt Gerhard Rohlfs ein Project vor, welches eine Bahn Tripolis-Kuka zur Grundlage hat. Mit besonderem Eifer machen dagegen die französischen Ingenieure und Gelehrten Duponchel, Soleillet, Largeau und Delesse für die Linie von Algerien über El Aghuat und El Golea nach Tuat und dann weiter nach Timbuctu Propaganda. Auch. ihnen ist es gelungen, die Regierung für ihre Pläne zu gewinnen, und es wurden bereits 1879 ziemlich bedeutende Geldmittel von den Kammern bewilligt, um mehrere Expeditionen über die Sahara nach dem Sudan zu organisiren.

Die Ergebnisse dieser Forschungen lassen sich dahin zusammenfassen, daß nur zwei größere Hindernisse überwunden werden müßten. Das eine Hinderniß wird durch die natürliche Bodenbeschaffenheit der Wüste dem Bahnbau entgegengesetzt und besteht in lockeren Sanddünen, die in ziemlich beträchtlicher Höhe in einer Breite von mehreren Kilometern die Sahara durchziehen. Aber diese Schwierigkeit wäre leicht zu bewältigen. Wie auf der amerikanischen Pacificbahn eiserne Tunneln gebaut wurden, um die Verschüttung der Geleise mit Schneemassen zu verhüten, so würden auch hier ähnliche eiserne Bauten der Bahn einen sicheren und ungestörten Durchzug durch die Sandhügel gestatten. Wassermangel fürchtet man nicht; gehen doch jetzt in Europa Züge, die auf Entfernungen von hundert Kilometer kein Wasser einnehmen.

Bedenklicher ist ohne Zweifel die Feindseligkeit der die Sahara bewohnenden räuberischen Nomadenstämme, vor Allem der Tuareg, von denen wir erst vor Kurzem in der „Gartenlaube“ berichtet haben (vergl. Nr. 4). Ehe ihr Widerstand gebrochen wird, werden noch Ströme von Blut stießen, aber die Feuerwaffe der Europäer wird schließlich auch hier die Eingeborenen bezwingen. Schon heute ist Frankreich genöthigt, eine Wüstenexpedition zu organisiren, um die Tuareg zu züchtigen; denn erst vor Kurzem kam aus Afrika die noch nicht ganz verbürgte Kunde, daß die Expedition des Obersten Flatters, die früher von den Tuareg so freundlich aufgenommen worden war, nunmehr vernichtet wurde, indem ein Theil ihrer Mannschaft im offenen Kampfe blieb und ein anderer Theil verrätherischer Weise vergiftet wurde.

Während indessen Frankreich auf diesem ökonomischen Eroberungszuge, dem sehr bald der politische folgen dürfte, begriffen ist, hat Plötzlich eine andere europäische Großmacht den Versuch gemacht, in Nordafrika festen Fuß zu fassen. Das italienische Capital begann in Tunis mit dem französischen zu concurriren, und die römische Regierung beabsichtigte gleichzeitig, sich auf dem Boden des ehemaligen Karthago festzusetzen. Sie versuchte zunächst den tunesischen Eisenbahnbau von dem Protectorat Frankreichs zu befreien und ihn unter ihr eigenes zu bringen; sie unterstützte den Bey von Tunis in seinen antigallischen Bestrebungen; die italienischen Kaufleute hetzten, so behauptet man, die wilden Stämme an der algerischen Grenze gegen ihre Nachbarn auf und bedrohten damit ernstlich die französischen Interessen in Afrika. Tunis wurde hierdurch zu der Achillesferse der emporwachsenden französischen Colonialmacht. Gelänge es einer anderen Nation, sich dort festzusetzen, so erwüchse Frankreich ein Concurrent, mit dem es den Gewinn seiner Unternehmungen theilen müßte; das Schwinden des französischen Ansehens in jenem Lande würde auch das Ansehen der Republik bei ihren Unterthanen in Algerien schwächen und andere afrikanische Stämme ermuthigen, sich gegen die bahnbauenden und handelnden Civilisatoren aufzulehnen.

Durch den langen diplomatischen Depeschenwechsel, durch internationale Schiedsgerichte wurde die Lage für die Franzosen immer unerquicklicher; denn das Unterhandeln und Parlamentarisiren wurde von den naiven Barbaren nur als ein Zeichen der Schwäche aufgefaßt.

Da ereignete es sich, daß im März dieses Jahres tunesische Horden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_299.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)