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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


4.

Liesl hatte sich behutsam in ihre Dachkammer geschlichen, nicht weil sie dem Vater oder Veronika zu begegnen fürchtete – sie lief ja gar oft in Wald und Feld umher, ohne daheim Rechenschaft über ihr Ausbleiben ablegen zu müssen, aber sie wollte allein sein. In ihrer Kammer war es warm und dumpfig, sie öffnete das Fenster und ließ die feuchte kühle Abendluft hereindringen. Dann löste sie langsam die breiten rothen Maschen von den langen Zöpfen und ließ diese nachdenklich durch die Finger gleiten. Ueber den Bösenbergen kam der Mond herauf, und sein weißes mattes Licht spiegelte sich in den dunklen Augen der Dirne, die gar seltsam funkelten und leuchteten. Waren es Thränen, die da glitzerten? Liesl’s jugendfrische Züge sprachen nicht von Schmerz. Um die festgeschlossenen Lippen zuckte vielmehr ein trotziges, herausforderndes Lächeln, das dem nichts Gutes bedeuten mochte, dem es galt. Aber der feuchte Glanz des Blickes, das Zittern der dunklen Wimpern widersprach gar eindringlich diesem Trotze, und der stürmisch wogende Busen schien die Fessel des engen Mieders schier sprengen zu wollen.

– Liesl! Wem gilt dieses Pochen deines jungen Herzens? Wem gelten die Thränen, die deinen trotzigen, klaren Blick sänftigen und umschleiern? Liesl! Arme Liesl! Blick nicht so starr die Dorfstraße hinauf! Der dort vom Teichbauerhause langsam herabwandelt, der schlanke Bursch mit den krausen schwarzen Haaren und der leichten Soldatenmütze daraus – der Teichbauer-Toni, was gilt er dir, was darf er dir gelten? Er, der arme Löhner, dir – der Braut? Du hast Ja gesagt zur Werbung eines ehrlichen Mannes, hast ihm vor dem Pfarrer und vor dem Vater die Hand zum Gelöbnisse gereicht, und wie lang dauert’s noch, so bist du sein Weib und kein Engel im Himmel macht dich frei, so frei, daß der Blick, mit dem du jetzt den einsamen Burschen da unten auf der Straße schier verschlingst, keine Sünde wär – und keine Schande! Liesl! Liesl! Ja, drück nur die Hände auf’s Mieder, versuche es nur, dem störrischen Ding da drinnen Ruhe zu gebieten, preß nur die Lippen noch fester zusammen, so fest, daß alles Blut aus ihnen entweicht – es steigt Dir nur um so wilder zu Kopf und Herz.

Blick hinunter! Schau, der Toni denkt ja gar nicht an dich; er wandelt still, Schritt für Schritt, im Mondschein und wirft keinen Blick, keinen einzigen, zu Dir herauf, die wohl möchte, daß er heraufsähe, und es doch wieder fürchtet. Wer weiß, woran er so verbissen denkt! Vielleicht an ein Brautpaar, das ihn heute Abend, dort oben an der Waldlichtung verhöhnt hat, verhöhnt, weil er jetzt arm ist und in Dienst hat gehen müssen, verhöhnt, weil er seine alte Mutter und seine jungen hülflosen Geschwister mit seinem sauer erworbenen Knechtlohne vor Hunger und Elend schützen muß! Vielleicht denkt er, daß die Braut gerade so schlecht und herzlos ist, wie ihr Bräutigam, weil sie kein einziges Wort für ihn hatte und keines gegen den protzigen Bauer neben ihr, dem sie sich versprochen hat, und der bald kommen wird, sie in sein reiches, stolzes Haus zu holen.

Jetzt steht der Toni dem Hause und dir gegenüber still, aber noch immer haftet sein Blick am Boden – er sieht dich nicht. Langsam geht er auf die Thür zu – noch ein Schritt und du kannst ihn von deinem Fenster aus nicht mehr erspähen …

Liesl! Was treibst du?! – Lege dich, wie sonst, still auf dein Lager, das dich so verlockend anlächelt und dir flüsternd von den süßen Träumen erzählt, mit denen es dich so oft beglückte! Undankbare, du hast kein Ohr für seine Sprache. Du öffnest die Thür … stürmst die Treppe hinab … wohin? Ist’s dein Schicksal, das dich ruft?

Liesl! Arme Liesl!! – –

In dem dunkeln Gange stößt der heimkehrende Toni auf einen weichen Arm, der seine Schritte hemmt.

„Wer is?“ fragt er.

„Bst! Sei stad!“ antwortet es aus dem Dunkel heraus, und eine heiße Hand erfaßt die seine. „Komm!“ flüstert es weiter, und er fühlt sich durch den Gang fortgezogen bis zu der Thür, die nach dem Hofe führt. Er will reden, will fragen, aber dieselbe weiche Stimme bittet flehentlich:

„Sei stad! Sonst weckst die Veronika, die neben in der Kammer schlaft.“

Die Stimme klingt ihm bekannt, und doch weiß er nicht, wem sie gehört. Schweigend gehorcht er und folgt seiner Führerin in den Hof, der noch halb im Dunkel liegt; denn der Mond steht noch tief und wirft den Schatten des Hauses scharf begrenzt über den Raum. Nur drüben in den erblindeten Stallfenstern spiegelt er sich matt.

