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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Hat diese Thatsache, daß Donna de Valmaseda Wittwe ist,“ fuhr der Baron fort, „irgendwie Bezug auf die Stellung der Dame zu mir? Ich habe versprochen, Lucian’s Kinder zu schützen, sie in meine Obhut zu nehmen; wer sie mir zu diesem Zwecke zuführt, das ist wohl Nebensache.“

„Für mich nicht,“ erwiderte die Baronin verdrossen. „Diese Pflanzermadame mit ihrem Sclaventroß ist mir ein Gräuel – sie sieht mir so recht aus wie eine von denen, die ihre Umgebung mit der Peitsche tractiren. Diese überseeischen Pflanzeraristokratinnen sollen wahre kleine Teufel an Hochmuth und boshaften Launen sein.“

Er schwieg und bückte sich über Paula, die mit beiden Händchen seine Linke umfaßt hielt und mit großen Augen unverwandt nach der zürnenden Frau sah – es war der kleinen Verwöhnten offenbar sehr verwunderlich, daß sie keines Blickes gewürdigt wurde. „Wollen wir Pirat fortbringen?“ fragte er. „Der unartige Bursche winselt droben und will hinaus. Deborah soll ihn an der Leine führen, und Du läufst mit.“

Das Kind schlang willig die Arme um seinen Hals, und er trug es wieder die Treppe hinauf.

„Er sieht nicht gut aus und hat eine unerträgliche Laune mitgebracht – bei dem impertinenten Ton seiner Stimme empört sich mir jeder Blutstropfen,“ sagte die Stiftsdame, nachdem er droben hinter der Thür verschwunden war.

Die Baronin antwortete nicht. Sie war aufgesprungen, hatte das Couvert in das Fach zurückgeworfen und die Schrankthür geschlossen. Nun lag sie wieder in den Fauteuil zurückgelehnt und stieß die Fingerspitzen spielend gegen einander, als habe sie nicht für einen Moment ihre Stellung verändert. „Mit dieser Laune will ich schon fertig werden,“ sagte sie anscheinend gleichmütig. „Mir dagegen kocht das Blut, wenn er wie eine Kindsmagd daher kömmt und solch einen unausstehlichen Flachskopf mit einer Zärtlichkeit an sich drückt –“

„Ich halte das für eine Demonstration – der Kinderlosen gegenüber,“ fiel die Stiftsdame ruhig, aber mit Nachdruck ein.

Die Frau im Lehnstuhl fuhr in die Höhe – ihr Gesicht sah ganz entstellt aus vor Grimm. Sie hatte augenscheinlich eine Fluth leidenschaftlicher Worte auf den Lippen, allein in diesem Augenblick rüttelte Baron Schilling draußen an der Thür des Glashauses. Er hatte jedenfalls Paula der im Garten wartenden Deborah wieder übergeben und wollte nun auf dem kürzesten Wege in das Atelier zurückkehren.

Die Baronin griff unwillkürlich und erschrocken nach dem confiscirten Schlüssel in ihrer Tasche, aber schon wurde eine andere, direct aus dem Garten in das Atelier führende Thür von draußen aufgeschlossen.

„Bist Du in das Haus geflogen, Clementine?“ fragte Baron Schilling eintretend. „Alle Eingänge, auch den nach oben, mußte ich aufschließen.“

„Ich habe mir Robert’s Schlüssel zu Deiner Atelierwohnung geben lassen,“ sagte sie nicht ohne Verlegenheit. „Ich meinte, während Deiner Abwesenheit doch einmal nach der Ordnung sehen zu müssen.“

Bei dieser erbärmlichen Ausflucht wandte sich Fräulein von Riedt so hastig ab, daß ihr Seidenkleid in jeder Falte rauschte.

„Du bist sehr gütig. Diesem Ordnungssinn zuliebe hast Du Deine tiefe Abneigung heroisch bekämpft,“ sagte Baron Schilling gelassen. „Nun, da wirst Du gefunden haben, daß man den Boden schlecht fegt, denn alte Couverts liegen umher, und daß die Bedientenseelen sich nicht scheuen meinen Geheimnissen in den Schränken nachzuspüren – ah, Du warst so freundlich, eigenhändig diese verdrießliche Zeugen einer verabscheuungswürdigen Spionage zu beseitigen?“ unterbrach er sich selbst mit einem über Schrank und Fußboden streifenden Spottblick.

Sie erhob sich schweigend. Es mochte ihr tiefgehen, auf einem ihrer dunklen Wege so compromittirend ertappt worden zu sein, aber diese Frau hatte offenbar große Uebung im Vertuschen, im verleugnenden Hingleiten über Geschehnisse, die ihr eine Blöße gaben. Sie ergriff mit hastigen Händen ihre Schleppe und schüttelte sie ab.

„Ach ja, es ist sehr staubig hier – Du bist schlecht bedient,“ sagte sie. „Uebrigens scheint es, als moquirtest Du Dich über mein Hiersein – ich werde selbstverständlich nicht wieder kommen. Aber es ist doch ganz gut, daß ich mich für einmal wenigstens überwunden und einen Blick hier hereingeworfen habe.... Das Bild dort – wirst Du es in die Welt hinausschicken?“

Sie zeigte nach der Staffelei.

