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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

werden, förmlich geplündert, fristete es ein Leben der Sclaven in dem freien britischen Reiche. Erst die große politische Umwälzung am Ende des vorigen Jahrhunderts, welche die despotischen Regierungsformen fortspülte und der Freiheit fast in der gesammten civilisirten Welt zum Siege verhalf, sollte auch ihm eine Besserung seiner unerträglichen Lage bringen. Im Jahre 1798 erfolgte eine neue Erhebung, die umsomehr Aussicht auf Sieg hatte, als sie von der ersten französischen Republik unterstützt wurde. Aber auch diesmal wurde die Hoffnung getäuscht, der Aufstand niedergeworfen und das Standrecht verkündet. Das irische Parlament wurde gedrängt, sich aufzulösen und die Union Irlands mit England gutzuheißen, die Stimmen der Abgeordneten aber kaufte man hierzu mit englischem Golde. Niemals war Irlands Stern so tief gesunken wie damals. Jedoch bald sollte die Welt das wunderbare Schauspiel erleben, daß dasselbe Volk, welches auf den blutigen Schlachtfeldern stets unterlegen war, in den Parlamentssälen seines Gegners mit den friedlichen Waffen des lebendigen Wortes und der Ueberzeugung den größten Theil der ihm entrissenen Freiheiten wieder eroberte. Der Lenker dieses denkwürdigen, in der Geschichte einzig dastehenden Befreiungskrieges war ein schlichter Privatmann, Daniel O’Connel, der Befreier der Iren, von dem unser Bluntschli sagt: „es hat wohl größere Staatsmänner, aber es hat keinen größeren und reineren Volkstribun gegeben, als ihn.“ Fast durch ein halbes Jahrhundert blieb die Geschichte des irischen Volkes an seinen Namen gekettet.

Der fühlbarste Druck, welcher damals auf Irland lastete, ging von der anglikanischen Staatskirche aus. Schon seit Elisabeth’s Zeiten hatte diese Staatskirche alles katholische Kirchengut in Irland, von den Bisthümern bis zu der kleinsten Pfarrei hinab, an sich gerissen; außerdem waren die katholischen Einwohner zur Unterhaltung der anglikanischen Pfarrer genöthigt. Doch müssen wir hier mit Nachdruck hervorheben, daß dieser Makel dem freien Geiste der Reformation, aus welchem auch die anglikanische Kirche hervorgegangen, niemals angehängt werden darf. Es wiederholte sich nur das oft Erlebte, daß, sobald die lebendige Lehre der Reformatoren durch hierarchische Institutionen zu einer todten Formel gemacht wurde, die Freiheit und die Toleranz in derselben sofort verloren gingen. Die Conservativen Englands, die ihren Söhnen und Vettern die irischen Pfarreien übertrugen, sträubten sich aus leicht erklärlichen Gründen gegen die Emancipation der Katholiken, die für sie den Verlust jener kirchlichen Einkünfte bedeutet hätte, während die liberalen Protestanten diese Staatskirche im Verein mit den Iren bekämpften und schließlich ihre Auswüchse beseitigten. Es war also kein Kampf um Glaubensgrundsätze, sondern ein Kampf um rein weltliche Dinge, in welchen jetzt Irland eintreten sollte. Außerdem war die Bezeichnung katholisch gleichbedeutend mit irisch, und während es scheinen konnte, daß man um kirchliche Freiheit stritt, stritt man thatsächlich um nationale Unabhängigkeit.

Gegen die Staatskirche war die Hauptagitation O’Connel’s gerichtet, da er wohl wußte, daß das ungebildete Volk, welches sich nur schwer für rein politische Ziele begeistern läßt, für den Glauben Gut und Blut geben würde. Er selbst war keineswegs vom blinden Glaubenswahne gefesselt; wo es für seine patriotischen Ziele nutzbringend war, da scheute er vor einer Allianz mit liberalen Protestanten niemals zurück.

Zu diesem Zwecke rief er im Jahre 1823 die katholische Association wieder in’s Leben, die anfangs nur zehn Mitglieder zählte, später aber so anwuchs, daß sie von der Regierung schon im Jahre 1825 aufgelöst wurde. Er fügte sich der Verordnung, aber mit dem wachsenden Drucke wurde auch seine Rede zum Volke kühner.

„Mit der tiefsten Demuth,“ sprach er bei dieser Gelegenheit, „haben wir vor einem Jahre vom englischen Senat die Wiederherstellung unserer Gesetze erfleht; er hat unsere Bitte zurückgewiesen; heute verlangen wir die vollständige Emancipation unbedingt und ohne Rückhalt. Wir flehen nicht mehr – wir fordern. Man sagt uns, daß dies nicht das Mittel sei zur Erlangung unserer Zwecke, ich aber sage Euch, daß es ein gutes und daß es das einzige Mittel ist. In den Tagen des Glückes hat England unsere gerechtesten, bescheidensten Bitten mit Verachtung zurückgewiesen, und nur in den Tagen der Gefahr hat es sich herabgelassen, uns anzuhören. So faßt Muth; denn es leidet!“

