Seite:Die Gartenlaube (1879) 743.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

von 6986 Gulden zu, wirkte abgehenden, verdienten Bühnenmitgliedern Pensionen, dem Theater ansehnliche Zuschüsse aus – kurz, benahm sich anfangs in aufopferungsvollster, einsichtigster Weise. Alle vierzehn Tage versammelte er die Regisseure mit vier bis sechs Mitgliedern der Gesellschaft bei sich, um gemeinschaftlich über Verbesserung der Bühne zu berathschlagen, neue Stücke in Vorschlag zu bringen und abzustimmen über eingegangene Vorstellungen und Beschwerden. In diesem sogenannten „großen Ausschuß“ las er von ihm selbst verfaßte Beurtheilungen über bedeutende Vorstellungen vor, gab dramaturgische Fragen zur Beantwortung auf und verlangte Kritiken über eingelaufene Schauspiele. Die Protokolle über jede Sitzung wurden in der nächstfolgenden verlesen. Diese Einrichtung, das eigenste Werk Dalberg’s, wobei außer Iffland, Beil, Beck und anderen Schauspielern auch Schiller eine Zeitlang mitwirkte, gab dem Ganzen eine Haltung und Richtung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann.

Die eigentliche Glanzperiode der Bühne, die Jahre von 1786 bis 1793, während welcher man mit Stolz und Bewunderung von einer „Mannheimer Schule“ sprechen konnte, bleibt gleichwohl weniger der organisatorischen Thätigkeit Dalberg’s als dem productiven Genie Iffland’s und Schiller’s zu verdanken. Um so peinlicher berührt es, daß diese beiden Männer, welche ihre Thätigkeit in ein und demselben Jahre auf derselben Bühne begannen, später Beide durch Undank gekränkt von eben dieser Bühne auf Nimmerwiedersehen Abschied nahmen. Etwas Vollkommenes existirt nun einmal nicht auf Erden. Auch Dalberg war nicht vollkommen, und die Mängel und Schäden ihrer Zeit vermochten weder die Pfälzer noch andere gutwillige Fürsten wie einen alten Rock in die Ecke zu werfen.

Dalberg konnte nach dem Tode Karl Theodor’s nicht den Muth gewinnen, Schiller’s „Kabale und Liebe“, welches der Kurfürst verboten hatte, aufführen zu lassen. „Da nur der vorige Kurfürst ‚Kabale und Liebe’ verboten hatte“ – schreibt 1802 der Schauspieler Beck in seinen Regieberichten – „und das Sujet den jetzigen gar nicht incommodiren kann (sic!), so glaube ich, daß man das gewünschte gute Stück wohl geben solle.“ Dalberg replicirt kurz: „Dies Stück (welches der Autor selber in dem dermaligen Geiste der Zeit nicht würde geschrieben haben, um Fürstenwürde und Ansehen an den Pranger zu stellen etc.) bleibt weg!“ Aehnlich erging es dem „Fiesco“, welcher, nach Dalberg’s ballhornisirenden Wünschen gleich den „Räubern“ vom Dichter umgearbeitet, trotzdem für unaufführbar erklärt und nach einzelnen Vorstellungen im Jahre 1784 für lange Zeit bei Seite gelegt wurde. Nicht einmal eine Gratification für seine Mühe empfing der arme Poet, obschon Iffland einen dahingehenden Antrag im Theaterausschuß zu Protokoll gab. In „Maria Stuart“ genirten den Intendanten die Scenen der Beichte, die er einfach streichen ließ, und über die „Wallenstein-Trilogie“ urtheilt er abfällig.

Weder für die „Räuber“, den „Fiesco“, „Kabale und Liebe“ und „Don Carlos“, noch für die „Jungfrau von Orleans“, „Maria Stuart“, die „Braut von Messina“ und den „Wallenstein“ erhielt Schiller ein Bühnenhonorar, obgleich es Dalberg ein Leichtes gewesen wäre, dem Poeten in irgend einer Form ein solches auszuwirken. Erst für den „Tell“, der nach dem Manuscript aufgeführt wurde, empfing der Dichter ein Honorar von 136 Gulden 15 Kreuzer. Freilich war Schiller schon früher von Illusionen wegen der Dalberg’schen Freigebigkeit gerade gegen ihn geheilt worden. Als er seinerzeit, angefeuert durch die Lobeserhebungen des freiherrlichen Dilettanten, den Sclavenketten des Stuttgarter Herzogs entsprungen war und, nur von der Güte des treuen Andreas Streicher lebend, mit dem vollen Vertrauen eines erfahrungslosen Jünglingsherzens Dalberg um Verwendung beim Herzog Karl und um einen Vorschuß von 200 Gulden bittet, womit er in Stuttgart die durch den Druck der „Räuber“ entstandenen Schulden decken könne, da hüllt sich der edle Dalberg in tiefsinniges Schweigen. Dem auf seine Weisung von dem Dichter ausgearbeiteten Plane einer Mannheimer Dramaturgie, für dessen Verwirklichung sich dieser eine jährliche Gratification von 50 Ducaten ausbittet, bereitet er eine ähnliche Aufnahme. Hätte unser größter dramatischer Poet in der traurigen Flüchtlingszeit, welche seiner kärglichen Anstellung als Mannheimer Theaterdichter vorausging, die mütterlich sorgende Hand der guten Frau von Wolzogen entbehren müssen, er wäre an dem Dalberg’schen Kunstenthusiasmus einfach verhungert. Auch er mußte, wie Devrient bitter bemerkt, gleich Iffland „in dem edlen Dalberg den Cavalier erkennen, dem das bürgerliche Talent nur als ein Werkzeug galt“. In den letzten Märztagen des Jahres 1785, ein halbes Jahr, nachdem die Schauspieler des „teutschen Nationaltheaters“ ihn auf offener Bühne persiflirt hatten, verließ Schiller Mannheim und suchte sich in den Armen seines treuen, aufopferungsvollen Freundes Körner über die dort gemachte Erfahrungen zu trösten.

