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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Eis den Boden bedecken, das innere Leben der Pflanzen, wie das prometheische Feuer, nie auf unserm Planeten erlischt.“

Die Familien der Eiben und Cypressen bieten in dem dunklen Taxus, den krausnadligen Wachholderarten (z. B. Juniperus virginiana), den lichteren Lebensbäumen und der wunderzierlichen Thujopsis dolabrata ein reiches Material zur dichtere Umhüllung und Mischung. Hierauf mögen sich weiter nach außen höher wachsende Arten Nadelhölzer anschließen, unter denen die herrlichste von allen, die spanische Abies Pinsapo, nicht vergessen werden darf, und den äußersten Umkreis würden endlich unsere eignen nordischen Nadelhölzer, die Kiefern, Fichten und Tannen zu bilden haben, mit Ausnahme der Lärche, welche Plinius mit Recht einen im Winter „traurigen“ Baum nannte.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß hier die Auswölbung einer Art immergrünen Nestes, als Seitenstück der Grotten und Cabinets de verdure der altfranzösischen Gärten angestrebt wird. Sogar den Boden dieses Nestes könnte man mit einem immergrünen Rasen aus demselben Material wie die Wände versehen, wenn man daselbst den glatt am Boden hinkriechenden und einen dichten immergrünen Nadelteppich bildenden niedergestreckten Wachholder (Juniperus prostrata) anpflanzen wollte.

Aber wir ziehen es vor, den hauptsächlichsten Raum des innern Beetes den Blumen des Wintergartens frei zu halten; denn wir brauchen bunte Farben in dem sonst sich gar zu düster färbenden Winterasyl. Hier wäre zunächst noch ein kleiner Kunstgriff sehr angebracht, um durch Contrastwirkung die im Winter herabgestimmte Farbe der Nadelhölzer zu heben, und dazu eignet sich nichts besser, als der rothe Hartriegel (Cornus sanguinea), dessen Zweige sich im Winter blutig roth färben und zwischen den dunkelgrünen Coniferen bis in den Vorfrühling hinein ungemein belebend wirken. Sie zeigen überdem einen ähnlichen Farbenwechsel wie die Lebensbäume, nur in umgekehrter Reihenfolge, indem sie sich im Winter lebhafter färben, als im Sommer.

Wir kommen nun zu dem Hauptstück unseres Wintergartens, zu dem inneren Rundbeet, dessen Rand mit Immergrün oder Buchsbaum eingefaßt werden kann, während die Fläche selbst ganz und gar mit Helleborus-Arten, den Winterblumen ersten Ranges, besetzt würde. Wie die Coniferen den eisernen Bestand der Grünwandung, so liefern sie den Farbenschmuck der inneren Decoration, und man erlebt Winter, in denen sie beinahe gar nicht aufhören zu blühen.

Den Ehrenplatz der Mitte gönnen wir selbstverständlich der herrlichen, anfangs weißgrünlichen, dann sich röthenden Christwurz oder Weihnachtsrose (Helleborus niger), die in milderen Wintern von Weihnachten an bis in den März hinein blüht und immer neue Blüthen aus dem leichten Schneegewande hervortreibt. Es ist wohl kein Zweifel, daß sowohl die Ueberlieferung von der Gründung Hildesheims an einer Stelle, wo mitten im Schnee Rosen blühten, wie auch die von Perger mitgetheilte Sage von der Rose bei Marienstein im Elsaß, die sich alljährlich in der Christnacht öffnet, ja, alle jene Märchen von in der Christnacht sich öffnenden Blumen auf diese Pflanze zu beziehen sind. So faßte die Sache schon der alte deutsche Botaniker Brunfels auf, als er um 1530 schrieb: die Pflanze wird „Christwurtz genannt / darumb das sein blum / die gantz gryen ist / vff die Christnacht sich vffthut / vnd blüet. Welches ich auch selb wahrgenommen vnd gesehen / mag für ein Gespötte haben / wer da will.“

Aber wem sollte das nicht wie ein holdes Märchen erscheinen, wenn er die, wilden Rosen gleichenden, zartgerötheten, einen goldenen Kranz einschließenden Blumen über dem weißen Leichentuche der Flur sich erheben sieht? Eduard Möricke, welcher das Wunder nach langem vergeblichem Suchen einst auf einem schneebedeckten Grabe erblickte, hat es in sehr wahr empfundenen Versen gefeiert:

„Schön bist du, Kind des Mondes, nicht der Sonne;
Dir wäre tödtlich andrer Blumen Wonne:
Dich nährt, den keuschen Leib voll Reif und Duft,
Himmlischer Kälte balsamsüße Luft.“

Auch wird Niemand sich darüber verwundern, daß man diese Blume geradezu als christliches Symbol und Mysterium gefeiert hat, wie es nicht nur Möricke, sondern auch die patriotische Dichterin Agnes Franz und Ludwig Bund gethan haben:

… „Geschmiegt in’s Taunendunkel,
Ein holdes Wunder, das sich nie erklärt.
Erblüht im Schnee und im Krystallgefunkel
Christblume, die der Geist der Liebe nährt.“

