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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Grundsätze und Gesinnungen, die ich, dank Deiner spartanischen Erziehung, mit der Muttermilch eingesogen?“

„Was brauch’ ich das anzuhören – kann mir’s ja denken,“ versetzte der alte Herr melancholisch, sein löwenmähniges Haupt auf den Arm stützend. „Sie haben Dir geschmeichelt, Dich gekirrt, Deinen Ehrgeiz geweckt, Dich bei der Eitelkeit gefaßt, Dir rothe Bänder mit allerlei Kindereien um den Hals gehangen – Geld natürlich wird auch seine Rolle gespielt haben, vielleicht auch die Weiber – Du liebe Zeit, so was kennt man ja – kenn’ ich ja von Anno dazumal her, ehe ich so gescheidt war, davon zu gehen über’s große Wasser. Was mich nur wurmt, ingrimmig wurmt, ist, daß ich beim ersten Schritt, den ich wieder – ich verdammter Narr – in’s alte Land setze, solch einen Abtrünnigen in meinem eigenen Sohne finden muß. Hätt’ ich Dich mit hinübergenommen damals!“ fuhr der alte Herr seufzend fort; „mit hinüber to the far west! Aber Deine Mutter wollt’s ja nicht – sie wollt’ es ja nicht, wie sie ja auch selber nicht mir folgen wollte – und diese Weiber haben nun einmal ihren Kopf.“

„Ihren Kopf, und wie Du nicht leugnen wirst, Vater, zuweilen wohl auch richtige Gedanken darin. Meine Mutter war eine schwache, leidende Frau, und ich damals ein Büblein von acht Jahren – was hätte aus uns werden sollen, wenn wir mit Dir so in’s Blaue hinrin, dem ganz ziellos Unbestimmten entgegen, in die weite Welt gezogen wären? Die Mutter wäre wohl auf der Reise schon gestorben, und ich hätte für die Ueberfahrt und alle Gefahren, die damit zusammenhängen, gewiß auch schwer büßen müssen – was,“ setzte Aurel lächelnd hinzu, „mich dann freilich vor meinem heutigen bitteren Schicksal, ein Minister sein zu müssen, bewahrt haben würde.“

Der alte Herr leerte schweigend sein zweites Seidel Bier und richtete dann seine Blicke mit dem Ausdrucke tiefer Wehmuth auf seinen mißrathenen Sohn.

„Du willst nicht die Erklärung anhören,“ hub dieser nach einer Pause wieder an, „wie ich, reisend an Alter und Erfahrungen, dazu gekommen bin, eine Stellung im Staatsdienst anzunehmen – Fürstenknecht zu werden, wie Du das nennst, und wie ich in diesem Staatsdienste gerade den Posten angenommen, von dem sich die Voraussetzung einer Dir verhaßten Gesinnung am wenigsten trennen läßt. Ich will Dich denn auch mit dieser Entwicklung nicht heimsuchen – sie brächte uns wohl in eine sehr lebhafte Debatte, und ich möchte nicht, daß wir unsern Aufenthalt in diesem Biergarten noch bedeutend verlängerten – aber eine Frage wirst Du mir doch wohl erlauben?“

„Frage!“

„Du bist ein Mann der allerentschiedensten Opposition. Du weißt, daß die Regierung den Staatswagen nach der einen Seite zieht, und hast Dich deshalb an die andere Seite gespannt. Dort ziehst Du – freilich siehst Du, daß unter solchen Umständen der Staatswagen nicht weiter rückt –“

„Sondern im Sumpf stecken bleibt – das ist richtig.“

„So kann Dir Niemand verdenken, daß Du die Zugkräfte da hinten, welche die Deinen und die Deiner Partei lähmen, mißbilligst. Nun aber hörst Du eines schönen Tages hinter Dir an der anderen Wagenseite ein ganz ungewöhnliches Klirren und Klappern, ein Geräusch, als ob Ketten fielen, ein Stampfen herankommender Rosse – Du siehst, daß diese Rosse an Deiner Seite, neben Dir, an den Staatswagen gehängt werden – daß sie, von einer mächtigen Hand gelenkt, mit hellem Wiehern muthig sich in’s Zeug legen – daß der Staatswagen aus dem jämmerlichen alten Sumpfe heraus vorwärts rollt – auf festem Boden triumphirend vorwärts – ganz in der Richtung, in welcher Du und die Deinen seit vielen, vielen Jahren zogen – was wirst Du nun thun, theurer ‚Governor‘, wie Ihr drüben, denk’ ich, sagt? Was wirst Du thun? Jubelnd über diese neue Wendung und treu Deinen alten Idealen, Deiner langjährigen Anschauung mitziehen am Staatswagen? Oder wirst Du die Treue gegen Dich selber darin suchen, daß Du Dir sagst: ‚ich bin einmal der Mann der Opposition und meine Bürgerpflicht gebietet mir, in der Opposition zu bleiben. Macht die Regierung den Staatswagen rollen – wohlan, ich bleibe fest auf der Höhe meiner staatsmännischen Mission und – werfe ihr Knüppel in die Räder‘?“