Dem großen Mimen Iffland war eine directere Auseinandersetzung mit Dalberg aufgespart. Nachdem in den unruhigen Kriegsläufen der neunziger Jahre die Existenz der Bühne ganz in Frage gestellt worden, der Intendant dem Schauspieler mit unbeschränkter Vollmacht die Leitung anvertraut und der gute Iffland mit Hintansetzung aller persönlichen Rücksichten den Bestand der Truppe und die Fortführung der Vorstellungen durchgesetzt hatte, bewies ihm Dalberg bei seiner Wiederkunft in so unzweideutiger Weise seine allerhöchste Unzufriedenheit, daß der Künstler, wie er in seiner naiven Weise erzählt, nicht mehr wußte, wie er des Intendanten Zimmer verlassen solle, und sich „einige Tage sehr übel befand“. Dieser Auftritt und die mit der Zeitlage zusammenhängende Unsicherheit der Fortdauer des Bühnenunternehmens bildeten jedenfalls die Hauptursachen der Abreise Iffland’s und seines Eintritts als Director der Berliner Hofbühne. Daß Dalberg diesen Eintritt zum Ausgangspunkte so infamirender Vorwürfe nahm, wie er sie in seinen Briefen vom November und December 1796 dem Künstler macht, war jener Doppelursache gegenüber doppelt ungerecht.

Sieht man von diesen menschlichen Schwächen des Mannes ab, so muß man an Dalberg sowohl das edle Streben, wie auch die klugen Mittel ehren, mit denen er dasselbe verwirklichte. Er war der Erste, der dem darstellenden Künstler Ehrfurcht vor seiner Kunst und Verständniß derselben zu lehren suchte, der Erste, welcher unserer deutschen Bühne eine Organisation schuf, die auch heute noch mustergültige Bedeutung hat. „Mein Zweck ist Erhöhung und Beförderung dramatischer Kunst, welche so oft durch des Schauspielers sträfliche Vernachlässigung herabgewürdigt wird,“ sagt er in einer seiner Kritiken, und diesem Zwecke hat er viel geopfert.

Mit dem Abgange Iffland’s schien indessen auch bei Dalberg das Interesse an seiner Schöpfung zu erlahmen. Der Stern des Mannheimer Bühnenhimmels war erloschen, das Interesse des Publicums abgestumpft, der langsam großgezogene Geist künstlerischen Eifers in den Mitgliedern geschwächt oder gar erstorben. Wo war sie hin, die Zeit, da der jugendliche Feuerkopf Schiller’s und die besonnene Denkermiene Iffland’s der freiherrlichen Geisteswelt ewig neue Nahrung und Anregung schenkten? Wo waren sie hin, jene ersten Aufführungen der „Räuber“, wo sich im Zuschauerraume, wie ein Augenzeuge berichtet, „rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie kündeten, fremde Menschen schluchzend einander in die Arme fielen, ohnmachtnahe Frauen zur Thür wankten“? Dalberg selbst war älter geworden; das ominöse „Pulverfeuer“, das Schiller ihm nachrühmt, flammte nur noch spärlich auf. Dazu trat dann die Hartnäckigkeit, mit der man in München auf der Suspendirung und Aufhebung des Theaters bestand, die Demoralisation der Schauspielertruppe – kurz, am 20. Juni 1803 legte der Freiherr seine Intendantur nieder und trat seine Oberhofmeisterwürde an. Vielleicht hat er seine Schöpfung mit denselben Gefühlen verlassen, denen ein Jahr vorher der Münchener Theatercommissär Babo in einem die Unverträglichkeiten des Regisseurs Beck behandelnden Briefe so drastischen Ausdruck gab. „Meine Amtsbekanntschaft mit Künstlern,“ heißt es da, „hat mir die Kunst recht ekelhaft gemacht, und kaum kann ich den rachsüchtigen Wunsch unterdrücken, daß Beck zum Intendant en chef über alle pfalzbaierische theatralische Angelegenheiten ernannt werde. Die Unholde würden sich so unter einander erwürgen, und aus dem so reinen Rest, wie klein er auch wäre, ließe sich dann etwas Gutes erbauen.“

Der im achtzehnten Jahrhundert geträumte Blüthentraum einer deutschen Musterbühne in Mannheim blieb verflogen. Wohl boten in unserem Jahrhundert Staat und Stadt alle Kräfte auf, das Nationaltheater als solches zu erhalten und zu heben, wohl hallte die Bühne wider von den Schritten der größten Künstler und Künstlerinnen ihrer Zeit, wohl wurden die besten Producte der Dichtkunst und Musik nach wie vor gehegt und gepflegt und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_743.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)