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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


in verstärktem Maße als ein der allseitigen freudigen Pflege nicht nur würdiges – daran zweifelt Niemand – nein, auch bedürftiges erscheinen möge. Das ist es aber in jedem Sinne, nicht nur in dem engen Sinne des Geldbedürfnisses, obschon auch dieses nicht unterschätzt sein will.

Denn was sind 52,000 Mark, wie die Stiftung sie, nach Mittheilung ihres letzten Jahresberichts, an Unterstützungsbedürftige verausgabte? Mehr als 180 beträgt die Ziffer dieser Letzteren. Man rechne, was auf den Einzelnen kommt. Und sind es denn Einzelne? Die Mehrzahl hat doch eine ganze Reihe von Familiengliedern hinter sich. Wie viele ihres Versorgers beraubte Wittwen stehen auf der Liste! Wittwen mit noch unerzogenen Kindern! Wer nach dem allgemeinen Hörensagen immer von den „Reichthümern der Schiller-Stiftung“ spricht, würde bald andern Sinnes werden, wenn er der Verwaltung angehörte. Das Vermögen der Stiftung erwächst sehr langsam. Nur in ganz seltenen Fällen gedenkt man ihrer, wo Vermächtnisse gemacht werden – nicht aus Lauheit für die gute Sache überhaupt, aber wohl aus Unklarheit über die Verhältnisse der Stiftung, von deren Midasreichthümern man sich nun einmal die ungeheuerlichsten Vorstellungen gemacht hat.

Noch mehr als durch pecuniäre Zuwendungen jedoch würde sich das der Stiftung wieder in vermehrtem Maße zugewandte Interesse durch Gründung von neuen Zweig-Stiftungen bethätigen lassen. Wie wenige Städte haben sich bisher das Verdienst erworben, durch Gründung solcher Zweig-Stiftungen für die Invaliden und Veteranen der deutschen Literatur etwas zu thun! Vierundzwanzig erst giebt es, vierundzwanzig in fünfundzwanzig Jahren! Man schlage einmal nach, wie viele namhafte Städte Deutschland und Deutsch-Oesterreich zählt! Sollte es mehr als der Klarstellung all dieser Sachlagen bedürfen, um einflußreichen und national gesinnten Männern den Gedanken in's Herz zu geben, auch in ihrem Kreise, auch in ihrer Stadt muthig Hand an's Werk zu legen, wie es Oppermann und seine Freunde in dem kleinen Nienburg gethan haben?

Fast Alle, die vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren mit Begeisterung unsere „Stiftung“ gründen halfen, deckt heute der grüne Rasen: Hammer, Gutzkow, Serre, Grün, Halm, Mosenthal, Oppermann, Brockhaus, Veit, Heller, Merck, Zabel, Kugler, Professor Blum, Cotta, Carus, Wietersheim, Pfotenhauer, Hackländer, Holtei und wie viele Andere, die damals Mühsale und Demüthigungen nicht scheuten, um das muthig Begonnene auch zu Ehren der Nation zu gutem Ende zu führen.

Von den Männern, welche die Nationallotterie durchführen halfen, lebt nur noch Einer: Hofrath Alexander Ziegler. Den unermüdlichen juristischen Berather des Major Serre, Bürgermeister Hertel in Dresden, haben wir vor wenigen Wochen zur letzten Ruhe bestattet. Nun denn, wohin dieses Blatt dringen mag, da sage man sich: auch ich habe Theil an jenen Ehren und was ich aus Unbekanntschaft mit dem wirkliche Sachverhalt bis heute zu thun unterließ, das will ich jetzt nachholen!

R. Waldmüller.




Am Eingange des Vierwaldstädtersees.
Etwas für die kommende Reisesaison.

Der Sommerverkehr in der Schweiz gruppirt sich hauptsächlich um die zwei schönsten Seen derselben, den Genfersee und den Vierwaldstädtersee. Es wird ewig ein unausgemachter Streit unter den Schweiz-Touristen bleiben, welcher dieser Seen der reizvollere sei, denn die Entscheidung ist reine Geschmackssache. Da ist nicht die Rede von einem Mehr oder Weniger der Schönheit: die Art der Schönheit bildet das Streitobject. Man würde ebenso erfolglos streiten, ob ein schöner Mann oder ein schönes Weib im Punkte der Schönheit höher stehe. Praktisch dürfte jene Frage für die nächste Zeit zu Gunsten des Vierwaldstädtersees entschieden werden, und zwar durch die Gotthardbahn und die projectirte Arlbergbahn. Für die Arlbergbahn würde allerdings nur in Betracht kommen, daß dieser See der nähere ist, aber für den Gotthardbahnverkehr wird er geradezu den Centralpunkt bilden.

Den Schlüssel zu diesem wunderbaren Gewässer, das wie ein seltsam gebrochenes Kreuz in die riesige Alpenwelt der Urschweiz hinabgedrückt ist, stellt Luzern dar, und in Luzern wird die Direction der Gotthardbahn ihren Sitz nehmen.

