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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


schließen sich, außer kleineren Räumlichkeiten für die Benutzung des kaiserlichen Hofes bei seiner Ankunft, noch Säle, welche vorläufig für Verwaltungszwecke bestimmt sind, an. Der Kopfperron quer vor den Schienen selbst, welcher uns zuerst aufnahm, soll für den Sommerverkehr als Aufenthaltsraum für das abreisende Publicum benutzt und dementsprechend mit Sitzplätzen und Tischen ausgestattet werden. Sogar einen in unglaublicher Weise gesteigerten Verkehr würde dieser riesige Raum mit seinem Umfange von 900 Quadratmeter – nur 270 Meter weniger, als der weltberühmte große Gürzenichsaal in Köln – bewältigen können.

Auch die Längswände der inneren Bahnhofshalle bieten, vom Kopfperron aus betrachtet, ein ebenso eigenartiges wie eindrucksvolles Bild. Dieselben werden in Zwischenräumen von je 14 Meter (Achsweite) – statt der meist üblichen einzelnen Wandpfeiler – durch eine Anzahl von Doppelpfeilern unterbrochen, auf welchen die eisernen Gewölbeträger, zu zweien gekuppelt, aufsetzen; inmitten je zweier Doppelpfeiler, deren Lücke durch Terracottaplatten verkleidet ist, erheben sich die hohen, sieben Meter breiten Hallenfenster. Diese Anordnung giebt ein unterscheidendes Merkmal von derjenigen der übrigen Berliner Hallen ab, bei welchen die Entfernung der einzelnen Bänder höchstens 7,5 Meter beträgt, und steigert durch ihren mächtigen Maßstab den großartigen und edlen Eindruck der Halle. Ebenso erhöht ein sehr eigenartiger Raum über der großen Corridorhalle den monumentalen Charakter des Bahnhofes: eine Loggia von riesigen Dimensionen, welche, nach innen geöffnet, auf den Kopfperron herabblickt.

Ueber die innere Einrichtung der Räumlichkeiten zu berichten, ist vor deren Fertigstellung unmöglich: daß dieselbe der großartigen Anlage des Werkes entsprechen wird, verbürgt unzweifelhaft der vornehme Sinn und vollendete Kunstgeschmack des Baumeisters.

Es erübrigt noch, einige Daten über die Kosten des Baues anzugeben: für den Innenbahnhof ist ein Aufwand von 6,300,000 Mark erforderlich gewesen. Hierzu treten weitere 7,200,000 Mark für den Güterbahnhof, während die Kosten des Rangirbahnhofes und der Werkstatt 1,500,000 beziehungsweise 3,000,000 Mark betrugen. Die letzteren beiden Anlagen befinden sich auf der Tempelhofer Feldmark, im Süden der Stadt. Sobald der Personenbahnhof zur Benutzung gelangt, werden auch die bisher gesperrten Strecken der großen äußeren Ringstraße von Berlin – der Bülow- und York-Straße, dem Verkehr übergeben werden. Dieselben sind unter der Anhaltischen, Potsdamer und Dresdener Bahn hindurchgeführt. Zwei andere Straßen, Monumenten- und Colonnen-Straße, sind auf mächtigen Brücken über die Anhaltische Bahn herübergeleitet.

So ist mit einem allerdings ansehnlichen Kostenaufwand ein Werk geschaffen worden, welches in gleicher Weise den Meister, der es vollendet, wie die Männer, die ihn erwählten, ehrt.




Erinnerungen an Ludmilla Assing.
Von Rudolf von Gottschall.

Die Kunde der plötzlichen Erkrankung und des Hinscheidens von Ludmilla Assing hat nicht blos deren Freunde in Deutschland schmerzlich überrascht, auch in Italien hat sie in weitesten Kreisen jene Sympathien zum Ausdruck gebracht, welche sich die Schriftstellerin in ihrem Adoptivvaterlande erworben hat.

Noch im Herbst 1878 hatte ich Ludmilla Assing auf ihrer Villa in Florenz besucht. Diese Villa, die nicht blos auf eine freundliche Villeggiatur eingerichtet, sondern ein stattliches Gebäude ist, liegt an der Via Luigi Alamanni, hinter der alten Dominikanerkirche Santa Maria Novella in der Nähe des nördlichen Bahnhofs.

Sie ist von allen Seiten von einem Garten umgeben, welcher die Flora des Südens in üppiger Fülle und Mannigfaltigkeit zeigt; die Besitzerin hat diese Bäume alle selbst gepflanzt, die, mit südlicher Trieb- und Lebenskraft emporgewachsen, ihr jetzt den willkommenen Schatten gaben. Aus ihrer Studirstube führte eine Treppe hinunter in den Garten, zu ihren schattigen Lieblingsplätzchen. Schwere Vorhänge und Jalousieen wehrten nach italienischer Sitte die Sonnenhitze ab, wenn sie oben sich ihren Studien hingab. Repositorien mit den ausgewählten Werken deutscher Schriftsteller, meistens Erbstücke aus der Bibliothek Varnhagen’s, reichten überall bis hoch an die Decke hinan; ein Bücherschrank aber war das Allerheiligste in diesem Gemach; er enthielt den noch unveröffentlichten manuscriptlichen Nachlaß Varnhagen’s – eine Mappe neben der andern, und in jeder Blatt an Blatt gereiht in der saubersten Ordnung, wie sie Varnhagen liebte, alle Notizen mit jener Perlschrift abgefaßt, welche zu den Vorzügen des geistreichen Diplomaten gehörte.

