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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Unverstanden.
Von W. Heimburg.

„Vetter Ulrich! Vetter Ulrich!“ rief eine frische Mädchenstimme hinter mir, als ich eben aus dem Gartenpförtchen hinausging, und mich umsehend, erblickte ich über dem glänzenden Grün der Cornelius-Kirschhecke den blonden Kopf meiner Base Frieda.

Frieda war mir eigentlich mehr als nur Base. Ihr hübscher, kleiner, rother Mund hatte mir just vor einem Jahre in der verschnittenen Buchenlaube dort unten im Garten feierlich versprochen, sie wolle meine Frau Doctorin werden, eine Thatsache, die großen Sturm erregte in dem freundlichen Oberförsterhause. Denn der Onkel schalt uns dumme Kinder und wollte nichts wissen von einer Studentenverlobung, und die Tante, die gute, freundliche, stand officiell auf ihres Mannes Seite, heimlich aber tröstete sie an uns herum und malte uns in den prächtigsten Farben aus, wieviel schöner ein solches Glück sei nach einer kurzen Prüfungszeit, die noch dazu nur dreihundertfünfundsechszig Tage dauere.

Nach einem Jahre nämlich dürfte ich, wenn ich noch so dächte wie jetzt und es bis dahin wirklich zum „Doctor“ gebracht, auch glücklich das Staatsexamen bestanden hätte, im Oberförsterhause wiederum anfragen; so lautete des gestrengen Onkels Ultimatum. „Und,“ fügte er noch hinzu und nahm die Pfeife aus dem Munde, aus der er so rasch und hastig geraucht hatte, daß die blauen Wölkchen so regelmäßig wie bei einer arbeitenden Dampfmaschine hervorgequollen waren, „und, mein alter Junge, ich erwarte nun von Dir, daß Du dem Mädchen, der Frieda, nicht Fisematenten in den Kopf setzest mit Liebesbriefen und unnütz Papier verschwendest. Nach so einem Wisch sind die Frauensleute allemal acht Tage lang nicht zurechnungsfähig; bis sie geantwortet haben, verlieren sie Schlüssel, lassen die Suppe anbrennen, und wenn das Geschreibsel endlich zur Post ist, gucken sie schon anderen Tages nach Antwort aus, laufen dem Postboten meilenweit entgegen und heulen sich die Augen roth, kommt nicht zur rechten Zeit so ein rosenrother Papierfetzen; – ich will solche Wirthschaft nicht – laß es Dir gesagt sein!“

Was blieb mir übrig? Ich versprach es, und ehe ich abreiste, gelobte mir Frieda noch einmal ewige Treue in der Buchenlaube unten und ich ihr desgleichen, und die Thränen aus ihren großen blauen Augen wollten gar kein Ende nehmen. Ich mußte trösten und trösten und schied mit einem so schweren Herzen, wie man es eben nur haben kann, wenn man jung, Student und so bis über die Ohren verliebt ist, wie ich es in meine kleine blonde Cousine war. Ein Mann, ein Wort! Ich schrieb nicht an Frieda, obgleich ich nicht leugnen kann, daß ich anfänglich täglich einen Brief verfaßte: ich vernichtete ihn aber jedesmal – zu meiner Ehre sei es gesagt! Dennoch gewährte mir diese einseitige, nie ihre Bestimmung erreichende Korrespondenz eine gewisse Beruhigung, denn ich hatte doch Alles das, was mir das Herz zum Zerspringen voll machte, herausgefördert. Daß ich natürlich allerlei kleine erlaubte Listen anwendete, wird mir wohl Niemand verargen können. So zum Beispiel schrieb ich an meine liebe Tante und zukünftige Schwiegermutter einen langen Geburtstagsbrief; bis Dato hatte ich sie immer nur mit einer Karte beglückt, auf welcher ein bunter Blumenstrauß oder pausbäckiger Engel das „Ich gratulire“ illustrirte; nun schrieb ich und schrieb und fragte nach allem Möglichen und so nebenbei auch nach Frieda; denn der Onkel las alle Briefe seiner Frau. Ich erhielt auch eine Antwort auf diesen Brief, aber leider war's ein Lied ohne Worte; denn Tante begnügte sich, mir eine respectable Eßkiste, mit prächtiger frischer Wurst vom letzten Schlachten, nebst den besten Grüßen zu übersenden. „Sie habe so gar keine Zeit zum Schreiben“, war auf der Paketadresse noch hinzugefügt.

Nun erwies sich die Wurst zwar als sehr delikat, wie es bei einer Hausfrau vom Schlage meiner Tante gar nicht anders sein kann, aber so ganz befriedigte mich diese Antwort denn doch nicht; ich wandte mich in meiner Noth mit der Bitte um irgend einen guten Rath in irgend einer Angelegenheit, in der ich allein ganz gut wußte, was ich zu thun hatte, an meinen Onkel. Diesmal kam auch ein Brief „Junge, laß mich ungeschoren! Ich verstehe nichts davon, frag doch Deinen Alten!“ war ungefähr der Inhalt, und ein letzter Versuch, durch meinen Schwager in spe etwas von Frieda zu erfahren, lief nicht besser ab; denn der zehnjährige Bengel, dem ich wegen eines jungen Teckels schrieb, nach dessen Besitze ich angeblich strebte, antwortete mir freilich auch, aber der ganze Brief war mit Beileidsbezeigungen angefüllt, „weil leider alle jungen Teckel schon vergeben seien“. Gott sei Dank! Ich hätte wirklich nicht gewußt, wohin mit solchem kleinen Ungeheuer. – Aber von Frieda nicht ein Wort!

Seufzend ergab ich mich in das Unvermeidliche, und siehe, das Jahr verging; ich hatte es kaum für möglich gehalten. Nun war ich „Doctor“ geworden; ich hatte sämmtliche Examina summa cum laude bestanden, die Stelle eines zweiten Assistenten an der königlichen Universitätsklinik erhalten und war mit vollen Segeln in das Forsthaus am Harz eingelaufen, um im Hafen des Glückes zu ankern.

Aber – o weh! Meine kleine Cousine und heimliche Braut trat mir mit einem Ernst, ja, mit einer Kälte entgegen, verleugnete mit einer Natürlichkeit in ihrem Thun und Lassen jede andere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_593.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)