Seite:Die Gartenlaube (1879) 534.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


noch so alt, nur ein Kind. Dieser Gedanke ist auch die eigentliche Basis der Ahn’schen Methode. Wie die Mutter ihrem Kinde für die ersten kindlichen Begriffe und Vorstellungen die Wörter vorspricht, dann die Wörter zu kleinen Sätzen gestaltet, aus den kleinen Sätzen größere macht und, indem sie nach und nach den Kreis der Begriffe und Vorstellungen erweitert, das Kind auf diese Weise sprechen lehrt – gerade so verfährt die Ahn’sche Methode, und das ist ihr ganzes Geheimniß.

Der bisherige Schlendrian, dem die meisten Lehrer mehr aus Ueberlieferung als aus innerer Ueberzeugung anhingen und der eine möglichst gründliche Kenntniß der Grammatik als erstes Erforderniß bei Erlernung einer lebenden Sprache anstrebte, dieser Schlendrian wurde durch das neue Ahn’sche Lehrbuch gründlich beseitigt, und Lehrer und Lernende fühlten sich dadurch wie in einer neuen Welt. Hier war Alles so einfach und so klar, und dabei doch so durchdacht und in so richtigem Fortschritt geordnet, daß Unterricht und Lernen angenehm und leicht wurden. Dabei muß man aber ja nicht denken, daß die Ahn’sche Methode nur ein oberflächliches Wissen bezweckte und die Grammatik nur nebenbei behandelte oder gar vernachlässigte – alles Vorwürfe, die dem Verfasser schon deshalb sofort in Menge entgegen traten, weil sein Lehrbuch alle anderen verdrängte – im Gegentheil, gleich in den ersten Lectionen werden kurze grammatische Regeln gegeben, aber stets nur das Nöthigste und frei von jedem abstracten Wust. Natürlich gilt dies nur in Bezug auf den „Praktischen Lehrgang“, mithin nur vom sprachlichen Elementarunterricht; für das Weiterstudium speciell der französischen und englischen Sprache verfaßte Ahn noch eine außerordentlich große Anzahl anderer Lehrbücher, die wir hier unmöglich auch nur nach ihren Titeln aufführen können, da sie in den Katalogen eine ganze Reihe von Seiten füllen. Nur die in Mainz (bei Kupferberg) jetzt schon in der 36. Auflage erschienene französische Grammatik sei hier erwähnt, weil sie nach dem Urtheil bewährter Schulmänner zu den besten ihrer Art gehört und den Verfasser als einen gründlich gebildeten Philologen documentirt.

Der auffallend günstige Erfolg des „Lehrganges“ veranlaßte Ahn alsbald, dieselbe Methode auch umgekehrt und zwar zunächst für Franzosen zur Erlernung der deutschen Sprache anzuwenden, alsdann für Engländer, Italiener etc., und in allen Ländern fand die praktische Methode den größten Anklang, sodaß 30, 40 und 50 Auflagen auch von diesen Büchern noch bei Lebzeiten des Verfassers erschienen. Und da einmal der Anstoß gegeben war, so konnte die Methode leicht immer weiter und weiter ausgenutzt werden: französisch und englisch und umgekehrt; französisch und italienisch und umgekehrt und so fort, bis in’s Unendliche, möchte man fast sagen, da der deutsche Theil des Lehrganges in alle lebenden europäischen und auch in viele außereuropäische Sprachen übersetzt wurde. Rechnet man Alles zusammen, so kommen (es ist wirklich nicht übertrieben!) Millionen Exemplare heraus, auf denen der Name Franz Ahn als Verfasser steht. Von den vielen Nachahmungen, welche die Ahn’sche Methode in’s Leben rief, noch gar nicht zu reden. Sogar auf die alten Sprachen wendete man die neue Methode an und in den unteren Classen mit Erfolg, obwohl der Hauptzweck derselben, das sofortige Sprechenlernen, hier nicht in Betracht kommen konnte.

Als in Frankreich mit dem neuen Kaiserthum, und zwar nach dem speciellen Willen des Kaisers, das deutsche Sprachstudium wieder auf allen Staatsschulen obligatorisch wurde, entschied man sich in dem sogenannten „Conseil supérieur de l’Instruction publique“ alsbald für das Ahn’sche Lehrbuch, anfangs nicht ohne Widerspruch von Seiten der Universität, der, ähnlich wie manchem deutschen Professor, „Der kleine Ahn“ nicht gelehrt genug war. Schon früher hatte ich selbst Gelegenheit gehabt, eine Lanze für den Landsmann zu brechen, und ich freue mich noch heute so darüber, daß ich nicht umhin kann, den Vorfall kurz zu erzählen.