Einige dieser Mappen waren eine biographische Encyklopädie der Zeitgenossen; alphabetisch geordnet lagen die Fascikel übereinander, und in jedem zunächst von Varnhagen’s Hand biographische Notizen und kurze, oft scharfe Kritik, dann allerlei handschriftliche Reliquien, Briefe, Gedichte, Aufsätze. Ich selbst fand in diesem Register der Santa Casa Gedichte von mir, die für mich längst verschollen waren und von deren Existenz ich nichts mehr wußte.

In der That, was ist das biblische Oelkrüglein der Wittwe gegen den unerschöpflichen Varnhagen’schen Nachlaß? Varnhagen war ein Sammler, wie es keinen zweiten giebt. Dazu gehörte nicht blos Fleiß und Ordnung, dazu gehörte ein in der Gegenwart fast ausgestorbener Sinn, das Interesse für die einzelne Persönlichkeit, ihre eigenartige Bedeutung, ihr ganzes Sein und Werden, Wer giebt sich heutigen Tags noch Mühe mit solchen Charakterstudien? Man mißt und schätzt die Menschen in Bausch und Bogen: fast scheint es, daß sie auch uninteressanter geworden sind. Ein paar Heroen in plastischer Größe; alles andere nur Reliefbilder an ihren Piedestalen! Damals machten die Einzelnen, auch wenn sie nicht ihre Namen auf den prunkenden Aushängebogen der Fama lasen, Anspruch auf geistige Bedeutung. Wie viele Werke sind aus Varnhagen’s Zauberschranke bereits durch die fleißige und pietätvolle Vermittelung der Besitzerin an’s Licht hervorgetreten! Mir war’s, als hörte ich darin ein Rumoren wie in dem Davenport’schen Schrank; denn wie viele Lärmgeister der Chronik sind dort noch gebunden!

Ich ließ sie an mir vorüberziehen, die Schriften aus Varnhagen’s Nachlaß, die bereits der Oeffentlichkeit übergeben. Humboldt’s Briefe an Varnhagen, sowie die Gespräche des Gelehrten und Diplomaten, ein Werk, das so großes Aufsehen erregt hatte; denn sie hatten alles ausgeplaudert, was sie auf dem Herzen hatten, und beide waren sonst so discret und zugeknöpft. Varnhagen’s Tagebücher, die Chronik des Berliner oeil de boeuf, dreizehn Bände, bald vornehm und geistig bedeutend, bald heinisirend plauderhaft und spöttisch, überreich an Mittheilungen, die zum Theil dem revisionsbedürftigen Tagesklatsch, zum Theil der unparteiischen Weltgeschichte angehörten; alle die Briefe von Chamisso, Stein, Bettina, Staegemann und Anderen, die in verschiedenen Sammlungen erschienen, meistens mit scharfen Portraitvignetten von der Feder Varnhagen's oder der Herausgeberin, zuletzt alle die Briefsammlungen, die dem Cultus der Rahel gewidmet waren, oder vielmehr, welche uns die Rahel selbst geben; denn sie war ja nie eine Schriftstellerin von Fach; sie lebt ja nur in ihren Briefen.

Und trotz aller dieser Veröffentlichungen ein immer noch gefüllter Schrank, ein unverzehrbarer Vorrath aufgespeicherter Memoiren! Der Eifer der Verleger, die Theilnahme des Publicums mußten allmählich ermüden, solchem Reichthum gegenüber, der für die Geschichte und Culturgeschichte von unschätzbarem Werthe ist. Auch Ludmilla Assing schien die Geister nicht mehr bannen zu können, die ihr Onkel heraufbeschworen und ihrer Obhut anempfohlen hatte. Wir sprachen davon, daß sie diese Schätze einer Bibliothek einverleiben möchte, und in der That erfahre ich, daß sie dieselben jetzt testamentarisch der königlichen Berliner Bibliothek überlassen hat, unter der Bedingung, daß dieselbe als Varnhagen-Sammlung aufgestellt und für den öffentlichen Gebrauch bestimmt bleibe. Würde aber die Berliner Bibliothek das testamentarische Geschenk nicht annehmen, so sollte es der Züricher Bibliothek zufallen.

Zu diesen Manuscripten gehört auch der noch nicht veröffentliche Nachlaß des Fürsten Pückler-Muskau. Der Fürst war ein Freund Varnhagen’s, ihm verwandt in geistiger Regsamkeit,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_298.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)