Diejenigen, welche culturhistorische Beziehungen in die Anlage des Wintergartens hineinspielen lassen wollen, mögen es versuchen, dieser christlichen Weihnachtsblume in ihrem Wintergarten jenes heidnische Weihnachtsgewächs gegenüberzustellen, welches schon die alten Druiden zur Zeit der Geburt Christi als Unterpfand der neuerstarkenden Sonne im Walde suchten und welches noch heute in Altengland bei keiner rechten Weihnachtsfeier fehlen darf, das grüngoldene Reis der um diese Zeit mit weißen Beeren geschmückten Mistel. Jemandem, welcher die Fortpflanzungsart dieses sagenreichen Gewächses studirt hat, würde es nicht schwer sein, es auf den jüngeren Zweigen der Kiefern seines Wintergartens anzusiedeln; als im Februar blühendes Gewächs gehört es um so mehr in den Wintergarten und gewährt aus dem dunklen Grün der Kiefer heraus einen überaus freundlichen Anblick. Man malt sich gern ein in diesem Wintergarten, unter lebenden, mit Lichtern geschmückten Bäumen gefeiertes Weihnachtsfest aus, wobei natürlich alle der Mistel in Altengland zugestandenen Privilegien, die ihre Ansiedelung schon allein belohnen, gelten müßten. Der freundlichen, mit den englischen Weihnachtsgebräuchen weniger genau vertrauten Leserin wollen wir unter dem Siegel der Verschwiegenheit verrathen, daß jedes junge Mädchen, welches von einem jungen Manne unter der Mistel getroffen wird, sich küssen lassen muß.

In unserem Wintergarten dürften aber auch die anderen mitteleuropäischen Nieswurzarten, namentlich Helleborus viridis und foetidus nicht fehlen, obschon sie in der Regel erst aufblühen, wenn der Winter schon zu Ende geht. Besonders bietet die zuletzt genannte Art, mit ihren vielen grüngelben Blüthenknospen, die wie Goldkugeln wundervoll von dem tiefgrünen Laube abstechen, schon lange vor dem Aufblühen, und wenn rings noch Schnee und Eis ausdauern, eine herrliche Zierde unseres Wintergartens dar. Aber auch die rosa bis tiefpurpurn gefärbten Arten aus Ungarn und Kroatien (Helleborus purpurascens und atrorubens) halten unsern Winter gut aus und verlangen, gleich den vorgenannten, nur bei scharfem, schneefreiem Froste eine leichte Decke. Wer sich eine kleine, mit einem Glasdache versehene Versenkung in seinem Wintergarten anbringen lassen will, kann darin noch manche andere schöne Nieswurzarten sowie mehrere der noch zu erwähnenden Blumen ohne alle künstliche Wärme in frühester Blüthe erhalten.

Eine andere schätzenswerthe, im Februar blühende Winterblume ist ferner der viel zu wenig gewürdigte Winterling (Eranthis hiemalis). Mit seinen großen, tiefgoldgelben Sternblumen erzeugt er den glänzendsten Contrast mit den beiden Schneeglöckchenarten (Galanthus nivalis und Leucojum vernum) und sollte womöglich stets in kleinen Gruppen mit denselben abwechselnd gepflanzt werden. In ihrer heiteren Wechselwirkung lassen sie uns, wenn rings noch Alles erstorben liegt, den köstlichsten Vorfrühling genießen, besonders, wenn im Hintergrunde Haselnußsträucher mit ihren gelben Troddeln und purpurnen Narben wirken. Wenn man eine nach Mittag blickende Mauer zur Verfügung hat, kann man gegen Ende des Monats ihre Wirkung durch Pfirsich- und gefüllte Mandelblüthe steigern, wenigstens im westlichen Deutschland; denn bei uns hat das Symbol des Fürwitzes, die Mandel, mit ihrer Ungeduld oft einen harten Stand, und das „Symbol der Vorsicht“, der zu allerletzt seine Blätter entfaltende Maulbeerbaum, den der bedächtige Ludovico Sforza in’s Wappen nahm und von dem er seinen Beinamen (il Moro) erhielt, hat nur zu oft Gelegenheit, das Sträuchlein Fürwitz auszulachen.

Wenn wir nun zum März übergehen, so haben wir an Blumen keinen Mangel mehr. Auf den schwarzen Beeten wetteifern frühe rothe Windröschen (Anemone Hortensis), weiße, gelbe und violette Crokus, blaue Scillen und gelbe Narcissen an Farbenpracht mit einander, und unter den Gesträuchen können wir Veilchen, Pulmonarien, Schlüsselblumen, Corydalis und Leberblümchen ziehen, aber in die Gesträuche selbst gehört mehr frisches Leben, als man gewöhnlich um diese Zeit darin antrifft. Da sollten die frühblühenden Forsythien mit ihren goldenen Glocken an den purpurnen Zweigen nirgends fehlen und noch weniger der gelbe Hornstrauch (Cornus mas), der in der Regel schon im Anfang des März seinen goldenen Blüthenschleier, wie überaus zartes Frühlingslaub durch die Büsche schimmern läßt. Eine schöne Abwechselung gewährt der häufig schon Ende Februar mit

rothen Blumen bedeckte Seidelbaststrauch (Daphne Mezereum),

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_143.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)