Beim mündlichen Examen zur Aggregation an der Sorbonne bekam ich zuerst ein Capitel aus Lessing’s „Laokoon“ zur französischen Uebersetzung und Erklärung. Die Herren Examinatoren, meist französische Akademiker, machten sich die Sache sehr leicht, weil sie die gedruckte französische Uebersetzung neben sich liegen hatten und mehr in diese, als in das deutsche Original hineinschauten; nur bei den grammatikalischen Fragen kamen sie manchmal in Verlegenheit, weil eben davon nichts in ihrem Buche stand. Als aber später wie zufällig die Rede auf die Declinationen kam (bekanntlich ein sehr heikles Thema der deutschen Grammatik), erklärte ich dieselben nach Ahn’s „Zweitem Cursus“ so kurz und bündig, daß ich, ob des leichten Verständnisses, allgemeine Zustimmung fand, die indeß von einigem Erstaunen begleitet war, als ich meinen Gewährsmann nannte. Dies führte uns zu einer Discussion über die Ahn’sche Methode, und ich hatte die Genugthuung, die gelehrten Herren, von denen damals gar viele von Ahn kaum mehr als den Namen kannten, so einstimmig dafür zu gewinnen, daß mir der Vorsitzende, der Generalinspector Duruy (der spätere Unterrichtsminister) versicherte, auch ihm erscheine diese Methode als die einfachste und am meisten praktische von allen anderen. Bald darauf wurde sie auf allen französischen Staatsschulen eingeführt.

Einen noch eclatanteren Beweis dafür sollte ich zwanzig Jahre später, noch dazu in einem fremden Welttheile, erleben, nämlich in Aegypten an der viceköniglichen Kriegsschule, wohin ich 1873 zur Leitung des deutschen Unterrichts berufen wurde.

Der Khedive hatte bekanntlich seinen zweiten Sohn, den Prinzen Hassan, zur militärischen Ausbildung nach Berlin geschickt und zugleich decretirt, daß seine Cadetten auch deutsch lernen sollten – alles in Folge der gewaltigen Machtstellung Deutschlands nach dem deutsch-französischen Kriege, wodurch das frühere Uebergewicht Frankreichs in Aegypten einen so harten Stoß erlitten. Jetzt galt es, „die Sprache Bismarcks“ auch der ägyptischen Jugend und zunächst der militärischen beizubringen. Ein orientalisches Decret muß sofort ausgeführt werden; um das Wie? bekümmert sich der Herrscher nicht weiter; das ist Sache der betreffenden Behörden, und im vorliegenden Falle hatte der Kriegsminister dafür zu sorgen.

Zum Unterricht gehören aber auch in Aegypten zwei Factoren: die Lehrer und die Lernenden. Die letzteren waren zahlreich vorhanden, sogar in allen Farbenabstufungen, vom dunkelsten Schwarz bis zum lichten Braun – aber die ersteren fehlten. Da half man sich, so gut es gehen wollte, und stellte allerlei Leute als „Lehrer“ an, die nur irgendwie etwas Deutsch wußten. So z. B. einen inländischen Apothekergehülfen, der einige Jahre in Wien conditionirt hatte; einen syrischen Dragoman, der „fließend“ deutsch sprach; sogar einen jungen Ungar oder Böhmen, der früher in einer deutschen Familie Kammerdiener gewesen. Die guten Leute versahen sich mit allerlei Lehrmitteln, der eine mit „polyglotten Gesprächen“, der andere mit einem Büchlein „in drei Monaten ein perfecter Deutscher zu werden“, der Apothekergehülfe hatte sogar als Hülfsbuch ein altes „Compendium über die gewöhnlichsten Krankheiten des menschlichen Körpers“ – und nun thaten sie ihr Möglichstes und „unterrichteten“ recht und schlecht, dieses aber weit mehr als jenes.

So fand ich die „deutschen Classen“ vor, in den Heften die seltsamsten französisch-arabisch-deutschen Dictate und in den Köpfen ein ähnliches dreifaches Mischmasch von Brocken und Phrasen – eine babylonische Verwirrung! Und doch hatten die intelligenten jungen Aegypter, deren Lernbegier und Folgsamkeit gar vielen europäischen Schülern zum Muster dienen könnten, von diesem bunten Allerlei schon viel profitirt, und die muthigsten, als sie mir vorgestellt wurden, radebrechten deutsche Begrüßungen und Versicherungen von Gehorsam und Treue. Der Minister hatte mir volle Freiheit gegeben, und so machte ich denn zuerst „rein Haus“.

Alle bisherigen Schulbücher wurden bei Seite und dafür einem Jeden der französisch-deutsche Ahn in die Hände gelegt. Zwei gebildete ägyptische Officiere, die vortrefflich französisch sprachen, dienten als Dolmetscher, und der Unterricht begann gleich in der erste Stunde. Die übrigen Lehrer, die man doch nicht wohl entlassen konnte, bekamen gleichfalls den Ahn, und nun ging Allen ein Licht auf. In kaum sechs Wochen hatte außerdem der eine Officier den ganzen ersten Cursus in’s Arabische übersetzt und wußte ihn zugleich fast vollständig auswendig, und schon am Schluß des ersten Semesters konnte ich mich mit ihm recht gut deutsch unterhalten. Im zweiten Semester wurde bereits der Zweite Cursus des Ahn’schen Lehrganges mit hinzugezogen, und im dritten konnten schon die älteren Cadetten die jüngeren neu aufgenommenen nach dem ersten Cursus vorbereiten.

Noch nie hatte ich in meiner langjährigen „Ahn’schen Praxis“, wenn man mir diesen Ausdruck zugute halten will, einen so schnellen und schlagenden Erfolg erlebt, aber auch noch nie lernbegierigere

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_534.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)