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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

liebe – Eines müßte uns scheiden: sofern Du gewillt bist, in diesem einen Punkt Donna de Valmaseda zu bleiben –“

„Du irrst,“ unterbrach sie ihn mit sanftem Lächeln und ergriff seine Hand. „Ich werde kein anderes Brod essen, als das meines Eheherrn, und nur die Kleider tragen, die er mir giebt. Dafür will ich die fürsorgende Hausfrau des Schilligshofes sein, die selbst thätig ist, um das Heim nach Deinem Sinn behaglich zu gestalten – frage die gute Birkner, ob ich nicht bereits ein wenig Begabung dafür gezeigt habe! Aber freilich, in einem Punkte will ich auch höher hinaus, Arnold. Ich möchte auch die Künstlerfrau sein, die hier zu jeder Stunde Zutritt hat, mit der Du über Deine Ideen und Entwürfe sprichst – bin ich einmal die Frau eines berühmten Mannes, dann muß ich mir auch mit gerechtem Stolze sagen dürfen, daß ich auch geistig neben ihm auf seiner Bahn schreite –“

Weiter konnte sie nicht reden. Mit einem wahren Aufjauchzen zog er sie wieder an sich und verschloß ihr den Mund.

„Gehen wir jetzt in unser künftiges Heim!“ sagte er. „Ich bin heute in aller Morgenfrühe angekommen und habe längst gesehen, wie Du mich und mein Wesen aus meinen Briefen verstanden hast.“

Er schloß das Glashaus auf; sie traten hinaus in den Garten und schritten durch die Platanenallee, die schon auf so viel wechselndes Glück und Leid herabgesehen. Und sie sprachen von José und Paula, von der Majorin und Lucile – und in diese Mittheilungen hinein sagte Donna Mercedes mit strahlenden Augen:

„Aber nach der Villa gehen wir alle Tage – wir müssen doch nach den Kindern und der Großmama sehen. Wenn Du Deine Arbeit müde wegschiebst, dann wandern wir hinaus – dann bist Du aber auch mein Gast –“

„Jawohl – bei einem frugalen Abendbrod –“

„Einem selbstverständlich ‚frugalen’ Abendbrod auf der Terrasse. Ich habe auch einen kostbaren Schatz draußen; der bleibt aber für immer dort in meinem Salon. Ich wette, er zieht Dich – hast Du ihn erst gesehen – weit mehr noch hinaus, als jetzt Deine Braut –“

„Erlaubst Du, daß ich zweifle?“

„Nein – Du wirst sehen.“

Er lachte heiter auf und führte sie die Freitreppe des Säulenhauses hinauf. Und jetzt thaten sich die Thürflügel, wie durch Zauberhand berührt, weit auf.

Die Hausmamsell und Hannchen traten feierlich aus der Tiefe der Flurhalle, und über das Gesicht der „guten alten Birkner“ flossen Freudenthränen. Sie trug eine schöne neue Haube, die ihr „Arnold – wollt’ ich sagen: der gnädige Herr“ – von der Reise mitgebracht hatte, und statt des eingelernten Glückwunsches, von welchem kein Laut über die zuckenden Lippen wollte, zeigte sie nur stumm auf den blumenbestreuten Weg, der durch den Corridor nach der Treppe lief, auf den frischen Guirlandenschmuck, in welchem die Wände der Flurhalle prangten.

„Meine Birkner hat einen wahren Kassandra-Blick,“ sagte Baron Schilling schelmisch, und doch mit einer tiefen Ergriffenheit kämpfend. „Sie hat gewußt, daß um diese Stunde eine Braut einziehen wird.“

Und ohne Weiteres seinen Arm um die kleine, runde Person schlingend, küßte er sie herzlich auf die Wange, wie er oft als Knabe gethan, da sie ihm Alles gewesen, Mutter, Pflegerin und Vertraute, die zwischen ihm und dem strengen Vater stets vermittelt.

Nicht in ihre künftigen Zimmer, die schönen Salons, die an die Terrasse stießen, führte er die Braut zuerst; die Thüren des großen Mittelsaales waren weit zurückgeschlagen – auch hier bedeckten Blumen das Parquet; sie lagen zu Füßen der markigen Gestalten mit den viereckigen Köpfen, der alten Ritterlichen, welche die gewundenen und vergoldeten Rahmen füllten, und das Bild des alten Freiherrn Krafft von Schilling war mit Fichtengrün und Eichenlaub umkränzt.

