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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

gefunden. So geht es mit der Liebe – so geht es dem Dichter in seiner halb willenlosen Wahl eines dichterischen Stoffes, der über ihn kommt, ihn nicht mehr losläßt, ihn mächtig reizt und bezwingt, bis er selbst, in mehr oder minder qualvollem Schöpfungsdrange, ihn bezwungen hat.

Franz Grillparzer, der berühmte Wiener Dramatiker, hatte am 31. Januar 1817 seine erste Tragödie „Die Ahnfrau“ im Theater an der Wien zum Vortheile der Hofschauspielerin Sophie Schröder zur Aufführung gebracht.

Der Erfolg war ein außerordentlicher, mit einem Schlage war der Name des damals sechsundzwanzigjährigen Dichters zu hohem Ruhme gelangt; im Sturmschritte ging das erschütternde Trauerspiel über alle deutsche Bühnen; eine wahre Fluth sich widersprechender Urtheile wogte hin und her durch alle Journale, und Tolles und Absurdes, Gelehrtes und Schönes wurde über dieses Erstlingswerk geschrieben. Ein „Schicksalsdichter“, ein „Nachtreter Houwald’s, Werner’s und Müllner’s“ – das war die Signatur, die man dem verblüfften Dichter auf die Stirn drückte. Vergebens eiferte Grillparzer dagegen; vergebens erklärte er in der Vorrede, die er der ersten Ausgabe seines Stückes beigegeben, „die Schule nicht zu kennen, zu der man ihn zu zählen beliebe, und nicht zu wissen, mit welchem Rechte man einen Schriftsteller, der ohne Anmaßung und ohne Zusammenhang mit irgend einer Partei zum ersten Male im Publicum auftrete, Ungereimtheiten zur Last lege!“. Es half nichts. „Die Ahnfrau“ blieb eine Schicksalstragödie; er selbst gehörte dieser von ihm perhorrescirten dramatischen Richtung an, und um sich herum mußte er von Neid und Mißgunst, die den außerordentlichen Erfolg und den dichterischen Werth seines Erstlingswerkes nicht ableugnen konnten, die Ueberzeugung aussprechen hören, daß sein Talent wohl nur so weit reiche, um mit Räubern, Gespenstern und Knalleffecten eine Wirkung zu erzielen, daß aber, wenn er einen einfachen Stoff wählen und mit einfachen, wahrhaft menschlichen Conflicten arbeiten würde, die Unzulänglichkeit seines weit überschätzten Talentes sich gewiß unverkennbar herausstellen werde.

Grillparzer war eine leicht verletzbare, gegen Lob gleichgültige, bei niederm Tadel aber in seinem Selbstgefühle sich aufbäumende Dichternatur. So fühlte er sich durch die gedruckte und gesprochene Kritik alle Schaffensfreude verkümmert, und wie später in die dramatischen Werke der Spanier, so versenkte er sich jetzt, um die angethane Unbill zu vergessen, in die Welt der griechischen Dramatiker, unter welchen Euripides damals seinem Herzen am nächsten stand.

An einem Herbstabende 1817 schritt Grillparzer nachdenklich durch die Jägerzeile dem Prater zu. Seine Stimmung war eine verbitterte; er war mit sich selbst unzufrieden; sein ganzes Leben erschien ihm ziel- und zwecklos, und nichts lag ihm jetzt ferner, als die Idee, je wieder ein Drama für das deutsche Theater zu schreiben und auf’s Neue seine unbeschützte, für jeden Pfeilritz so empfindliche Brust den rücksichtslosen Angriffen einer seine Absichten verkennenden Kritik preiszugeben.

Da begegnet ihm ein Bekannter, der damals schon ältliche Dr. Joël, der sich ihm anschließt und ihm im Namen des Componisten Weigl den Vorschlag macht, für diesen einen Operntext zu schreiben. Dieser Vorschlag hatte für den Dichter nichts Lockendes. Wie nahe er auch der Musik stand, wie er auch die Tiefe und Schönheit der Tonkunst in seinen Gedichten feierte, einen Text zu liefern, den ein Tonmeister musikalisch illustrire, diesen Ehrgeiz fühlte er nicht in sich. Er hat in späteren Jahren es nur einmal versucht, aber der Meister, für den er es that, war sein vergötterter Beethoven; es war der Operntext „Melusine“, den er damals schrieb, ein, wie wir gleich hier ehrlich gestehen wollen, mangelhaftes Libretto. Beethoven, wie oft er auch daran gegangen zu sein versicherte, hat „Melusine“ niemals componirt.

So schüttelte denn Grillparzer Dr. Joël gegenüber verneinend den Kopf. Der gute Mann aber ließ sich nicht abweisen, redete dem Dichter, ihn bis in den Eingang der Praterallee begleitend, immer von Neuem zu und meinte: Er habe ein ganz passendes Sujet schon selbst gefunden.

„Und dieses Sujet wäre?“ fragte Grillparzer.

„Sappho, die unglückliche Dichterin,“ und nun setzte er ihm aus einander, wie die Einfachheit des Stoffes, die Concentrirung desselben auf eine einzige Leidenschaft: die Liebe, der opernhafte Abschluß mit dem Sprunge vom Leukadischen Felsen dieses Sujet für ein Opernlibretto so recht empfehle.

