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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

„Oefter?“, wiederholte Edmund mechanisch. „War dies vielleicht das ,unselige Andenken‘, das noch heute verschwinden sollte? Es sollte wohl in den Flammen dort verschwinden und Du hast deswegen das Feuer anzünden lassen?“

Die Todtenblässe des jungen Grafen, seine völlig erloschene Stimme zeigten, daß er Schritt für Schritt dem Abgrunde näher kam, wenn er auch wohl noch nicht dessen ganze Tiefe ermaß. Heideck sah das und machte einen letzten, verzweifelten Versuch, ihn davon zurückzureißen.

„Edmund, jetzt ist meine Geduld zu Ende!“ sagte er, zur anscheinenden Gereiztheit seine Zuflucht nehmend. „Du verlangst doch wohl nicht im Ernste, daß ich Dir auf dergleichen tolle Phantasiegespinnste antworte?“

„Ich verlange, daß mir das Geheimniß dieses Bildes gelöst wird,“ rief Edmund, sich gewaltsam zusammenraffend. „Ich will wissen, wen es vorstellt. Du wirst mir Antwort geben, Onkel! Jetzt, in dieser Minute wirst Du das thun, oder Du treibst mich zum Aeußersten!“

Heideck zermarterte vergebens seinen Kopf, um irgend eine Ausflucht zu ersinnen. Er war nicht geschickt im Lügen und fühlte überdies, daß sein Neffe sich nicht mehr täuschen ließ. Die einzige Möglichkeit, die ihm noch blieb, war, Zeit zu gewinnen.

„Du sollst es später erfahren,“ sagte er ausweichend. „Jetzt bist Du allzu sehr erregt, bist noch krank an den Folgen Deiner Wunde. Jetzt ist keine Zeit, dergleichen zu erörtern.“

„Du verweigerst mir also die Antwort?“ brach Edmund los, plötzlich zur wildesten Heftigkeit übergehend. „Du kannst und willst sie mir nicht geben? Nun denn, so werde ich meine Mutter fragen – sie soll mir Rede stehen!“

Er stürzte aus dem Zimmer und stürmte die Treppe hinab; ehe der Oheim es verhindern konnte. Dieser eilte zwar sofort nach, aber es war vergebens. Als der Baron die Zimmer seiner Schwester erreichte, hatte Edmund die Thür des Salons bereits hinter sich abgeschlossen. Es war unmöglich, auch nur zu hören, was in dem zweiten dahinter liegenden Gemache vorging. Heideck sah ein, daß er jede Einmischung aufgeben müsse. Das Verhängniß ging seinen Gang.

„Das giebt ein Unglück,“ sagte er dumpf. „Arme Constanze, ich fürchte, Du wirst in dieser Stunde schwerer gestraft, als Du je gefehlt hast.“

(Fortsetzung folgt.)

Der Burschenschafter auf dem theologischen Lehrstuhl.
Eine Jubiläumshuldigung.[1]

Im Tübinger Ballhause, wo sich früher Samstag Abends die jüngeren Universitätslehrer zu treffen pflegten, sah man vor etwa fünfundfünfzig Jahren häufig zwei jugendliche Docenten der beiden theologischen Facultäten neben einander sitzen, in Gespräche über Vorzüge und Schattenseiten ihrer Kirchen vertieft. Der eine Dr. Adam Möhler aus dem württembergisch gewordenen Orte Mergentheim, ein feuriger Katholik, hatte sich damals mit voller Kraft auf das Studium der Systeme der protestantischen Theologen, vor Allem Schleiermacher’s, geworfen und glaubte aus ihnen mit wissenschaftlicher Folgerichtigkeit die innere Haltlosigkeit des Protestantismus, die Unmöglichkeit einer protestantischen Kirche erweisen zu können.

Der andere, Dr. Karl Hase, ein Sachse aus der Nähe des Erzgebirges, fand, obwohl Protestant und begeistert von der Heldengestalt Luther’s, doch eine besondere Lust daran, Glauben und Leben der katholischen Kirche, deren weltgeschichtliche Bedeutung er zu würdigen wußte, bis in’s Einzelnste kennen zu lernen, dessen gewiß, daß aus dem wissenschaftlichen und sittlichen Gesammtbewußtsein des Zeitalters die Nothwendigkeit des Protestantismus als ihres Gegensatzes von selbst hervorgehen müsse.

