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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


und mit den Schwierigkeiten des Weges kämpfende Abtheilung dem gewissen Verderben preisgegeben wäre, wenn sie in diesem Zustande von den Briganten angegriffen werden würde. Keine aus den Klüften gesandte Kugel hätte ihres Zieles gefehlt und ein herabgeschleudertes Felsstück die halbe Abtheilung vernichtet; an einen Rückzug wäre kaum zu denken gewesen.

Das Steigen auf dem steilen, scharfkantigen Gestein ermüdete uns sehr, und so waren wir herzlich froh, als wir auf eine der in der dortigen Gebirgsgegend nicht seltenen bewohnten Höhlen oder besser in den Fels hineingebauten Wohnungen stießen, in der wir ein wenig zu rasten beschlossen, ehe wir das letzte kurze, aber schlimmste Stück des Aufstieges in Angriff nahmen. Während meine Leute sammt dem vollständig ermatteten Beamten in der Troglodytenbehausung Platz nahmen und sich an einem Krug wässerigen Bauernweines erquickten, ging ich, von Unruhe über den möglichen schlimmen Ausgang des unüberlegten Marsches getrieben, vor dem Eingang, an welchem der Weg vorbeiführte, auf und ab, meinen Kopf um einen Ausweg zermarternd. Forschend ließ ich den Blick über das kahle Geschröffe, auf welches der Mond seltsame Schlagschatten warf, hingleiten und lauschte mit angehaltenem Athem, ob sich nichts zeigte, was den Beamten noch jetzt von seinem Willen abzubringen oder mir es zu ermöglichen vermöchte, ihm mit Fug und Recht den Gehorsam zu kündigen.

Lange wachte ich vergeblich. Endlich vernahm ich ein Geräusch, das Rollen eines unter kletternden Füßen abgleitenden Steines, dann allmählich die immer stärker hörbaren Schritte eines bergab kommenden Wanderers. Als der Herannahende dicht genug bei mir war, um mir nicht mehr entgehen zu können, trat ich mit angeschlagenem Carabiner aus dem Schatten, der mich ihm bisher entzogen, und rief ihn an. Der Mann erschrak sichtlich, als er die Uniform gewahrte, und schnell wollte er umkehren, aber das Knacken des Hahnes brachte ihn zur Einsicht, daß hier an kein Entrinnen mehr zu denken sei, und zögernd näherte er sich mir.

Wer aber beschreibt mein Erstaunen, als ich in dem unter so verdächtigen Umständen Angekommenen Niemand anders, als unsern lange entbehrten Freund Boticelli erkannte! Auch Boticelli war erstaunt, aber während sich mein bisheriges mißtrauisches und herrisches Wesen dem bewährten Freude gegenüber schnell zum Freundlichen wendete, zeigten seine Mienen und sein ganzes Wesen Erschrecken, Entsetzen. Ob ich allein sei oder eine Abtheilung bei mir hätte, war seine erste, hastige Frage. Sie war sonderbar, mißtrauenerregend, aber Boticelli war mir sicher wie Gold. Ich antwortete ihm nach Wahrheit. Da stürzte der Mann auf mich zu und preßte mich stürmisch an sein Herz.

„So kann ich Euch denn Eure Rettungsthat vergelten, wie ich es so heiß gewünscht,“ rief er und begann mir eilig, als ob Gefahr im Verzug sei, zu erzählen.

Von dem Augenblick, da wir von Montefiascone abmarschirt waren, stand es bei ihm fest, daß auch sein und seiner Tochter Bleiben dort nicht mehr allzulange sein werde. Er kannte die römischen Verhältnisse hinlänglich, um zu wissen, daß die Behörde, Castelvetri’s Standesgenossen und dieser selbst – an dessen Loskommen Boticelli nicht zweifelte – jede Gelegenheit ergreifen, ja eine solche herbeiführen würde, um den Mißliebigen die volle Wucht ihres Armes fühlen zu lassen, sobald nur erst unsere unbequeme Abtheilung aus der Gegend entfernt war. Boticelli knüpfte deshalb Verbindungen an, um sein Gütchen so günstig wie möglich zu verkaufen, und das Glück war ihm insofern günstig, als er mit einem reichen Pächter bekannt wurde, der jenseits der Grenze, im Toscanischen, ein kleines Besitzthum hatte, welches er gern gegen Boticelli’s Gütchen vertauscht hätte.

Eben kam Boticelli, der wegen seiner strengen Beaufsichtigung abgelegene Wege wählen mußte, von einer heimlichen Reise nach Toscana, wo er das Tauschobject besichtigt und sich nach den sonstigen Verhältnissen erkundigt hatte, zurück. Da stieß er, kaum mehr als eine Miglie weit von unserem jetzigen Standpunkt, auf eine große Bande von Briganten, die ihn erst anhielt, dann aber, nachdem er als ein armer von den Behörden verfolgter Bauer erkannt worden, wieder ziehen ließ. Während er sich nun bei den Banditen befand, hörte er von ihrem Anschlag gegen eine anrückende Truppenabtheilung – nämlich gegen die unsrige. Die Bande hatte sich, von dem schurkischen Sindaco von San Michele über unseren Marsch benachrichtigt, in einer Position festgesetzt, welche den Weg an seiner schmalsten und beschwerlichsten Stelle, wo an eine eilige Umkehr nicht mehr zu denken war, beherrschte, um uns von da aus ein für alle Mal die Lust zum Nachspüren gründlich zu verleiden. Natürlich hatte Boticelli nicht geahnt, daß es seine Freude waren, welche in solcher Gefahr schwebten, und hätte uns, wäre er nicht durch meine Wachsamkeit mit mir zusammengetroffen, auch nicht warnen können, da er ja auf seinem verbotenen Gang jede Begegnung mit behördlichen Organen scheuen mußte.

