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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

aber überreichte er mir die bereits geladene gewichtige Pürschbüchse seines Herrn, in deren Kugelkasten noch ein paar Reservegeschosse nebst Pflastern sich befanden, dazu noch die Tasche mit dem übrigen Schießzeug, sowie einigen Mundvorrath, und ohne weiteren Verzug ging’s aus dem Hause über den geräumigen Hof, wo uns die Hunde aus ihrem Zwinger vergeblich bittend um Mitnahme anwinselten, hinaus in’s Freie, hier anfangs über eine vor der Försterei liegende, heute glitzernd bereifte Dienstwiese und dann über ein sich daran anschließendes Gehau, von da an aber hinein in den dicht geschlossenen Hochwald. Ein alter Bestand mächtiger Tannen und Fichten umfing uns zuerst, darinnen so rabenschwarze Finsterniß herrschte, daß ich kaum meinem langsam vor mir herschreitenden Genossen zu folgen vermochte. Doch bald lernte auch mein Auge sich zurecht finden, und auf weichem Moosboden strebten wir gemeinsam bedächtig vorwärts. Lautlos, die volle Aufmerksamkeit auf unseren pfadlosen Gang gerichtet, schritten wir dahin, und nur einmal fesselte mich auf Augenblicke ein plötzliches Rauschen und Poltern hoch über uns in dem Geäst der Tannen – der Flügelschlag eines vor uns abstiebenden Auerhahnes, wie mir mein kundiger Begleiter erklärte. Sonst erreichten wir ohne jedwedes weitere Vorkommniß die Grenze des Forstes, und vor uns lagen nun, von allen Seiten in Wald eingeschlossen, die reifüberzogenen Felder. An deren äußerstem Rande aber verrieth sich ein dort liegendes Dorf durch den blassen Lichterschimmer, der hier und da aus einem Fensterchen drang, sowie durch den herübertönenden Dreischlag schon fleißiger Drescher und das dazwischen laut werdende Hundegebell.

An einer übergehaltenen Randtanne, welche den dahinter liegenden jüngeren Wald hoch überragte, vor mir zur Deckung ein halbmannshohes Fichtenbüschchen, stellte mich jetzt mein Leibschütz an mit dem Bedeuten, er selber werde an jener seitwärts von meinem Stande sichtlich vorspringenden Holzecke Stellung nehmen. Noch fügte der praktische Jägersmann vor seinem Abgange hinzu: daß er zwar bei mir bleiben solle, er habe aber das Vertrauen zu mir, ich werde mich auch ohne ihn behelfen können, nur sollte ich gut Acht haben, bei einem etwa abzugebenden Schuß nicht nach ihm hinüber zu feuern, es möchte von dort her kommen, was da wolle. Nach dieser Warnung und mit einem „Waidmanns Heil!“ verließ mich mein Cumpan und schritt leise seinem mir bezeichneten Stande zu.

Wie klopfte mir jetzt vor Wonne und Bangen das erregte Herz! Hatte ich doch endlich das oft geträumte Ziel erreicht, möglicher Weise ein Stück Hochwild erlegen zu können. Fertig, nur noch bis zum Stechen, hielt ich die mordschwere Büchse schußbereit in krampfhafter Hand, dabei aber so regungslos stehend, als wäre ich dem Boden entwachsen. Nur das Auge wendete sich dabei nach allen Seiten und suchte das noch herrschende Dunkel zu durchdringen, um auf der vor mir liegenden nebelgrauen Fläche äsendes oder wohl gar schon zu Holze ziehendes Wild zu entdecken. Meine Phantasie arbeitete gewaltig, und als es im Osten zu dämmern begann und nach und nach ein immer lichter werdender Streif den Horizont scharf vom Himmel abgrenzte, da stieg die Spannung auf’s Höchste, trat doch nun der Zeitpunkt ein, wo ich gewärtig sein konnte, Wild in Sicht zu bekommen. Und wahrhaftig, jetzt regte sich da draußen etwas. Bald konnte ich auch, ohne an Sinnestäuschung glauben zu müssen, wahrnehmen – es war inzwischen nothdürftig Büchsenlicht geworden – wie drüben aus den Feldern mehrere Stücke Wild – von welcher Art sie waren, konnte ich bei der noch zu großen Entfernung freilich nicht unterscheiden – dem Walde zu zogen, leider nicht nach mir herüber, auch nicht der Ecke meines Gefährten zu, sondern mehr abwärts von diesem. Mit scharfem Auge verfolgte ich die ruhig Dahinwandelnden und konnte, schritten sie zuweilen hinter einander her, vier Stück zählen.

