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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

ihre „Bundesreformpläne“, von denen man im Voraus wußte, daß sie entweder nicht ernst gemeint oder, wenn dieses, dann nur um so gefährlicher für die wahren Interessen sowohl der Freiheit, wie der Einheit waren. Preußen verhielt sich lediglich ablehnend, passiv: es hinderte Schlimmeres, aber es that selbst nichts, um das gewünschte Bessere herbeizuführen. Zumal als an die Spitze des preußischen Ministeriums ein Mann gestellt ward, der vom Erfurter Parlament (1850) her als ein Gegner der nationaldeutschen Bestrebungen, als ein Vertreter des specifischen Preußenthums, als ein warmer Verteidiger der Rechte Oesterreichs bekannnt war, Herr von Bismarck-Schönhausen, schien jede Hoffnung auf eine Verwirklichung des deutschen Gedankens durch Preußen auf unberechenbare Zeit vertagt, und nur das Eine blieb noch übrig: die verfassungsmäßige Freiheit im Innern Preußens gegen die von solcher Seite auch ihr, und ihr zunächst, drohenden Gefahren zu retten.

So schloß sich die schon zuvor, in Folge des sogenannten „Conflicts“, in Preußen entstandene „Fortschrittspartei“ immer enger zum rühmlichen und mannhaften Kampfe gegen das verfassungswidrige „budgetlose Regiment“ Bismarck's zusammen und wandte alle ihre Kräfte nach dieser Seite. Zwar hatte sie sich bei ihrem Entstehen „Deutsche Fortschrittspartei“ getauft, um damit zu bekunden, daß sie die Fühlung mit den großen gemeinsamen Angelegenheiten Deutschlands über ihren nach innen gerichteten Aufgaben keinesfalls aufgebe; allein die Umstände selbst rissen sie vorwiegend nach dieser innern Seite hin, und überdies konnte sie mit gutem Grunde sagen, sie bekämpfe in Bismarck zugleich den Feind des deutschen Gedankens und diene damit auch diesem letztern.

Da geschah plötzlich das Unerwartete, wohl kaum von irgend jemand Geahnte: derselbe Bismarck, den man bisher nur als einen specifisch preußischen Junker gekannt, nahm die deutsche Politik Preußens aus dem Jahre 1849, die er damals bekämpfte, wieder auf, aber nicht in der schwächlichen, schwankenden, unaufrichtigen Weise, wie sie das Ministerium Manteuffel gehandhabt, vielmehr mit einer rücksichtslosen, auch vor einer Lösung durch „Blut und Eisen“ nicht zurückschreckender Energie. und derselbe Bismarck, in dem man bisher nur den Anbeter des nacktesten Absolutismus erblickt hatte, der die Fesseln des constitutionellen Systems nur unwillig zu dulden schien, näherte sich jetzt den Liberalen, indem er einen Act der Selbstüberwindung beging, wie er in der Geschichte parlamentarischer Verfassungskämpfe gewiß selten, ja vielleicht ohne Gleichen ist. Statt nämlich den gewaltiger Umschwung in der Stimmung des Landes, den die glänzenden Kriegsthaten von 1866 hervorgebracht, zu benutzen, um durch Auflösung des ihm feindlichen Abgeordnetenhauses und Veranstaltung von Neuwahlen sich eine parlamentarische Mehrheit zu sichern, vielleicht sogar mit deren Hülfe einschneidende Veränderungen in der Verfassung vorzunehmen - statt diese Gewaltacte auszuüben, trat er vor die Volksvertretung mit dem Bekenntniß: „die Regierung habe allerdings in den letzten Jahren außerhalb der Formen der Verfassung sich bewegt, allein sie habe dies gethan aus höheren Rücksichten auf das Interesse Preußens und Deutschlands.“ Und auf Grund dieses Eingeständnisses forderte er eine sogenannte „Indemnität“, das heißt die nachträgliche Entlastung des Ministeriums von der dadurch auf sich genommenen Verantwortlichkeit durch ein Votum der Kammern.

Das war die Geburtsstunde der nationalliberalen Partei in Preußen. Damals trennte sich die preußische Fortschrittspartei in Solche, welche trotz alledem in ihrer Gegenstellung zu Bismarck verharrten und die von ihm den Liberalen gereichte Hand der Versöhnung zurückwiesen, und in Solche, welche diese Hand annahmen, weil ihnen dadurch die Möglichkeit geboten schien, an dem Ausbau des, wenn auch ohne ihr Zuthun zu Stande gebrachten preußisch – deutschen Bundesstaates mitzuarbeiten. Diese Letzteren schieden sich vom ihren bisherigen Kampfesgenossen in der Fortschrittspartei und bildeten fortan eine neue Parteigruppe , die „nationnalliberale“.

