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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

kostbarer Geräthschaften von Edelmetall, stand in ovalem Bronzerahmen die Photographie eines jungen Mannes, ein Kopf von großer Schönheit, aber ziemlich unbedeutend im Ausdruck.

„Der arme Valmaseda“ – hatte Lucile, Baron Schilling’s Blick nach dem Bilde verfolgend, in ihrer medisanten Art eines Tages geflüstert – „er war ein netter, ein bildhübscher Mensch, aber – es war doch gescheidt von ihm, zu sterben. Wissen Sie – ein großes Licht war er gerade nicht. Mercedes hatte sich mit fünfzehn Jahren verlobt; da paßten sie noch zusammen, aber nachher that sie ja so furchtbar geistreich, und da konnte der arme Schelm nicht mehr mit – in der Ehe hätte das kein Jahr lang gut gethan – mein Gott, was sage ich – nicht vier Wochen! Die brave Feindeskugel kam gerade recht, noch in seine Bräutigamsillusionen hinein. Mercedes ist an seiner Seite gewesen und hat ihn in ihren Armen aufgefangen. ‚Ein himmlisches Sterben!’ soll er gesagt haben.“

An den Verhandlungen in der Fensterecke betheiligte sich Donna Mercedes später nicht mehr – aus Furcht vor der eigenen Schwäche, die sie allmählich überkam; sie ließ sich deshalb die Aussprüche der Aerzte durch Baron Schilling berichten.... Es war ein seltsam neues Gefühl, das sie immer mehr beschlich, das Bewußtsein eines Haltes, der ihr von außen kam. Bis dahin hatte sie sich stets nur auf die eigene Kraft verlassen und ihre Selbstständigkeit eifersüchtig gewahrt wie ihre Tugend; so hatte sie nie gewußt, was es heiße, Schutz zu genießen – jetzt fühlte sie ihn als eine Wohlthat. Sie sagte sich, daß der Mann, der sich mit ihr in den Krankenwärterdienst theilte, aufmerksamen Auges zugleich ihr Wohl und Wehe behüte, aber das stolze, verächtliche Lächeln, mit welchem sie gewohnt – war, unbegehrte Theilnahme zurückzuweisen, spielte ihr dabei nicht um die Lippen.... Wenn der nichts weniger als schöne, aber kraftvoll stattliche Mann mit dem Ausdruck stillen Ernstes am Krankenbett saß, dann schöpfte sie Trost aus seinem Anblick, dann war ihr, als sei ihr Liebling geborgen, als müßten alle finsteren Gewalten zurückweichen. Sie wurde unruhig, wenn er fortging, und athmete freudig klopfenden Herzens auf, sobald sie seinen nahenden Schritt draußen im Corridor hörte. Sie dachte nicht mehr an die Frau, die in Rom betete, um die verhaßten Eindringlinge möglichst schnell loszuwerden, an diese Klosterschülerin, welche im finsteren Aberglauben ihr eigenes Heim mit spukhaften Seelen bevölkerte und alle Logirräume bis auf die verrufene Zimmerflucht verschlossen hatte, jedenfalls, damit der unsaubere Geist den ungewünschten Besuch austreibe.

Etwas Unheimliches hatte diese Erdgeschoßwohnung allerdings auch für Donna Mercedes – das waren die mächtigen, tief auf den Boden herabgehenden Fenster. Die Brüstung zwischen den Zimmern und der draußen hinlaufenden Säulenhalle war so niedrig, wie kaum ein Balcongeländer, das man mühelos übersteigen kann. Der erstickenden Hitze wegen durften Abends die inneren Läden nicht vorgelegt werden; die Fensterflügel des Krankenzimmers standen auf Anordnung der Aerzte offen, und damit kein helles Licht von außen hereinfalle, hatte Baron Schilling das Anzünden der Gasflammen im Vorgarten verboten. Es herrschte somit gähnende Finsterniß unter der Wölbung der Halle; nur ganz fern glühten drüben auf der menschenleeren Promenade vereinzelte Gaslichter; der Nachtwind zog schwach seufzend an der Säulenreihe hin, und vom Klostergut kamen die Fledermäuse herüber und schwammen scheu in dem schwachen, grünen Licht, das die kleine Flamme durch den Lampenschirm des Krankenzimmers hinauswarf.

Aber dieser blasse Schimmer, den die Nacht draußen schon aufsog, ehe er nur die nächste Säule erreichte, er hob auch andere Erscheinungen aus der Finsterniß, und das war unheimlich, visionartig. Donna Mercedes sah zweimal dasselbe, als sie, regungslos im Dunkel hinter dem Spitzenbehang ihres Bettes sitzend, das phantasirende Kind behütete. Kein Schritt war draußen auf dem Steingetäfel hörbar geworden; nicht das leiseste Geräusch hatte Menschennähe ahnen lassen, und doch hatte sich plötzlich ein Antlitz über die Brüstung hereingeneigt, ein todtenweißes, schönes Frauengesicht mit Zügen wie in Stein gemeißelt, mit dunkelglühenden Augen, die starren, verzehrenden Blickes auf das kranke Kind gerichtet waren, als wollten sie ihm die Seele aussaugen. Bei dem unwillkürlichen Emporschrecken der Pflegerin aber war das Gesicht jedesmal verschwunden, als sei es von einer schwarzen Tafel weggelöscht worden.