Das Nebeneinander katholisch- und protestantisch-theologischer Facultäten an einer und derselben Universität war damals noch neu in deutschen Landen und bestand ohne irgendwelche Trübung im collegialischen Verkehr; man hatte sich in den Jahren der Fremdherrschaft, welche die Zusammenwürfelung katholischer und protestantischer Landschaften und damit jene bedeutsame Universitätsreform, im Gefolge gehabt, vertragen gelernt. Und vielleicht fand Möhler bei seinem Gegner im Ballhause ein willigeres Ohr für seine theologischen Speculationen, als bei den meisten Autoritäten damaliger katholischer Wissenschaft, sicher aber fand Hase bei Möhler mehr Theilnahme, als bei den altväterischen Häuptern der Tübinger evangelisch-theologischen Facultät, die immer noch die Köpfe schüttelten, daß ein junger sächsischer Candidat, wo nicht von catilinarischer, doch von ungesicherter Existenz und jedenfalls sehr zweifelhafter Rechtgläubigkeit, es hatte wagen dürfen, mit nichts als dem leichten Ränzchen auf dem Rücken und den Hund zur Seite, in die schwäbische Universitätsstadt einzuwandern und hier, wo man nur von der Regierung besoldete Privatdocenten kannte, natürlich nur Inländer, es als Ausländer hatte durchsetzen können, bei der einzigen gläubigen Facultät Deutschlands als Privatdocent aufzutreten.

Die junge Universität aber hörte bei ihren Samstagzusammenkünften jene Beiden gern streiten, zumal sie sich inmitten der heiteren Umgebung immer wieder freundschaftlich zusammenfanden – höchstens, wenn der junge Dr. Autenrieth, der Sohn des Kanzlers, mit dem Worte in ihre Unterhaltung fiel: „Aber Möhler, heirathen darfscht doch nicht!“ wurde Möhler wehmüthig stille, und die Freunde flüsterten einander zu, daß er seinem Priesterthum eine tiefe Jugendleidenschaft geopfert hatte.

Zehn Jahre weiter – und Möhler, der stets den Geist der Duldung bewahrt, auch 1830 kein Bedenken getragen hatte, sammt den übrigen Mitgliedern der katholischen Facultät auf Einladung der evangelischen das Jubelfest der Augsburgischen Confession mitzufeiern, war durch seine „Symbolik“ und die ihretwegen mit den berühmtesten protestantischen Theologen ausgefochtenen Kämpfe der gefeiertste katholische Kirchenlehrer der Zeit, bis nach seinem frühen Tod (1841) die geistige Führerschaft in der katholischen Theologie auf seinen Freund Döllinger überging. Gleichfalls ein Jahrzehnt nach seiner Tübinger Begegnung hatte Hase mit seiner „Kirchengeschichte“ (1834), die, wie noch kein Werk auf diesem Gebiete, das Culturleben der Völker in weitestem Umfang in den Kreis geschichtlicher Betrachtung zog, auf einen Schlag seine Berühmtheit begründet. Fortan verbindet sich mit seiner Person der Begriff eines Mannes, der, wie nie vor ihm ein Protestant, den Geist der römischen Kirchenpolitik bis in die entlegensten Schlupfwinkel zu verfolgen verstand; und er hat später vor Allem in seinem „Handbuch protestantischer Polemik gegen die römisch-katholische Kirche“ das wissenschaftliche Waffenarsenal aufgespeichert, für den deutschen Culturkampf – der Moltke in der Geisterschlacht wider die römische Hierarchie.

Karl August Hase wurde am 25. August 1800 als der älteste Sohn des Pfarrers in Steinbach, an einem Abhang des Erzgebirges, geboren. Familienüberlieferung war, daß die Hases „von lauter Pfarrern“ stammen; in verschiedenen Zweigen, Pfarrer auf Pfarrer, hatten sie seit zwei Jahrhunderten in Sachsen und Thüringen geistliche Stellungen eingenommen. Bisweilen hatte wohl einer des Geschlechts den Ring durchbrochen, wie denn Karl Benedikt Hase, ein Vetter unseres Karl, in Jena 1802 die Theologie an den Nagel hing, mit wenigen Thalern nach Paris wanderte und sich dort allmählich zu einem der größten Sprachenmeister des Jahrhunderts herangebildet hat – von Napoleon dem Ersten bis Napoleon dem Dritten, dessen Lehrer er war, der Bewahrer aller handschriftlichen Schätze der Pariser Bibliothek. Indeß die meisten harrten im geistlichen Berufe aus. Auch unserm Hase, dessen Vater und Großvater Pfarrer im Patronate des Grafen von Einsiedel, dessen Mutter eine Pfarrerstochter aus

  1. Am 15. dieses Monats feiert der kernig deutsche, geistvolle Vorkämpfer eines gesunden Protestantismus und tapfere Märtyrer für die Volkssache in schwerer Zeit, von welchem obiger Aufsatz handelt, das fünfzigjährige Jubiläum des Antritts seiner Lehrthätigkeit an der Universität Jena. Den Glückwünschen, welche dem in seltenem Maße von der Liebe und Verehrung weiter Kreise getragenen Manne zuströmen werden, fügt auch die „Gartenlaube" den ihrigen hinzu.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_468.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)