„Liesl, Du bist’s?“

Der Teichbauer-Toni zieht überrascht seine Hand zurück.

„Schrei nit so! Sonst weckst die Leut’,“ flüstert Liesl ängstlich und fügt dann noch leiser hinzu. „I … i hab’ mit Dir red’n woll’n, weil … weil i Dir was sagen muß.“

„Du mir?“

„Ja, i Dir.“

„So red’!“

Wie ernst, ja rauh Toni’s Stimme klingt! Es schnürt der armen Dirne, die ganz verschüchtert und beklommen vor ihm steht, schier die Kehle zusammen. Am liebsten lief sie davon, aber nun muß sie ja wohl sprechen – und so spricht sie denn. Erst langsam und stockend, dann immer rascher und hastiger stottert sie hervor, was ihr durch Kopf und Herz zieht: daß sie keinen Theil habe an der hochmüthigen Rohheit des Bachschneider-Loisl, daß sie vor Scham habe kein Wort hervorbringen können, daß sie den Loisl, der ihr bislang nur „so gleich“ gewesen sei, nunmehr hasse und verabscheue, daß … ja daß … !

Dieses Letzte will nicht über ihre bebenden Lippen, aber die Hand, die sie dem Toni reicht, ist heiß und zittert so heftig, daß er sie in seine beiden Hände einschließen und darin festhalten muß, damit sie ihm nicht entschlüpfe. Sie schweigt, und er antwortet nicht, aber ihre Blicke begegnen sich, und Liesl könnte die Antwort in seinen Augen lesen, wenn sie überhaupt etwas sähe. Doch sie sieht nichts; wie ein Schleier liegt es über ihr; sie hört nichts; das stürmische Pochen ihres Herzens, das ihr die Besinnung rauben will, übertönt jeden Laut – mit einem jähen Ruck liegt sie an Toni’s Brust, umklammert seinen Kopf mit beiden Händen und drückt einen glühenden, schier wilden Kuß auf seine Lippen. Dann wieder ein Ruck – und sie ist verschwunden.

Der Teichbauer-Toni steht lange still, wie betäubt, ohne sich zu rühren. Dann fährt er jählings an Wangen und Augen, als wollte er prüfen, ob es kein Traum gewesen ist, was er erlebt hat. Nein, es war kein Traum. Er lächelt, nickt mit dem Kopfe dem Monde zu, der unvermerkt über das Hausdach geklommen ist und Alles mit angesehen hat – dann sucht er schwankend seine Schlafstätte auf.

Droben aber, in der Dachkammer, liegt Liesl fiebernd auf ihrem Bette und wacht mit geschlossenen Augen.




5.

Am Bachschneiderhof ging Alles seinen gewohnten ruhigen Gang, obwohl der Bauer den ganzen Morgen über nicht sichtbar wurde, sondern trotz aller Tageshelle in seinem Bette lag und schlief. Er war erst tief in der Nacht heimgekommen und obendrein nicht ganz gerade, wie der Roß-Jackl, pfiffig blinzelnd, den anderen Knechten aus einander setzte. Nebenan standen die Mägde beim Scheuern und schwatzten dazu.

„Wird scho klein beigeb’n, wann erst die Bäuerin auf’n Hof kommt,“ meinte Rosl, eine von den Hofdirnen.

„D’ Feuerliesl?“ spottete eine andere. „Na, die wird schon a saubere Bäuerin abgeb’n. So a Wildling mit Zöpferln und Mascherln wie a Stadtfräul’n!“

„Und wie ’s hupft und wie ’s d’ Augen verdraht – a schöne Bäuerin!“ fiel eine Dritte ein, und Alle schüttelten sich vor Lachen.

„Vor der krieg’ i mein Leb’n kan Respect!“ pflichtete die vierschrötige Kuhdirn bei und stemmte die rothen Arme herausfordernd in die breiten Hüften.

Da fiel ein Schatten zwischen die schwätzenden und lachenden Mägde.

„Ist Euer Bauer daheim?“ fragte eine helle Stimme.

„Der schlaft no,“ antwortete Rosl über die Achsel hin, ohne sich umzusehen, und plauderte weiter.

„So weckt’s ihn und sagt’s ihm, daß i mit ihm red’n will!“

Das klang so energisch und so sicher, daß Rosl sich überrascht umwandte und auch die übrigen Mägde unwillkürlich die Köpfe hoben, um sich den ‚raschen‘ (schneidigen) Besuch anzusehen. Hei, wie erschraken sie, als sie sahen, daß keine Geringere denn

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