„Gewiß – es geht in Kürze nach Wien, um ausgestellt zu werden.“

„Diese Verherrlichung des Ketzerthums? Du hättest wirklich die Stirn, sie als Deine Arbeit vor der Welt anzuerkennen?“

„Soll ich mein eigenes Kind verleugnen?“ Er lachte halb verwundert, halb spöttisch auf und trat unwillkürlich der Staffelei näher, als gelte es, profane Blicke von diesem Lieblingskinde abzuwehren.

„Ein ungerathenes!“ grollte die Baronin in unbeschreiblicher Erbitterung. „Frage Adelheid –“

„Wie – eine Kunstkritik aus diesem Munde? Du wirst begreifen, daß ich sie mir ganz entschieden verbitte,“ rief er mit vernichtendem Hohn, und sein flammendes Auge heftete sich durchbohrend auf die Stiftsdame, die sofort herangerauscht kam. Diese zwei Menschen waren Todfeinde, die sich im Grund ihrer Seele gegenseitig verabscheuten – davon zeugten die Blicke, mit denen sie sich maßen.

„Bilden Sie sich nicht ein, Baron Schilling, daß ich mich je anstrenge, in die Technik Ihrer Kunst einzudringen! Ich fühle mich zu Anderem berufen,“ sagte sie kalt – es waren die ersten Worte, die sie zu ihm sprach, seit er in das Atelier getreten war. Dieses dröhnende, sonore Frauenorgan klang machtvoll an den Wänden hin. „Ich habe für die Correctheit der Linien und die Schönheit des Colorits wenig Verständniß; es fesselt mich die bildliche Darstellung im Ausdruck wie in ihren Motiven überhaupt sehr selten – nur eine verderbliche Tendenz, die der Pinsel zu verewigen sucht, vermag mich zu erregen. Diese Abtrünnige hier“ – sie zeigte auf die Gestalt der greisen Hugenottin – „trägt die Märtyrerglorie – “

„Mit allem Recht. Oder soll ich dem Glaubensfanatismus einer Stiftsdame zuliebe die Weltgeschichte fälschen?“

„Als ob das nicht bereits die eclatanteste Fälschung sei!“ rief sie, den Arm gegen das Gemälde ausstreckend, in ausbrechender Leidenschaftlichkeit. „In jener heiligen Nacht, die man die Bartholomäusnacht nennt, war jede Hand, welche die Waffe auf ein Hugenottenherz richtete, die strafende Hand Gottes selbst – “

„Bitte, Fräulein von Riedt – ich dulde nie, daß in dieser meiner stillen Werkstatt der Confessionshader laut werde.“

„Und entfesseln Sie ihn denn nicht selbst in geradezu verbrecherischer Weise?“

„Ach ja, in unserer Zeit ist jeder Künstler, jeder Denker ein Verbrecher, sobald er nicht vertuscht, sondern an der Wahrheit festhält und das wahrhaft Gute und Edle will – man beschuldigt ihn der aufdringlichen Tendenz, mag er sie gewollt haben oder nicht. Aber ich habe bereits erklärt, daß ich mir Ihre kritischen Bemerkungen entschieden verbitte, mein Fräulein. Wo es Ihnen gelingt, den Fuß hinzusetzen, da wurzelt er auch sofort fest, wie eine verderbliche Schlingpflanze, und das Terrain ist erobert. Auf diese Weise habe Sie sich in meinem Hause eingenistet und einen Frauenwillen unterjocht, der sonst an Starrheit nichts zu wünschen übrig läßt. Von diesem Gebiete habe ich mich zurückgezogen – ich überlasse es Ihnen. Ich mag keinen Besitz, den ich täglich, stündlich immer wieder dem bis zum Wahnwitz gesteigerten Fanatismus abringen muß. Aber hier, um das edle Antlitz meiner Kunst, meiner Heiligen, der unermüdlichen Trost- und Freudenspenderin, sollen mir die Nachteulen und Fledermäuse ganz gewiß nicht flattern – “

„Arnold!“ Die Baronin stürzte auf ihn zu und ergriff mit beiden Händen den Arm des Sprechenden – es lag eine unbeschreibliche Angst in ihren Zügen. „Widerrufe, Arnold! Du willst nicht sagen, daß Du Deine Kunst über Dein Weib stellst, nein, das willst Du nicht sagen.“

Er stand unbeweglich.

„Ich habe gesagt, was wahr ist,“ versetzte er eisig. „Ich habe sie erwählt. Sie zeigt und führt stets nach oben; nie reißt sie mich hinab und zwingt mich, in die verhaßten, dunklen Schlupfwinkel zu blicken, als da sind Verstellung, Lug und Trug, Herrschsucht und boshafte Launen in der weiblichen Seele. Nie hat sie sich als treulos erwiesen – “

„War ich Dir nicht treu?“ fuhr die Baronin auf.

„Du cultivirst eine Freundschaft gegen meinen Wunsch und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_531.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)