Seite:Die Gartenlaube (1879) 346.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

bei Vertheidigung seines Herdes schwer verwundet, bereits seit Langem auf dem Leidensbette einem frühen Tode entgegenging.

Nach einem stillschweigenden Uebereinkommen zwischen dem Rath und seiner Schwester wurde der Name des Verstoßenen nie wieder laut; er war für das Klostergut und seine sämmtlichen Insassen verschollen und verpönt, wie der seines Vaters.

Im Schillingshof dagegen flogen anfangs häufig Nachrichten aus Amerika ein – enthusiastische Schilderungen, glückstrahlende Berichte, die aber schon im Jahre 1861 durch die Schatten böser Vorahnungen getrübt wurden. Dann blieben sie ganz aus, und erst im Jahre 1865, nachdem mit der vollständigen Unterwerfung des Südens der amerikanische Bürgerkrieg beendet worden war, schrieb Felix von seinem Schmerzenslager aus an den Freund im Schillingshofe und meldete ihm den Tod seines Vaters und die völlige Verwüstung und Verödung seines Besitzthums. In diesem Briefe hatte auch das Schreiben gelegen, das die Majorin zurückgewiesen. Seitdem war der Briefwechsel ein regerer geworden; denn Baron Schilling war und blieb dem Fernen ein treuer Freund.

Sein eigener Lebensgang war inzwischen – den Tod seines Vaters ausgenommen – in keiner Weise durch wuchtige Stöße des Schicksals erschüttert worden. Stetig emporwachsend, wurde sein Künstlername weit über die Marken Deutschlands hinaus gefeiert; das mächtige Talent des Barons war ein Goldquell, der ungeahnt hervorbrach und, wie der alte Herr noch kurz vor seinem Ende in schmerzlicher Selbstanklage und bitterem Sarkasmus sagte, „die nichtswürdige, unväterliche Opferung des armen Isaak“ als überflüssig stempelte.

Baron Schilling lebte fast ausschließlich seiner Kunst. Er hatte sich ein schönes Atelier im Garten des Schillingshofes gebaut und eingerichtet, das aber oft verlassen stand; denn er reiste viel, lebte abwechselnd in Italien, Frankreich, vorzugsweise gern auch in Skandinavien, je nachdem seine Ideen und Entwürfe die unmittelbare Anschauung des Bodens erheischten, auf dem sie fußen sollten.... Immer aber, wo er auch gesehen wurde, ob in den Straßen von Rom, Paris oder Stockholm – immer hing ihm die lange, blasse, blonde Frau, höchst elegant, aber mit Vorliebe in Grau gekleidet, am Arme.

Sie hatte es scheinbar aufgegeben, gegen das künstlerische Wirken ihres Mannes anzukämpfen, nachdem sie jahrelang glühenden Haß gegen „die Pinselwirthschaft“ in dem altadeligen Hause gepredigt, den Bau des Ateliers um jeden Preis zu hintertreiben gesucht und vergebens die ganzen Requisiten ihres schwächlichen Nervenlebens aufgeboten hatte. Nicht einmal auf den heiteren Gleichmuth, die verbindlich ruhige äußere Haltung ihres Mannes hatten diese Bemühungen zu wirken vermocht, geschweige denn, daß sie seine Schaffenslust, seine Begeisterung berührt hätten; dieser junge Kopf war zu ihrem Erstaunen noch weniger lenksam, als ihr alter, strenger Beichtvater, der finstere Eiferer. – Das Atelier wurde vor ihren Augen fertig, ein herrliches Bild um das andere vollendet; die verhaßten Modelle gingen ungenirt an der „gnädigen Frau“ vorüber, und der noch weit mehr angefeindete „Erwerb durch den Pinsel“ kam direct an die vornehme Adresse des Baron Schilling.... So zog es die junge Frau denn vor, das Berufsleben ihres Mannes mit seinen Gefährlichkeiten wenigstens zu überwachen – ein Posten, den ihr schon allein ihre halbverschwiegene, leidenschaftliche Liebe zudictirte. Ihre schwache Gesundheit verbot ihr von selbst alle angreifenden Reisen, aber sie ging nichtsdestoweniger mit. Sie ließ ohne Widerrede ihrerseits, aber auch ohne Aufforderung von seiner Seite einpacken, sobald er den Tag seiner Abreise festgesetzt hatte; sie durchwanderte mit ihm die Museen und Gemäldegallerien, stieg in Schluchten hinab und auf die Bergesgipfel empor und setzte sich schweigend, mit der ewigen Stickerei in der Hand, seitwärts nieder, sobald er zu zeichnen begann....

