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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 20.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Oswald, der das Kopfzerbrechen seines Vetters überflüssig zu finden schien, lehnte sich schweigend in die Ecke zurück, und die Fahrt wurde nunmehr ohne weiteres Hinderniß, aber mit der früheren Langsamkeit fortgesetzt. Man hatte, zum großen Aerger des Grafen, auf allen Stationen statt der verlangten vier Postpferde nur zwei erhalten, da in Folge des Schneefalls die Thiere bei den gewöhnlichen Posten Aushülfe leisten mußten, und so hatten die Reisenden sich seit der Abfahrt von der Bahnstation heute Mittag um volle zwei Stunden verspätet. Die Dunkelheit brach schon herein, als der Wagen endlich in den Schloßhof von Ettersberg rollte, wo die Ankömmlinge augenscheinlich längst erwartet wurden. Die Thüren der großen, hell erleuchteten Eingangshalle standen weit offen, und mehrere Diener eilten geschäftig herbei. Einer derselben, ein alter Mann, der gleichfalls die reiche Ettersberg’sche Livrée trug, trat sofort an den Wagen.

„Guten Abend, Eberhard!“ rief Edmund fröhlich. „Da sind wir, trotz Sturm und Schneegestöber. Es ist doch Alles wohl zu Hause?“

„Gott sei Dank, ja, Herr Graf! Aber die Frau Gräfin waren schon in großer Sorge wegen der Verspätung und fürchteten, daß die jungen Herrschaften einen Unfall gehabt hätten.“

Damit öffnete Eberhard den Schlag, und gleichzeitig erschien oben auf den Treppenstufen, die von der Eingangshalle in das Innere des Schlosses führten, eine Dame von imposanter Gestalt, in dunklem Seidenkleide. Aus dem Wagen springen, in die Halle stürzen und die Stufen hinauffliegen, war für Edmund das Werk eines Augenblicks, schon im nächsten lag er in den Armen seiner Mutter.

„Mama! geliebte Mama, endlich sehe ich Dich wieder.“

Der Ruf hatte nichts von jenem tändelnden Uebermuthe, den der junge Graf bisher ausschließlich gezeigt. Das war der volle, echte Herzenston, und derselbe Ausdruck leidenschaftlicher Zärtlichkeit lag in der Stimme und in den Zügen der Gräfin, als sie den Sohn in die Arme schloß und küßte.

„Mein Edmund!“

„Wir kommen spät, nicht wahr?“ fragte dieser. „Die verschneiten Wege und die elenden Posteinrichtungen sind schuld daran, und dann hatten wir auch unterwegs ein kleines Abenteuer.“

„Wie konntest Du überhaupt in solchem Wetter reisen!“ sagte die Gräfin mit liebevollem Vorwurf. „Ich erwartete stündlich die Nachricht, daß Du in B. bleiben und erst morgen eintreffen würdest.“

„Sollte ich noch vierundzwanzig Stunden von Dir getrennt sein?“ unterbrach sie Edmund. „Nein, Mama, das hätte ich sicher nicht vermocht, und das hast Du auch nicht geglaubt.“

Die Mutter lächelte. „Nein, und eben deshalb habe ich mich während der letzten beiden Stunden so geängstigt. Aber jetzt komm! Du mußt Dich von der kalten und stürmischen Fahrt erholen.“

Sie wollte den Arm ihres Sohnes nehmen, aber dieser blieb stehen und sagte mit leisem Vorwurfe:

„Mama, siehst Du denn Oswald nicht?“

Oswald von Ettersberg war seinem Vetter schweigend gefolgt. Er stand seitwärts im Schatten des Treppenpfeilers und trat erst hervor, als die Gräfin sich zu ihm wandte.

„Willkommen, Oswald!“

Die Begrüßung klang sehr kühl, und ebenso kühl und förmlich war die Art, mit welcher der junge Mann seine Lippen auf die Hand der Tante drückte, deren Blick jetzt befremdet über seinen Anzug hinglitt.

„Du bist ja vollständig durchnäßt. Was ist denn vorgefallen?“

„Mein Gott, das habe ich ganz vergessen zu erzählen,“ rief Edmund. „Er gab mir beim Aussteigen seinen Mantel und hat nun selbst die ganze Witterung aushalten müssen. Oswald,“ wandte er sich an seinen Vetter, „ich hätte ihn Dir doch wenigstens im Wagen zurückgeben können; warum erinnertest Du mich auch nicht daran? Nun bist Du noch eine volle Stunde lang in dem nassen Ueberrock gefahren. Wenn Dir das nur nicht schadet!“

Er nahm hastig den Mantel ab und legte die Hand prüfend auf den allerdings völlig durchnäßten Ueberrock Oswald’s; dieser machte eine abwehrende Bewegung.

„Laß doch – es ist ja nicht der Rede werth.“

„Das glaube ich auch,“ nahm die Gräfin das Wort, der diese Sorgfalt entschieden zu mißfallen schien. „Du weißt ja, daß Oswald Witterungseinflüssen ganz unzugänglich ist. Er braucht nur die Kleider zu wechseln. Geh, Oswald! Aber noch eins,“ setzte sie flüchtig und wie beiläufig hinzu, „ich habe Dir ein anderes Zimmer anweisen lassen – eines drüben im Seitenflügel.“

„Weshalb denn das?“ fragte Edmund betroffen. „Wir haben ja sonst stets neben einander gewohnt.“

„Ich habe einige Aenderungen in Deiner Wohnung getroffen, mein Sohn,“ sagte die Gräfin in sehr bestimmtem Tone, „und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_317.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)