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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

durch welches er, sein Pächter, in seiner Existenz geschädigt würde. Nie und nimmer würde er darauf eingehen, den Oekonomiehof hinter das Haus zu verlegen, so wenig wie er sich gefallen lasse, daß ihm seine Wohnung eines schönen Tages über dem Kopfe zusammengerumpelt werde. – Schließlich berührte er sehr von oben herab mit wenigen flüchtigen Worten den Umstand, daß er mit dem „Bischen Pachtgeld“ allerdings noch restire, aber er erwarte täglich eine bedeutende Geldsendung, die sein Sohn, ein grundreicher Mann in Californien, unbegreiflicher Weise verzögere – sofort nach Eintreffen des Geldes werde „die Bagatelle“ berichtigt werden.

„Ja, ja, so macht’s der Amtmann!“ lachte Peter Griebel gutmüthig, nachdem ihm Herr Markus den Briefinhalt mitgetheilt hätte. Er ist eben ein närrischer Kauz –“

„Ein närrischer Kauz? – was Du doch immer für gemüthliche Ausdrücke hast, Peter – ein Erz-Aufschneider ist er,“ unterbrach ihn seine Frau. Sie hatte Petersilie vom Beet geschnitten, war auf die oberste Stufe des Pavillontreppchens von der Gartenseite her gestiegen und streckte die Faust mit dem dicken Petersilienbündel warnend durch die offene Thür. „Lassen Sie sich um Gotteswillen mit dem nicht ein, Herr Markus! Sie werden über’s Ohr gehauen, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht. Der denkt auch, wie der Vogel Strauß, wenn er die Augen zumacht, da sieht’s kein Mensch, in was für ein Hungerloch er sich durch seine eigene Schuld gesetzt hat. … Mit dem Sohne in Californien will er Ihnen auch nur Sand in die Augen streuen, wie allen den dummen Leuten, die ihm geborgt haben. … Mag schon ein schönes Früchtchen sein, der Herr Sohn von so ’nem alten Schwindler!“

„Mach’s doch nicht gar zu schlimm, Jettchen! Bist doch sonst nicht so!“ sagte ihr Mann. „Von der Frau Oberforstmeisterin weiß ich, daß der junge Franz ein guter Mensch gewesen ist – nur der Zorn und Jammer über die miserable Wirtschaft auf der Domäne hat ihn in die weite Welt getrieben. Er soll auch einmal ein großes Stück Geld heimgeschickt haben. Freilich, nachher ist er verschollen, und seine alte Mutter soll sich deshalb fast zu Tode grämen.“

„Na, da hören Sie’s ja, Herr Markus!“ bemerkte Frau Griebel anzüglich, mit dem Daumen nach dem Sprechenden zurückweisend. – „Und da verlangt der Mann auch noch, man soll solch einen unnützen Burschen, der nicht einmal Papier und Tinte für seine Mutter hat, womöglich für eine Respektsperson ansehen. – Da kannst Du warten, Peter.“ – Damit kletterte sie brummend und schwerfällig die Treppe hinab, um ihre Petersilie in die Küche zu tragen.

Herr Markus durchmaß unausgesetzt das Pavillonstübchen, nachdem auch Peter Griebel in die nahe Laube gegangen war, wo ihm sein Töchterchen Butterbrot und Servelatwurst und ein Gläschen goldhellen Nordhäuser zum Frühstück auf den Steintisch gestellt hatte.

Mit dem Briefe des Amtmanns war die Erbschaftsangelegenheil, die der Zufall in die Hand des neuen Gutsherrn gespielt hatte, in eine neue Phase getreten. Heute Morgen noch hatte er gemeint, durch eine Besprechung mit seinem Rechtsanwalt, kurz vor seiner Abreise, und ein paar Briefe von Berlin aus werde sich der letzte Wünsch seiner Tante leicht in Ausführung bringen lassen, ohne daß der ihm so antipathische persönliche Verkehr mit den Betheiligten nothwendig geworden wäre. Nun erschien aber eine ganz neue Person auf der Bildfläche – es war ja auch noch ein Sohn da, von welchem die Verstorbene eine sehr gute Meinung gehabt haben sollte, wie Peter Griebel wiederholt versicherte, und dennoch erwähnte ihn die letzte Verfügung mit keiner Silbe. War er vielleicht auch so nachgiebig und weichherzig wie seine Mutter und der gewaltthätigen, rücksichtslosen Art und Weise des Amtmanns ebenso wenig gewachsen, so daß die Testatorin gefürchtet, auch in seiner Hand sei der letzte Nothanker nicht gesichert? –

Demnach mußte die alte Dame eine große Achtung vor der Charakterstärke des Mädchens gehabt haben, unter dessen Hut sie die Zukunft der unglücklichen Jugendfreundin zu stellen gewünscht hatte. Herr Markus begriff diese Verblendung nicht. – Die Verstorbene war der unermüdliche Fleiß, die Thatkraft selbst gewesen; auf dem Felde und im Milchkeller, in der Küche und im Laboratorium, am Krankenbette der Armen, wie am Schreib- und Arbeitstische hatte sie sich stets zur rechten Zeit finden lassen, und nie war es ihr in den Sinn gekommen, sich auch nur ein Band ihres Anzugs oder das Haar von fremder Hand ordnen zu lassen. … Wie in aller Welt nun kam diese praktische, thätige Frau dazu, ein Mädchen mit einer solchen Aufgabe zu betrauen, von welchem er eben noch gehört hatte, daß es sich selbst in seiner jetzigen derangirten Umgebung fortgesetzt auf die verwöhnte Weltdame spiele, nicht Hand und Fuß rege, um der verkommenen Wirthschaft aufzuhelfen, und auch noch Kammerjungferdienste von der Dienerin beanspruche, die sich von früh bis spät im Hauswesen, wie auf dem Felde plagen mußte?