Donna Mercedes hatte das weibliche Dienstpersonal des Schillingshofes nie beobachtet, aber sie meinte, dieses in Schmerz und Gram förmlich versteinerte Antlitz müßte ihr doch bei der Begegnung nothwendig aufgefallen sein. Sie forschte jedoch nicht nach, wie sie überhaupt während der ganzen schweren Prüfungszeit nur über das Allernöthigste sprach.

So waren viele Tage in unbeschreiblicher Angst und Aufregung verstrichen – nun eine furchtbare Nacht noch, in welcher man jeden Augenblick fürchtete, den schwachen Kindesodem für immer verlöschen zu sehen, dann brach ein rosig schöner Morgen an, und das goldene Tageslicht flammte auf, um ein junges Menschenkind wiedergewonnen in seine lebenathmende Fluth zurückzunehmen – der kleine José war gerettet.

Der Jubel darüber war groß. Die beiden Schwarzen geberdeten sich wie toll, und Lucile war in ihrer Freude so extravagant, wie vorher in ihrer Angst. Zum ersten Mal wieder sorgsam frisirt, in hellseidenem Kleide, die Locken voll frischer Rosen, einen Rosenstrauß an der Brust und in den Händen, kam sie geschmückt und grazienhaft wie eine Bajadere früh in das Krankenzimmer geflogen und machte Miene, sich stürmisch über den Knaben hinzuwerfen und sein Lager mit den duftenden Blumen zu bestreuen; allein die eben anwesenden Aerzte verbaten sich energisch derartige Freudenausbrüche, was die kleine Frau durchaus nicht begreifen wollte und als gänzliches Mißverstehen ihrer Zärtlichkeit sehr übel nahm. Sie kehrte ihnen trotzig den Rücken und lief schmollend hinaus – die Gefahr war vorüber – nun konnte man auch wieder naiv und unartig sein.

Donna Mercedes war tagsüber standhaft geblieben; sie hatte den Thränen des Glückes, der unaussprechlichen Erleichterung vor den Augen der Anderen gewehrt. Aber nun war es wieder Abend geworden; Baron Schilling hatte sein Atelier aufgesucht; Lucile und Paula tranken den Thee in den Gemächern der kleinen Frau, und Deborah war hinübergegangen, um dabei zu bedienen.

Es war um die neunte Stunde, aber schon herrschte die Finsterniß der tiefen Nacht – der Himmel hing voll Regenwolken. Nur hinter der weit drüben liegenden Häuserreihe der Straße schoß dann und wann die grelle Lohe des Wetterleuchtens empor, um machtlos in den düfteschweren, schwülen Lüften zu verlöschen.

Der kleine José schlief – es war der traumlose Schlaf der tiefsten Erschöpfung; ein in den Kissen ruhender Engel von Wachs hätte nicht lebloser daliegen können, als dieses Kind in seinem spitzenbesetzten, weißen Nachtkleidchen.... Donna Mercedes kniete an seinem Bette und hatte die Rechte leise auf das kühle, fieberlose und schlaff hingesunkene Händchen gelegt. Nun war sie allein mit ihm; nun konnte sie ihre Augen wieder weiden an dem Gesichtchen unter dem blonden Gelock, wenn es auch noch so unheimlich vertieft und dunkel in den Augenhöhlen, so abgezehrt und blutlos wächsern dalag – es sollte sich ja wieder runden und aufblühen zu seiner früheren Lieblichkeit. – Sie grub die Stirn in die weiße Decke, die den schwachathmenden kleinen Leib halb verhüllte, und ein lautloses, aber heftiges und befreiendes Weinen durchschütterte ihren Körper.

Der Nachtwind kam über die Rosenbäume des Vorgartens her; er zog warm und balsamisch durch das Zimmer und blähte die Vorhänge auf – die Knieende hörte, wie sich die Seidenfalten im Zurücksinken an einander rieben. Es klang aber auch, als schleife ein Gewand draußen über die Steinmosaik der Säulenhalle, und plötzlich tastete eine Hand auf der Fensterbrüstung....

Donna Mercedes fuhr empor – und da war das weiße Gesicht wieder. Eine schwere, graue Flechte wie ein Fürstendiadem über der Stirn, um die Schultern einen zurückgesunkenen schwarzen Shawl, der jedenfalls das Haupt vermummt gehabt, stand die fremde Frau da und krampfte die Hände um den Holzrahmen des Fensters.

„Gestorben?!“ stöhnte sie in wildem, halb ersticktem Aufschrei.

Die Knieende erhob sich – dieser Anblick, der Stimmklang, der sich unbeherrscht einer schmerzgefolterten Menschenbrust entrungen, erschütterten sie. Lebhaft verneinend schüttelte sie den Kopf und wollte auf das Fenster zugehen – sofort wich das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_467.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)