„Du willst doch nicht, daß ich glauben soll, Eure Regierungen hier ...“

„Ich will nichts, als daß Du Dich umschaust, prüfst, überlegst und dann erst urtheilst – als ein Mann ohne Vorurtheile. Seid Ihr nicht stolz darauf, Ihr drüben, keine Vorurtheile zu haben?“

„Ich denke, Dun wirst mir aber erlauben, so lange bei meinen Grundsätzen zu bleiben, bis ich herausfinde, daß sie Vorurtheile sind. Unterdeß will ich Dir den Gefallen thun und mit Dir aufbrechen, da es Deiner Excellenz doch nun einmal in diesem demokratischen Locale unbehaglich zu Muthe ist. Komm! Aber Eines sage ich Dir: In ein Ministerhotel bringen mich Deine umgespannten Regierungspferde, auch wenn sie alle zumal anziehen, nicht. Ich nehme Herberge bei meinem alten Freund Schallmeyer.“

„Aber, Vater,“ sagte Aurel erschrocken, „Deine Zimmer stehen in meinem Hause bereit – Du wirst doch bei Deinem Sohne wohnen?“

„Nimmermehr!“ versetzte der alte Herr bestimmt. „Soll ich mich da von Deinen Lakaien über die Achseln ansehen und von den Excellenzen, die Dich besuchen, durch ihre Pince-Rez beäugeln lassen, als wenn ich eine Rarität aus Barnum’s Museum wäre? Da kennst Du einen alten Republikaner schlecht. We live in a free country, Sir!

„Aber ich bitte Dich, es sähe aus, als ob ich den Vater verleugnete ... schon deshalb bitte ich Dich dringend ...“

„Nichts da, nichts da! Ich kann Dir nicht helfen, mein Sohn. Du wirst mir den Weg zu Schallmeyer zeigen.“

„Wenn Du es willst, aber Schallmeyer ist nicht Hotelbesitzer mehr; er ist heruntergekommen und hält nur noch ein kleines Hotel garni, so viel ich weiß – jedenfalls bist Du besser bei mir aufgenommen.“

„Kann’s mir denken, wirst ganz behaglich einquartiert sein – Du hast ja nur in den Staatssäckel zu greifen – würde mir da aber nicht recht schmecken – müßt’ an den Schweiß der armen Unterthanen denken; wenn Dein Champagner auch noch so gründlich in Eis gekühlt wäre, müßte doch an den Schweiß denken, der daran klebt – ich gehe lieber zu Schallmeyer. Er ist heruntergekommen, sagst Du? Desto besser – wird der rechte Mann für mich sein – war’s schon damals, 1848 – findiger Kopf – hatte Schneid, der rothe Schallmeyer!“

Dabei blieb der alte Herr, und nachdem die Excellenz bezahlt hatte, verließen Beide den Garten; der Junge mit dem Reisesack trabte wieder voraus und so zogen dieser, der alte Volksmann von 1848 und der Ministerpräsident von heute friedlich selbander in die Stadt ein und gelangten in die dem Thore nahe Gasse, wo der heruntergekommene Schallmeyer sein kleines Zimmervermiethungsgeschäft in einem mehr trist als gastlich dreinschauenden alterthümlichen Giebelhause betrieb.

Es sah in der That nicht sehr einladend aus. Die alten Quadern, aus denen es aufgebaut war, hatten eine wunderliche Farbe, als ob sie mit einem grünlichen Moder bedeckt seien, und das Ganze sah aus den braungestrichenen Fenstern mit den kleinen Scheiben mit einer unfreundlichen Lebensmüdigkeit darein. Die ausgetretenen Steinstufen, welche an die Hausthür führten, waren so weit vorgeschoben, als wollte das alte Haus boshafter Weise den in der Gasse Vorübergehenden damit ein Bein unterschlagen. Aurel sah ein wenig beklommen zu dem Bauwerk auf, während der Junge mit dem Reisesack die Klingel zog.

„Also wirklich – hier soll Dein Hauptquartier sein?“ fragte Aurel mit einem Seufzer.

„Hier soll es sein. Und Du thust mir einen Gefallen, Aurel, wenn Du mich nun mit dem alten Freunde allein lässest; ich mache das Weitere am liebsten mit ihm selbst ab und lege mich dann auf’s Ohr, die Reisestrapazen auszuschlafen.“

„Und wann kommst Du zu mir?“

„Morgen – in der Frühe morgen! Wir werden dann gründlich Alles durchsprechen. Alles! Habe Dir auch noch allerlei zu erzählen. Noch allerlei wunderliche Dinge. Mach’ Dich gefaßt darauf! Bis morgen also!“

Er reichte Aurel flüchtig die Hand und wandte sich dann, um durch die unterdeß geöffnete Thür zu treten, die sich hinter ihm und seinem Gepäckträger schloß. Aurel sah sich von seinem wunderlichen „Governor“ auffallend brüsk verabschiedet.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_223.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)