Er verwünschte den „dummen Einfall“, in Folge dessen er den alten Strickbeutel durchstöbert hatte – wäre er doch so weise gewesen, das urvorweltliche Möbel mit seinem Inhalte unbesehen in der Kommodenecke vermodern zu lassen. Nun war er auch noch so bodenlos albern, sich das Geschick der alten Frau aus dem Vorwerk zu Herzen zu nehmen und die gewissenhafteste Erwägung für seine Pflicht zu halten. … So viel stand fest: die Frau Oberforstmeisterin hatte sich bei aller geistigen Klarheit und Schärfe in Charakter und Wesen ihrer erwählten Erbin gründlich getäuscht – möglicher Weise war ihr eine Komödie vorgespielt worden. War es nicht geboten, ihren Mißgriff zu corrigiren und doch lieber dem jungen Franz das kleine Erbe in die Hand zu geben? Wer bürgte denn dafür, daß sich für die „Weltdame“ nicht sofort ein Freier fand, wenn die Erbschaft ruchbar wurde? Dann zögerte Fräulein Gouvernante sicher keinen Augenblick mitzugehen; Fremde säckelten den Nachlaß ein und die arme Kranke auf dem Vorwerk hatte das Nachsehen.

Voll Aerger fuhr er sich mit beiden Händen durch das Haar; nun blieb ihm doch nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und die Verhältnisse bei „Amtmanns“ sammt dem „Gouvernanten-Fräulein“ mit eigenen Augen zu prüfen.

Er blieb tagsüber verstimmt und griff gegen Abend nach seinem Hut, um den Wald zu durchstreifen. Das dunkle Laubdach über dem Kopf und verworrenes Rankengestrüpp zu Füßen, arbeitete er sich am liebsten durch das wilde Dickicht, und wenn der schwach modrige, aber kräftige Walderdengeruch aus den frischen Fußstapfen zu ihm emporhauchte und das aufgestörte, unabsehbare Blättergewoge unter seinen pfadbahnenden Armen wie empört aufrauschte, da mußte er ironisch lächelnd der Anlagen gedenken, die sein Vater dem kümmerlichsten Fleckchen der märkischen Sandbüchse abgerungen. Wie erlogen breitete sich dort das Rasengrün mit seinen Teppichbeeten vor der Villa hin, und die glatten Wege der wie heuchlerische Coulissen aufgestellten Bosquets endeten mit all ihren künstlerischen Windungen schließlich doch zur schreckenhaften Enttäuschung in der Sandöde.

Ein nur von den Forstleuten und dem Holztransport frequentirter Fahrweg trennte das Gebiet des Hirschwinkels von dem sogenannten Grafenholz, dem fürstlichen Waldrevier, und nahezu mit dieser Verkehrslinie schloß die Thalsohle ab; der herrliche Buchenbestand fing an, steil bergauf zu klettern; nur noch ein kleines Stück Wiesengrund schmiegte sich zwischen ihn und den Weg, und auf diesem Rasenfleck stand das Haus des fürstlichen Forstwärters. Es war ein hübscher neuer Ziegelbau mit großen, blanken Fenstern und einem weißen Holzstaket zur Seite, das ein kaum zwei Beete breites Stückchen Gartenland umschloß.

Schon zweimal hatte Herr Markus auf seinen Streifereien hier Halt gemacht, und auch heute blieb er stehen, als die rothen Wände plötzlich aus dem Busch hervortraten. Der Waldhüter, der das Haus bewohnte, mußte ein wahres Klausnerleben führen; er war jedenfalls ein unverheiratheter Mann, der mit dem Hausschlüssel in der Tasche seinem Berufe nachging. Nie stand die Thür gastlich offen; nicht die Spur eines Rauchwölkchens kräuselte über dem Schornstein; an den Fenstern, die wohl ein paar Blumentöpfe auf den inneren Simsen, aber nirgends den Schmuck hübsch gefalteter Gardinen aufwiesen, zeigte sich kein Menschengesicht, so wenig wie man irgend ein Hantiren innerhalb der vier Wände hörte; nur droben am Giebelfenster hingen drei, vier hölzerne Vogelbauer, in denen Finken und Kreuzschnäbel lärmten, und an dem steilen Abhange hinter dem Hause kletterten zwei naschende Ziegen herum, die wohl in den Stall des Forstwärters gehörten.

Der neue Gutsherr im Hirschwinkel hatte oft genug die Lust verspürt, dem nachbarlichen Waldhüterhaus näher in die Fenster

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_043.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)