Sein Sohn umfaßte das schöne, schlanke Weib an seiner Seite und trat vor die imposante Soldatengestalt, die mit feurig sprühendem Blick auf die Nahenden herabsah. „Da ist sie, Vater – Lucian’s Tochter,“ sagte er so ernst feierlich, als könne die kräftig schöne Hand dort oben, deren Segen er wünschte, sich in der That über ihn hinstrecken. „Die ‚Opferung des armen Isaac’ ist tausendfältig gut gemacht – bist Du zufrieden?“

Draußen, jenseits des Eisengitters strömte der Menschenverkehr auf und ab. Man lauschte durch das kunstvolle Gittergeflecht und ließ den Blick immer wieder bewundernd über die herrliche Façade des Säulenhauses hinfliegen – aber Niemand ahnte, daß soeben wunderbar verschlungene Ereignisse und Schicksale ihren glücklichen Abschluß gefunden hatten „Im Schillingshofe“.




Fahrende Schüler.
Etwas aus der Flegelzeit des deutschen Schülerwesens.


In der Geschichte des deutschen Volkscharakters begegnen wir immer zwei mächtigen Trieben von total gegensätzlicher Wirkung. Der eine ist der Trieb corporativer Geschlossenheit, der ein seßhaftes Beharren voraussetzt; der andere treibt wieder hinweg von der gemeinsamen Scholle und lockt mächtig hinaus zum freien Wandern. So hat sich im Gegensatz zu der stillen Clause des Mönchs, der wallumschienten Burg des Ritters und dem mauergehüteten Stadtbann die deutsche Landstraße schon frühzeitig mit allerlei seltsamen Gesellen, fahrendem Volke, bevölkert. Ritterliche Abenteurer und gemeine Stegreifritter, fahrende Fräuleins, Sänger und Lautenschläger, Tabuletkrämer und Hausirer, Gaukler und Künstler, Bettler mit allerhand wirklichen oder fingirten Gebresten ziehen da in buntem Wechsel vorüber. Wie der seßhafte Bürger seine Markthalle und Zunftstube, der Ritter seine Burg, der Bauer seinen umfriedeten Hof, so nehmen sie die Landstraße als ihr Privileg in Anspruch. Zu ihnen gesellt sich mit dem Aufblühen des Zunftlebens der wandernde Handwerksbursch, und am Ende des eigentlichen Mittelalters und mit dem Eintritt der Reformation die seltsame Species des „fahrenden Schülers“.

Die Gelehrsamkeit hatte den Bann der Klöster durchbrochen und sich, wenn auch noch vielfach im Sold und Schutze der Kirche, auf ihre eigenen Füße gestellt. Auf dem bewegten Forum des städtischen Lebens hatte sie ihre Sitze aufgeschlagen; Universitäten, Stadt- und Rathsschulen waren ihre Pflegstätten geworden; freie und unabhängige Gelehrte schlugen ihre Lehrzelte auf und riefen gleich den werbenden Feldherren alle Wissensdurstigen zu ihren Fahnen. Und wie bei keinem anderen Volke der Drang nach gelehrter Bildung ein so tief in die untersten Schichten hinabgehender ist, wie bei dem deutschen, so war die Masse derer, welche nach jenen Stätten der Weisheit hinstrebten, besonders damals eine große, wo die Weisheit eine ganz neue Welt vor den staunenden Blicken aufschloß, wo die vergrabenen Schätze des classischen Alterthums auf einmal in goldenem Zauber zu Tage traten. Wie aber sollte der arme kaum neun- oder zehnjährige Junge, den der Wissenstrieb aus seinem weltabgelegenen Dorfe nach der oft viele Meilen fernen Stadt führte, welche eine berühmte Schule in sich barg – wie sollte er, der kein anderes Zehrgeld besaß, als vielleicht den Goldgulden, den er dem Mitleid einer wohlhabenderen Pathe verdankte, ungefährdet dahin gelangen und noch mehr: ungefährdet dort verweilen?

Die Zeit schuf dafür Rath. Sie übertrug den Geist des Zünftigen von dem Handwerk auf die Schule. So begegnen wir hier der zünftlerischen Dreitheilung von Meister (Schul- oder Kindermeister), Gesell und Lehrling. Und wie der wandernde Handwerksgesell, so zogen auch die Schulgesellen wandernd von Schule zu Schule. Man nannte sie deshalb „Bacchanten“ (von bacchari: schwärmen; doch ist der Ursprung des Wortes nicht ganz sicher; vielleicht ist „Bachanten“ zu schreiben). Ihnen nun schlossen sich die Lehrschüler, die jungen Anfänger als „Schützen“ an, ein Name, der noch in unsern „ABC-Schützen“ fortlebt. Der ältere Bacchant, welcher sich bereits mehrere Jahre an den Brüsten der Weisheit genährt hatte, machte es sich zur Aufgabe, die ihm folgenden Schüler an die Stätten der Gelahrtheit zu führen, ihnen sein eigenes Wissen einzuprägen, sie zu schützen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_644.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)