In den Künstlerkreisen war die Baronin verhaßt durch die souveräne Art, mit der sie jegliches Verständniß für die specielle künstlerische Begabung ihres Mannes, wie auch für die Kunst überhaupt entschieden ablehnte, und als Baron Schilling im Jahre 1866 auf den Kriegsschauplatz nach Böhmen eilte und, halb im Johanniterdienst, halb um seiner Studien willen, den Feldzug mitmachte, da jubelten die befreundeten Künstler, daß „der nebenher schleppende, lange, blonde Schatten“ doch einmal von seiner Seite hatte weichen und zu Hause bleiben müssen.... Die vornehme Gesellschaft dagegen fand die Frau zwar nicht hübsch, um ihrer stolz selbstbewußten Manieren willen aber „comme il faut“; auf ihrer Visitenkarte vereinigten sich zwei Namen von gutem Klange; sie hatte den reich begüterten Baron Steinbrück allein beerbt und galt für streng, ja fanatisch im Punkte ihres römisch-katholischen Glaubens – lauter Gründe, die ihr viel Auszeichnung, besonders in Rom, verschafften....

Es war für die umwohnenden Leute eine seltene Erscheinung gewesen, daß während der letzten Wintermonate die Schlöte auf dem Säulenhause Tag für Tag gedampft und die Gascandelaber im Vorgarten allabendlich gebrannt hatten, und nun war der Frühling nahezu vorüber und noch hob sich mit jedem Morgen die monoton graue Rouleauxreihe in der Beletage und ließ die Spitzen- und Seidendecorationen hinter den Scheiben sehen. Man wußte, daß Baron Schilling an einem großen Werke arbeite und sich deshalb aus der Welt in den stillen Schillingshof zurückgezogen habe. Im Vorgarten wurde er selten gesehen, noch weniger aber an den Fenstern der Beletage, welche die Baronin bewohnte.... Mitunter machte er zu Pferde Ausflüge in die Umgegend; er war ein einsamer Reiter, der oft in die unwegsamsten Pfade einlenkte, um einem schöne Baume oder einer Felsenpartie das Profil abzugewinnen.

Sein Atelier stand auf dem Gartengrundstück, das sich hinter dem Säulenhause ausbreitete und inmitten eines großen Stadttheiles mit dichtgedrängter Bevölkerung einen grünen Fleck Landes bildete, weit genug, um in seiner Mitte die tiefe Stille eines einsamen Parkes zu behüten. Im siebenzehnten Jahrhundert hatte der Stolz der Ritterlichen das Schilling’sche Wappen in grünem Buchsbaum riesengroß vor der Ostfronte des Säulenhauses hinbreiten lassen; Rosmarin- und Eibenhecken waren zu Vasen, Pyramiden, ja zu großen Vogelgestalten verschnitten gewesen und hatten im steifen Gemisch mit Muschelgrotten und abnormen Steinfiguren abgewechselt. Von allen Nachkommen war die geschmacklose Schöpfung respectirt worden, bis der Freiherr Krafft kam und mit seinem gesunden Sinn den ganzen Plunder cassirte. Die verstümmelten Bäume und Sträucher durften in’s Kraut schießen, so viel sie Luft hatten; köstliche Wiesenflächen wurden angelegt, schöne, starke Bäume gepflanzt, und alle die Brünnlein und Wasserstrahlen, die aus Vogelschnäbeln und Krötenmäulern zu Tage gesprungen waren, kamen jetzt natürlich quellend aus moosigem Gestein und rieselten lustig als volle Silberader durch das Rasengrün bis zum Teiche, den ein Kreis junger, kräftiger Linden umstand. Hier waren sie alle heimisch, die Amseln und Drosseln, die Finken und der scheue Pirol; die süßen Wiesenkleeblüthen hingen voll summender Bienen und Hummeln, und für das schmarotzende Schmetterlingsvolk waren Beete voll Sommerblumen da. An der Ostseite schloß eine Mauer den Garten von einer stillen Straße ab. Ein Dickicht von Fichten, mit Laubbäumen vermischt, maskirte die steile Steinwand, und vor diesem Wäldchen erhob das Atelier seine helle, stuckverzierte Façade und sah in diese grüne Oase voll Duft und Vogelgesang hinein.



11.

Die Glasthür, die aus den oberen Gemächern nach der südlichen Plattform des säulengeschmückten Erdgeschosses führte, stand weit offen. Der Morgenwind strich frisch und kräftig vom Nadelwald der nächsten Bergzinne herüber, aber in den offenen Salon quoll er doch südlich träge, wie mit beschwertem Flügel; er blieb draußen halb und halb in der blüthenbedeckten Orangerie hängen, die das mächtige, balustradenumschlossene Viereck der Terrasse füllte. Diese hochgetragenen, vollentwickelten Blätterkuppeln drängte sich so intensiv an einander, daß es von dieser Seite her stets, selbst unter dem blendend goldenen Morgenlichte, in das Zimmer hinein tief dunkelte und schattete.

Der Frühstückstisch stand seitwärts in einer Ecke, da, wo hinter einer starkstämmigen Magnolie die vollblätterige Waldrebe an der Hauswand emporkletterte, während ein anderer Theil ihrer Rankenwucht sich über die Balustrade warf, um drunten mit ihren schaukelnden, grüngefiederten Ausläufern nach der nächsten Säule zu haschen. Bunte Ara-Papageien schwangen sich ungestüm auf ihren Ständern unter den Orangenbäumen und reckten die Hälse kreischend nach den Kuchenkörben; das lüsterne

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_346.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)