Manchmal glaubte ich auch, einen Hirsch darunter zu entdecken, doch dann entschwand plötzlich das vermeintlich gesehene Geweih dem Auge wieder, und ich nahm deshalb an, daß ein sich einstellendes Hirschfieber mich genarrt habe. Inzwischen kam der kleine Trupp – es war Hochwild; das erkannte ich nun am Gebahren wie an der Größe der einzelnen Stücke bestimmt – dem seitlichen, für mich nicht beschießbaren Waldrande so nahe, daß er dort gegen den dunkeln Hintergrund meinen Blicken gänzlich entrann und ich annahm, die Colonne sei in’s Holz hineingezogen. Da ich mich noch der Hoffnung hingeben durfte, daß doch noch ein oder das andere Stück Wild draußen sein und erst später, dann aber vielleicht auf mich zu, den Wald aufsuchen könne, ich auch Befehl hatte, nicht eher abzutreten, als bis mir abgepfiffen oder ich abgeholt werden würde, so beharrte ich getreulich auf meinem Posten, unterließ auch nicht, von Neuem scharf auszulugen, aber nirgends wollte sich noch etwas zeigen. Da, auf einmal, als mein Blick abermals die Runde machte, erschaue ich, kaum fünfzig Schritte seitwärts hin, ein mächtig großes Stück Wild, den Kopf und Hals hinter einem dichten Fichtenbusch verborgen. Es war ein Anblick, der mir vor Erregung das Auge fast lähmte. Wirklich und leibhaftig stand da eine „Großjacke“ vor mir, die ich natürlich, weil’s ja mein Herz so heiß begehrte, für nichts anderes, als eine recht alte und dabei gelte „Plautze“ hielt, die ich also schießen durfte. Darum zauderte ich auch nicht einen Augenblick, auf mein Opfer, sobald ich es nur auf dem Rohre hatte, Feuer zu geben; denn etwa genaues Korn zu nehmen und die Büchse erst zu stechen, hatte ich im Jagdfieber rein vergessen, ebenso, daß ich nach der Richtung hin – sie lag in der Linie nach der verpönten Waldecke hin, wo mein Warner stand – gar nicht hätte schießen dürfen. Nach dem scharfen Knall meines Donnerrohres, den die kalte Morgenluft weithin dröhnen ließ, war mein Wild im Nu verschwunden und die Aufregung hatte mich nicht einmal sehen lassen, ob es gezeichnet hatte und wohin es überhaupt die Flucht genommen. Von einem Kugelschlag wußte ich nun gleich gar nichts.

Verteufelt rasch war mein grüner Controlleur, der Forstgehülfe, bei mir, mich scharf nach Ursache und Wirkung meines Schusses ausforschend. Bald hatte ich ihm Alles nach besten Wissen und Gewissen berichtet, und mit bedenklicher, mich höchlichst beängstigender Miene fragte er: ich hätte doch nicht etwa gar auf den starken Hirsch, der am Waldrande hin, von ihm ab und nach mir zu gezogen sei, geschossen?

„Na,“ tröstete er, „Sie werden ja doch ein Stück Mutterwild von einem Hirsch unterschieden haben, wenn Sie auch den Kopf davon nicht zu Gesicht bekommen.“

Dies war wohl eine für mich recht schmeichelhafte Voraussetzung, aber der Gedanke, daß ich möglicher Weise doch den von meinem Tröster erwähnten Geweihten vor mir gehabt hätte, trieb mir schon jetzt das Blut heiß zu Kopfe. Ich verzagte bereits über die Dinge, die sich da am Ende gar noch herausstellen möchten und die in meiner einmal aufgeregten Phantasie sich schon zu vollen Thatsachen gestalteten.

Vor Allem gingen wir jetzt, zur Aufklärung der heiklen Sache, auf den Anschuß, den ich hinlänglich bezeichnen konnte, da die dunkle Fichtengruppe, hinter welcher mein Wild halb verborgen gestanden hatte, als ich nach ihm geschossen, mir ein unverkennbares Merkmal für die betreffende Oertlichkeit geworden war. Am Platze angekommen, fand mein Gefährte sehr bald den Eingriff und die weitergehende Fluchtfährte eines – starken Hirsches. Himmel, wie ward mir hierbei zu Muthe! Noch schlimmer aber, als sich bei näherer Untersuchung der Stelle auch noch ganz kurze Schnitthaare und zum Ueberfluß auch noch einzelne frische Splitter einer Knochenröhre vorfanden. Nach diesen schlimmen Zeichen war der Hirsch also schlecht lauftlahm angeschossen.

Dafür wurden mir freilich keine Schmeicheleien gesagt, wohl aber hörte ich kraftvolle Jägerwünsche betreffs meiner laut werden, die einem Waidmanns-Heil höllisch entgegen liefen. Doch was half dies jetzt alles? Geschehenes konnte eben nicht ungeschehen gemacht werden, und es handelte sich jetzt nur noch um die Frage: Was nun zu thun? Und hierüber wurden wir denn auch bald dahin einig, dem Angeschossenen vor Allem Ruhe zu lassen, damit er sich recht bald und womöglich noch in derselben Dickung „stecken“ möge, in die er nach dem Schuß geflüchtet. Später wollten wir ihn aber mit Waldine, des Oberförsters „Däbe“, die aber auch als niedliches und fermes Schweißhündchen sicher Fährte hielt und ganz vorzüglich stellte, aufsuchen. Ihre einzige, allerdings abscheuliche Untugend, verendet aufgefundenes Wild sofort anzuschneiden, kam im vorliegendem Falle kaum in Betracht, da der Hirsch ja leider nicht tödtlich verwundet war.

Zu unserem Zwecke kreisten wir zuvörderst in weitem Bogen die betreffende Dickung ein, um so zu erforschen, ob der Hirsch darin geblieben oder bereits durchgezogen sei, was bei dem starken Reif, der auf Büschen und Wegen lag, leicht zu erkunden war. Nachdem wir hierzu das nöthige Terrain umschlagen hatten und feststellen konnten, daß der Kranke wirklich noch in der Dickung stecke, blieb

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