Die Lage Luzerns ist in ihrer Art unvergleichlich. Flach hingelagert, das niedrige Bergland der Vorschweiz hinter sich, wird die Stadt rechts und links von je einem Alpenriesen flankirt, hier dem Rigi, dort dem Pilatus; vor sich hat sie den grünen See, der ein Stück hin seine beiden Kreuzarme hinter den Pilatus und vor den Rigi schiebt, und über das Seepanorama erhebt sich zwischen letzteren beiden der massige Zug des Bürgenstocks, dem die Häupter einer immer gewaltiger sich aufreckenden Alpenwelt über die Schulter blicken. Der Rigi ist ein breiter, dicker, bequemer Patron, ein gutmüthiger Riese; freundlich leuchten die hellen Culmhäuser von dem sanft rundlichen und übergrünten Koloß hernieder, und ein blau aufschwebendes Wölkchen mahnt an die kecke Bahn, welche ihm den Leib überschnürt hat. Dort oben genießt der Glückliche, Wetterbegünstigte das berühmte, unbeschreibliche Panorama; dort lagert sich's so gemüthlich auf dem kurzen Almrasen; vielleicht hat selbst der Juli droben noch ein grau-überkrustetes Schneebett bewahrt, aus dem eine lustige Gesellschaft das Material zu einem Schneeballkrieg im Sommer nehmen kann. Anders der Pilatus, der locale Wetterzauberer mit der energisch geschnittenen Physiognomie und dem kahlen Scheitel: steil, geklüftet und doch compact, gewaltig und trotzig steht er da; zuweilen, wenn die Gewitterballen lebendig werden auf seinem Gipfel, hat er etwas unheimlich Persönliches, und man begreift die Sagenwelt, die sich um ihn gesponnen hat, und das vor Zeiten der Gespenstergefahr wegen erlassene Verbot, den Berg zu betreten.

Unten aber, in der anmuthig saubern Schweizerstadt ist nichts Unheimliches zu finden. Da ist alles luftig, farbenhell und baumgrün; da zieht sich, über der Reuß drüben, am linken See-Ufer eine Hôtel- und Villenpracht hin mit schattiger Seepromenade: der Schweizerhofquai; da ragen die Thürme grauer Stadtmauern und imposante Kirchenbauten, und auf der vielbrückigen grünen Reuß schwimmen zahme Schwäne und tummelt sich die Menge halbgezähmter Wasserhühner mit dem eigenthümlich kurzen Schrei und den wunderlich ausgebogten Schwimmhäuten an den Zehen.

Die Stadt birgt Manches, was für den Fremden der Besichtigung werth ist – in erster Linie das Löwenmonument. Es liegt seitab in der Weggisvorstadt; der Weg führt bei dem Meyer'schen Diorama, in welchem man die Rigi- und Pilatus-Aussicht, gut gemalt, bei effectvoll wechselnder Beleuchtung zum Voraus studiren kann, dann bei dem Staufer'schen Museum ausgestopfter Alpenthiere vorüber. Im kühlen Schatten üppigen Grüns stehen wir vor einem Bassin, hinter welchem eine steile glattgehauene Felswand aufsteigt. Da ruht, von dem Constanzer Meister Ahorn nach Thorwaldsen's Modell in den Sandstein des Felsens gehauen, der Löwe von Luzern, ein Denkmal für die treuen Schweizer des unglücklichen sechszehnten Ludwig's von Frankreich. „Helvetiorum fidei ac virtuti“ steht über der Nische; die Namen der gefallenen Tuilerienvertheidiger sind unter ihr mit Goldschrift verzeichnet.

Ein ergreifendes Bild, dieser sterbende Löwe mit der abgebrochenen Lanzenspitze zwischen den Rippen und dem leisen Ausdruck des Schmerzes im Gesicht, der die Majestät des Gewaltigen erst recht zur Geltung bringt! Rings ist es still; die wenigen Besucher des Denkmals flüstern blos; kühler Wasserdunst webt in dem Schatten, in den sich nur vereinzelte Lichter zu stehlen vermögen, und leise glucksend fallen die Tropfen, welche – nicht ohne Schaden für die am meisten exponirte Partie des Monumentes – vom feuchten Felsen sich lösen, in das Bassin nieder.

Im nahen Gletschergarten kann man die wunderbaren Riesentöpfe, sechszehn Strudellöcher aus der Gletscherzeit, nebst Felsblöcken voll uralter Gletscherspuren betrachten, und ebenda Pfahlbautenreste und das Pfyffer'sche Relief der Urcantone aus dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts. Reste der bildenden Kunst aus alter Zeit bewahren das Rathhaus, die originelle Capellbrücke über der Reuß nahe dem Bahnhof mit ihren possirlichen Bildern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_312.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)