Natürlich war unter solchen Umständen von einer Fortsetzung unseres Marsches nicht mehr die Rede. Der durch diese Mittheilungen zu Tode erschreckte Beamte verzichtete auf jede weitere Anordnung, und wir stiegen eilig wieder abwärts, um dann einen mir von Boticelli angegebenen, näher dem Thale laufenden Weg einzuschlagen, der uns bald und sicher nach Bagnarea brachte.

Nicht allein aber, daß Boticelli uns auf diese Weise aus der dringendsten Lebensgefahr gerettet, hatte ich von ihm auch Mittheilungen über jene Räuberbande und ihre Verbindungen erhalten, die wesentlich, ja hauptsächlich dazu beitrugen, daß die gefährliche Gesellschaft nicht lange danach von uns zersprengt, Liberi selbst im Kampfe getödtet und eine große Anzahl seiner Spießgesellen und Zuhälter – worunter auch jener verschmitzte Sindaco von San Michele – dingfest gemacht und der Gerechtigkeit überliefert werden konnten. Damit war die vorher so arg gefährdete Sicherheit der Provinz Viterbo wieder hergestellt.

Dieses Resultat unserer Thätigkeit erfreute uns aber nicht wenig auch Boticelli’s wegen, dessen Verdienste um die Sicherheit der Gegend auf meine Meldung der Regierung eindringlich geschildert wurden, und den wir sonach gegen alle Verfolgungen geschützt wähnen konnten. Boticelli jedoch schüttelte, als ihm Werner gelegentlich eines Besuches diese unsere Ueberzeugung mittheilte, ungläubig den Kopf und blieb bei seiner Absicht, sobald wie möglich den gefährlichen Boden des Kirchenstaates zu verlassen.




4.

In Ländern, wo eine solche politische, sociale und moralische Zerrüttung herrscht, wie es im seligen Stato Pontificio der Fall war, giebt es für die „Vertheidiger der Ordnung“ immer zu thun – natürlich! sind doch die ganzen Verhältnisse dazu geschaffen, unaufhörlich Unordnung zu erzeugen. Darum hatte die päpstliche Regierung nie Soldaten genug, um so weniger, als der Paradedienst bei den unaufhörlichen pomphaften Kirchenfesten in Rom stets eine ganze Menge anderwärts viel besser zu verwendender Truppen in Anspruch nahm; aber ohne ein Bataillon frommer Zuaven und ein halbes Hundert goldstrotzender Nobelgardisten konnte der arme Papst nun einmal keine Messe lesen. So kam es, daß die Sicherheitsdienst thuenden Truppentheile, sobald sie irgendwo nothdürftig Ordnung geschafft hatten, stets alsbald wieder abberufen wurden, um eine andere dringende Aufgabe zu lösen. In den eben entwirrten Angelegenheiten ging es dann wieder in der alten Weise fort, solange, bis die Mißwirthschaft abermals bis zum Gipfel gestiegen war, worauf dann auf’s Neue gewaltsam eingegriffen wurde. Das nannte man in Rom Regieren.

So war denn in Bagnarea nach der Reinigung der Gegend von den Briganten nicht mehr lange unseres Bleibens. Wir erhielten Marschordre, und zwar so unvermuthet, daß wir nicht mehr im Stande waren, von Boticelli und Domenica Abschied zu nehmen. Oft hatte es uns nach dem uns lieb gewordenen Häuschen am Lago di Bolsena gezogen, aber die Entfernung war zu groß, um in der dienstfreien Zeit zurückgelegt werden zu können, Urlaub jedoch durfte nur in Ausnahmefällen gegeben werden, und wir hatten uns denselben eben auf den bald zu erwartenden Abschied aufgespart. Boticelli und Domenica selbst durften, als unter strenger Polizeiaufsicht Stehende, ihren Bezirk nicht verlassen. So mußten wir denn, da wir in eine ganz andere Gegend versetzt wurden, unsere Freundschaft, Werner selbst seine Liebe ohne Scheidegruß abbrechen – vielleicht auf immer!

Unsere neue Garnison war Fiumicino, unmittelbar am Ausfluß des Tiber in’s Meer gelegen, zwei Miglien von dem antiken Ostia, dessen marmorne Hafenbassins heute, ganz verschlammt, weit im Lande liegen. Aber auch auf dem Flußarm von Fiumicino war die Ausfahrt in’s Meer durch die schnell anwachsenden Tiberanschwemmungen schwierig, und so waren wir trotz einiger Uferbefestigungen weit weniger da, um die Flußeinfahrt gegen seefahrende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_704.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)