Sofort begründete er einen neuen Verein, der bereits im Jahre 1826 bei der Wahl zum Parlamente seinen eigenen Candidaten durchsetzte, und im Jahre 1828 siegte O’Connel selbst in der Urwahl gegen den Magnaten Lord Fitzgerald. Aber diese Wahl wurde cassirt und der Verein aufgelöst. O’Connel nun gründete sofort einen neuen Verein und wurde mit noch größerem Triumphe wiedergewählt. Inzwischen hatte man sich in London überzeugt, daß ein fernerer Widerstand fruchtlos wäre, und eine Emancipationsbill für die Katholiken durchgesetzt, durch welche O’Connel’s Eintritt in das Parlament möglich wurde. Natürlich begnügte er sich nicht mit dem kargen Maß der gewährten Gerechtigkeit – er forderte mehr. Und als die Regierung sich weigerte, auf dem Wege der Reform weiter zu schreiten, schleuderte er ihr die Drohung entgegen: Entweder Gerechtigkeit oder Lösung der Union! Im Jahre 1840 rief er auch die Nation auf, die Repealassociation zu gründen, vor der er sein politisches Programm in folgenden vier Hauptpunkten zusammenfaßte: 1) die kirchlichen Staatsrevenuen in England und Schottland werden nicht für die Minderheit des englischen und schottischen Volkes, aber die kirchlichen Staatsrevenuen Irlands werden für eine kleine Minderheit des irischen Volkes verwendet. 2) In Irland kommt nur ein Zwanzigstel der männlichen Bevölkerung zur Ausübung der parlamentarischen Freiheit, in England ein Fünftel. 3) England hat über fünfhundert Mitglieder im Parlamente, Irland nur Hundertfünf, während die Bevölkerung Irlands mehr als zwei Drittel der englischen Bevölkerung beträgt. 4) Die englischen Gemeinden hat man seit Langem reformirt, und selbst die Minister, die Irland gewogen sind, wagen nicht, auch Irland ein reformirtes Gemeindegesetz zu geben.

Das englische Parlament sollte vor Allem diesen Uebelständen abhelfen, oder, drohte O’Connel, er würde das irische Volk zum Abfall von England bewegen. Um dieser Drohung auch Nachdruck zu verschaffen, griff er zu einem bis dahin unbekannten Agitationsmittel, zu den monstre-meetings.

Diese Massenversammlungen wurden im Freien abgehalten, zumeist auf einem Hügel, von dem man historisch denkwürdige Orte übersehen konnte, Orte, die im Volke durch die Erinnerung an frühere Kämpfe der keltischen Urväter mit den anglosächsischen Eindringlingen in besonderem Ansehen standen, Orte, welche durch Sage und Geschichte geheiligt waren. Diese Art der localen Staffage war ein Meistergriff des berühmten Volkstribunen, der also unter freiem Himmel und doch in der Walhalla des irischen Ruhms und des irischen Leids zum Volke sprach. Auch wurde durch andere äußere Mittel für die Anregung der leicht entzündlichen Phantasie des irischen Paddy gesorgt; Fahnen und hölzerne Piken wurden hervorgeholt als Symbole der Kriegsstandarten und wirklicher Waffen. Man erzählt auch, daß einmal ein Sarg gebracht wurde, in dem der verhaßte Zehnte lag, den man unter dem Fluchen der angesammelten Menge begrub.

Heute wiederholen Parnell und Genossen dasselbe Spiel, und wir wollen nicht entscheiden, ob die Epigonen des Meisters würdig sind. Strenge Ordnung und friedliches Verhalten charakterisirten die Meetings, welche O’Connel leitete; denn er verstand die Kunst, „nahe an den Abgründen des Hochverraths und des Aufruhrs vorüberzugehen, ohne schwindlig zu werden“, denn „niemals,“ wie er von sich sagen durfte, „fand ein General in seiner Armee den Gehorsam, welchen das irische Volk den Wünschen eines einfachen Privatmannes leistete“.

Am 8. October 1843 sollte ein Monstre-Meeting zu Clontaiff abgehalten werden, zu dem man eine Million Menschen erwartete. Da erließ die Regierung am Tage zuvor eine Proclamation, durch welche die Volksversammlung untersagt wurde, und schickte Truppen an Ort und Stelle. O’Connel protestirte gegen diesen gesetzwidrigen Schritt, vermied aber jeden Conflict mit der bewaffneten Macht. Seine Eilboten sprengten nach allen Richtungen hin, und die Haufen und Banderien, die schon gegen Clontaiff zogen, kehrten auf seine Anordnung ruhig um. Die Regierung aber glaubte nunmehr schärfere Maßregeln ergreifen zu müssen, und erhob gegen O’Connel Anklage wegen Aufreizung zum Aufruhr. Am 12. Februar 1844 wurde der Volkstribun in Irland von den Geschworenen für schuldig befunden und ging nunmehr nach London, um von dem Parlamente die Cassation dieses „gesetzwidrigen“ Urtheils zu erwirken. Zuvor aber richtete er an seine Parteigenossen die Mahnung: „Wenn Ihr Eure Freunde achtet und Euren Feinden eine bittere Täuschung bereiten wollt, so bleibt

ruhig und enthaltet Euch jeder Gewaltthat.“ Am 29. Mai 1844

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_112.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)