Und Grillparzer blieb einen Augenblick sinnend stehen; er sah den poetischen Rathgeber mit den eigenthümlichen blauen Augen, aus denen der Blitz der Begeisterung hervorbrach, an, und aus den Lippen, die fieberhaft vibrirten, stieß er die Worte hervor:

„Das ist kein Opernstoff; das ist der Stoff zu einer Tragödie.“

Die willenlose Wahl war getroffen; sein Herz glühte; Gestalten begannen sich in seinem Hirne zu regen, und ohne Wort, ohne Gruß ließ er den erstaunten Begleiter stehen und eilte in das unwegsame Waldesdickicht der Prater-Auen hinab.

Es war tiefe Nacht, als er in seine Wohnung zurückkehrte. Eine im Schottenhof wohnende alte Tante hatte ihm ein Zimmer, das sie nur den Tag über benutzte, zum Schlafen überlassen. Dahin schlich er; alles im Hause schlief bereits, und mit blasser Tinte, auf grobem Conceptpapier begann er mit fieberhafter Hast die ersten Scenen der „Sappho“ niederzuschreiben. Gedanken und Verse kamen von selbst; er hätte nicht schneller abschreiben können, als er diese Dichtung in schaffensfreudiger Begeisterung entwarf. Bis nahe dem Schlusse des ersten Actes wurde von ihm die Dichtung in einer einzigen Nacht gebracht. Am folgenden Morgen eilt er nach kurzem Schlafe, wie im Halbtraume, keines andern Gedankens fähig, in die Hofbibliothek.

Fünfzig Jahre später zeigte mir der Dichter in dem herrlichen, säulengeschmückten, mit den wunderbaren Fresken Graun’s gezierten großen Bibliotheksaale die Stelle, wo er damals gestanden und dem Bücherschranke eine griechische Anthologie entnommen, welche die Bruchstücke der muthmaßlich Sappho’schen Gedichte enthielt. Dort hatte er, wie er versicherte, aus dem Stegreife und mit zitternder Hand die schönen Verse übersetzt, welche den Schluß des ersten Actes seiner Tragödie bilden:

„Golden-thronende Aphrodite,
Listen ersinnende Tochter des Zeus,
Nicht mit Angst und Sorgen belaste,
Hocherhab’ne, dies pochende Herz!“ etc.

Grillparzer hat von seiner poetischen Begabung oft behauptet, sie komme ungerufen und verlasse ihn oft mitten in der Arbeit, wenn er ihrer am nothwendigsten bedürfe. So hat er sein „Goldenes Vließ“ erst nach langen Unterbrechungen beendigt; so lag der erste Act von. „Der Traum ein Leben“ jahrelang in seinem Pulte, ehe er die Stimmung fand, die weiteren Acte daran schließen zu können.

Diesmal aber kam in seine Schaffenslust keine Unterbrechung; wie ein tägliches Pensum absolvirte er Scene um Scene, und nach drei Wochen konnte er unter die Schlußworte seiner „ Sappho“:

„Es war auf Erden ihre Heimath nicht;
Sie ist zurückgekehret zu den Ihren!“

tief aufathmend, die Worte setzen. „Der Vorhang fällt. Ende.“

Das Stück wurde nun dem freisinnigen, mit dem Dichter innig befreundeten Leiter des Hofburgtheaters, Joseph Schreyvogel, übergeben und schnell zur Aufführung angenommen. Man ging an die Besetzung der Rollen. Wer sollte die Sappho spielen? Sophie Schröder, die Einzige, die dafür, wenn auch nicht durch äußere Erscheinung, so doch durch geistige Kraft, Macht der Leidenschaft und vollendete Gabe der Declamation wie geschaffen war, hatte wegen eines bei ihr periodisch wiederkehrenden Zerwürfnisses mit der Direction Wien verlassen, und Madame Löwe, an die man allein unter diesen Verhältnissen denken konnte, war wohl eine vortreffliche Schauspielerin, doch der Rolle der Sappho nicht gewachsen. Und dennoch hätte sie dieselbe spielen müssen, und wie hätte sich dann der Erfolg der ersten Aufführung, der meist für immer entscheidenden, gestaltet?

Aber ein glücklicher Stern leuchtete der unglücklichen Dichterin von Lesbos: Sophie Schröder kehrte nach Wien, der Stätte ihres künstlerischen Ruhmes, zurück; sie las die „Sappho“; sie erkannte, diese Rolle sei für sie „ein Adlerfutter“; sie war ganz Feuer und Flamme für Rolle und Stück und entflammte mit ihrer Begeisterung alle Anderen.

Wer aber sollte die Melitta darstellen, dieses anmuthige Naturkind, diese reine Mädchenknospe, die sich vor unseren Augen, unter dem Hauche der Liebe, zur Rose erschließt? – Grillparzer wählte sich für diese Rolle Madame Korn, eine Schauspielerin, weit über die Blüthe der ersten Jugend hinaus, vortrefflich als Soubrette im Lustspiele, in der versificirten Tragödie aber bis

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