Von den beiden Gründern der „deutschen Fortschrittspartei“ trat der eine, Herr von Forckenbeck, auf die Seite der neuen Partei hinüber und ward einer ihrer vornehmsten Leiter und Vertreter, während der andere, Herr von Hoverbeck, an der Spitze der Fortschrittspartei verblieb. Auch einer der ältesten preußischen Parlamentarier, Herr von Unruh, in der kritischen Periode kurz vor der Auflösung der constituirenden Nationalversammlung 1848 deren Präsident, schloß sich der neuen Partei an, ebenso andere Abgeordnete von bekannten Namen und bewährtem Liberalismus. Auch ein Mann, der erst im Jahre vorher in's Abgeordnetenhaus eingetreten war, dort aber rasch eine hervorragende Stelle in der Fortschrittspartei eingenommen hatte, nachdem er zuvor als Schriftsteller mit nachdrücklicher Beredsamkeit für die Freiheiksrechte des Volkes eingetreten, Eduard Lasker, trennte sich jetzt von seinen bisherigen Genossen und bekannte sich zu der Fahne der neuen Vereinigung.

Dieser Kern der nationalliberalen Partei, der durch Ausscheidung aus der Fortschrittspartei sich gebildet, erhielt alsbald starken Zuwachs aus denn neu aufgenommenen preußischen Provinzen Hannover, Nassau, Hessen. Rudolph von Bennigsen und Johannes Miquél, beide die Führer der staatsrechtlichen Opposition in Hannover gegen das Ministerium von Borries, beide die Mitbegründer, Bennigsen der Vorsitzende des deutschen Nationalvereins, Friedrich Oetker, der unermüdliche Vorkämpfer der Kurhessen seit der schmachvollen Vergewaltigung dieses rechts- und verfassungstreuen Volkes durch den Rumpfbundestag im Jahre 1850, Karl Braun, der mehrjährige Präsident der nassauischen Volkskammer und permanente Vorsitzende des Congresses deutscher Volkswirthe - solche und ähnliche Männer brachten der neungebildeten Partei das Gewicht ihrer Namen und die Fülle vielseitiger, reicher Erfahrungen auf parlamentarischem, politischem, wirthschaftlichem und finanziellem Gebiete, zugleich auch eine Anzahl zum Theil gleich was bedeutender Kampfgenossen, die ihrem Vorgange folgten, als Morgengabe zu.

Im Reichstage sodann, erst im norddeutschen, später im gesamtdeutschen, verstärkte sich die nationalliberale Partei durch eine Reihe erprobter Kräfte und vielbekannnter Namen aus den übrigen Bundesstaaten. Die anerkannten Führer der vereinigten liberalen Partei in Baiern (dort „Fortschrittspartei“ genannt), Marquard Barth, Freiherr von Stauffenberg , Marquardsen und Völk, die der „deutschen Partei“ in Württemberg, Hölder, Römer, Weber, Elbin, die der nationalliberalen Partei in Sachsen, Biedermann, Stephani, Georgi, Gensel; ebenso aus Baden der ehemalige Minister Lamey, Kieser u. A., ferner der Präsident des weimarischen Landtages Fries, der Präsident der altenburgischen Landschaft Wagner, der Braunschweiger Bode, der alte Freiheitskämpfer Metz aus Darmstadt, der Verfechter zeitgenössischer Reformen in dem feudalen Mecklenburg, die beiden Pogge, Büsing, sowie der bekannte Theolog M. Baumgarten, die Hanseaten H. H. Meier und Wolfson und noch viele andere theils durch ihre politische Vergangenheit in denn Vertrauen weiter Bevölkerungskreise tiefgewurzelte, theils durch Berufs- und Lebenserfahrungen, durch Scharfsinn, Sachkenntniß, Beredsamkeit ausgezeichnete Männer traten der Partei bei und hielten, so lange sie im Reichstage saßen, an ihr fest. Auch der Präsident Simson, schon in Frankfurt ein Mitbegründer der Erbkaiserpartei, gehörte seiner politischen Denkart und Gesinnung nach ihr an, wem auch seine Stellung an der Spitze des Reichstags ihn verhinderte, als eigentliches Mitglied der Fraction zu figuriren.

Von den vier Männern, die wir als Repräsentanten der heutigen nationalliberalen Partei unseren Lesern im Bilde vorführen, sind zwei, von Bennigsen und von Benda, gleichzeitig Mitglieder des Reichstages und des preußischen Abgeordnetenhauses von Bennigsen war von 1873 an bis zu der Katastrophe von 1879 erster Präsident des Abgeordnetenhauses, wie er früher im Norddeutschen Reichstage neben Simson, dem Manne der Wahl nicht einer einzelnen Partei, sondern des ganzen Hauses, als Vicepräsident seine Partei im Directorium vertreten hatte. Er ist seit der Secession der unbestritten maßgebende, ja der einzige die Partei nach außen vertretende Führer der nationalliberalen Fraction zugleich als „Landesdirector“ Hannovers ein wichtiger und einflußreicher Factor der Setbstverwaltung dieser Provinz; von Benda, Rittergutsbesitzer auf Kudow in der Altmark, ward zum Vicepräsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt, nachdem die Besetzung dieser Stelle durch ein Mitglied des Centrums, wie sie im vorigen preußischen Landtage stattgefunden, wegen des Verhaltens der Ultramontanen beim Kölner Dombaufeste selbst von einem Theile der Conservativen als nicht mehr statthaft befunden ward.

Miquél und Hobrecht sind lediglich Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Miquél hat, zum großen Bedauern seiner Parteigenossen, seinem Reichstagsmandate entsagt, seitdem er in die allerdings

ihn wohl sehr in Anspruch nehmende Oberbürgermeisterstelle in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_226.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)