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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Das Nationaldenkmal für den Niederwald:
Der Krieg.
Nach der Natur aufgenommen von Rudolf Cronau.



begleitenden Worte zu lesen. In ihren Zügen machte der Ausdruck feierlicher Andacht einer kummervollen Spannung Platz. Es widerstrebte der Hand nicht mehr, auch den geschlossenen bogenlangen Brief zu öffnen.

Bis spät in die Nacht hinein saß Clotilde noch immer einsam mit ihrem Feldpostbrief. Als die Lampe verlöschen wollte, faltete sie die Blätter fest zusammen und legte sie in ein verborgenes Fach ihres Schreibtisches. Hier ruhten wie in einem Grabe alle Briefe ihres Verlobten und Gatten, sowie eine Locke seines blonden Haares.

Der nächste Tag fand Clotilde in ernster Thätigkeit. Sie suchte aus ihren wenigen Schränken und Schubladen allerlei Gegenstände zusammen, fügte auch eine Summe Geldes hinzu, und machte aus dem Ganzen ein wohlgeordnetes Packet. Hanna trug es zur Post. Dort ließ sich die Neugierige, die nichts Geschriebenes zu lesen verstand, von einem gefälligen Beamten sagen, daß es an einen deutschen Militärarzt in Frankreich adressirt sei, dessen Namen sie in ihrem Leben nicht gehört hatte. Kopfschüttelnd ging sie von dannen und dachte: der alten Hanna könnte sie auch wohl sagen, was dies Alles zu bedeuten hat. Aber wie hinter Schloß und Riegel bewahrt sie Alles in ihrem armen Herzen. Nun, die Hanna kann warten.

Noch mancher Feldpostbrief kam jetzt in’s Haus, und noch manche Sendung von Geld oder von Erfrischungen trug Hanna zur Post. Sie schüttelte ihren alten Kopf immer bedenklicher. Endlich eines Tages faßte sie den Muth zu einer Frage.

„Um Vergebung, gnädige Frau, ist das ein Verwandter, an den wir all das viele Geld jetzt schicken?“

„Er stand mir einmal sehr nahe, Hanna,“ sagte Clotilde ausweichend und suchte ihre Bewegung und ihr Erröthen zu verbergen. „Der Arme ward gleich in der ersten Schlacht schwer verwundet und hat viel zu leiden.“

„Das ist gewiß sehr traurig,“ meinte die Alte – „aber hat er denn Niemand sonst auf der Welt, der für ihn sorgen kann?“

„Nein, Hanna,“ sagte Clotilde kurz.

„Hm! Ich meine nur,“ fuhr Hanna unerschütterlich fort – „weil gnädige Frau doch selber –“

„Laß das!“ fiel Clotilde ihr in’s Wort. „Du siehst, ich habe jetzt reichlich. Ein paar Unterrichtsstunden mehr des Tages machen ja Alles gut.“

„Ja, aber ich sehe auch, daß das Gesicht der gnädigen Frau immer kleiner und immer weißer dabei wird.“

„O Alte, Du siehst Gespenster am hellen Tage. Aber nun eile Dich, meine liebe Hanna, oder Du kommst zu spät für den nächsten Zug, und der Unglückliche möchte Noth leiden.“

„Es hilft mir nichts, ich muß schon gehen,“ murrte die Alte vor sich hin. Und sie ging, und noch vielmals ging sie denselben Weg mit unzufriedenem Herzen.

Darüber war der Sommer, war der Herbst verstrichen. Der Winter machte sich schon durch rauhe Stürme geltend.

„Und bei diesem rauhen Wetter will meine herzensgnädige Frau reisen,“ dachte die alte Hanna, als sie eines Morgens ihre Nase prüfend zum Fenster hinaussteckte.

Alles was an warmen Kleidungsstücken nur aufzufinden war, schleppte sie herbei und hüllte die junge Frau sorgsam ein.

„Du meinst es zu gut, Hanna,“ sagte diese endlich ungeduldig. „Ich habe ja nur acht bis zehn Stunden zu fahren.“

„Acht bis zehn Stunden!“ seufzte Hanna. „Bei dieser Kälte! Und zum Herrn Onkel geht es diesmal nicht?“

„Nein, diesmal nicht.“

„Und ich darf nicht wissen, wohin die Reise geht?“

„Der Name würde Dir wenig nützen, meine gute Hanna. Du kennst den kleinen Flecken so wenig, wie ich. Frage mich nicht mehr, wenn Du mich lieb hast! Bei meiner Rückkehr erzähle ich Dir Alles.“

„Eine Vergnügungsreise scheint es nicht zu sein,“ dachte die Alte, als sie die großen Thränen in den Augen ihrer Herrin sah, die ihr noch einmal aus dem Waggon zunickte. „Wenn sie mich doch nur mitnehmen wollte! Aber nein! Da fährt sie nun wieder so allein in die Welt hinaus.“




8.

Für Clotilde war es eine Wohlthat, daß sie im Coupé allein blieb. So konnte sie ungestört ihren Gedanken nachhängen.

„Welch eine Reise!“ dachte sie. „Wieder vor ihn zu treten mit diesem leeren Herzen, aus dem allen Liebe, alle Verehrung für ihn geschwunden ist! Ich hatte geglaubt, ihn niemals wiederzusehen, und wie werde ich ihn wiederfinden? Rudolph, Rudolph! Was hast Du aus mir gemacht! O, unsere selige Jugendzeit! Unsere Jahre von Liebe und Glückseligkeit! Dahin, dahin! Nicht einmal die reine Wonne der Erinnerung ist mir geblieben. Wie ein Gifthauch geht Deine Untreue darüber hin. Und als ich Dir unser Kind in die Arme legte, wie innig strahlten mich Deine Augen an! Alles vorbei! Auch mein Kind ist todt.“

Ihre Thränen flossen warm und lindernd; um ihr Herz legte sich der Schmerz sanft und weich. Mitleid und Erbarmen führten sie an sein letztes Lager. … Der Arme! Er konnte nicht sterben, ohne von ihren Lippen zu hören, daß sie seinem Andenken nicht fluche, daß sie an seine Liebe wieder glaube und ihn mit Wehmuth beweinen würde, wenn er gestorben sei.

Sie nahm einen Brief aus der Tasche, einen seltsamen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_421.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)