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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Sie sprach zu ihm so wundertönig,
Sie streichelte lind sein wirres Haar,
Bis trunken der kranke Geisterkönig
An ihrem Busen entschlummert war.

So wachte die allerschönste der Frauen,
So scheuchte sie den düstern Sinn,
Den trotzigen Adler, von seinen Brauen
Und setzte die Taube des Friedens hin.

Sie preßte zehn Lilien auf seine Locken,
Zwei brennende Rosen auf seinen Mund;
Auf schlug er das Auge, süß erschrocken,
Und war für alle Zeiten gesund.

Sie schwuren sich keine Liebeseide;
Sie sagten ihr Glück nicht leise noch laut,
Nur die duftige Lenznacht hat sie Beide
Die Hände falten und beten geschaut.

Aber im Grunde ist doch der weltvergessene Liebesjubel, das schöne Versteckspiel zu Zweien ein fremder Zug in diesem zur wilden Paradoxie geneigtem Dichternaturell, dessen wahre Losung lautet:

Wen’s mächtig treibt in’s Meer hinaus, in’s wilde,
Wo vom Orkan gepeitscht die Wogen schäumen,
Der kann nicht still auf trock’nem Lande säumen,
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Der muß mit Thaten kämpfen, mit Gedanken;
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Der muß des Schicksals steingeformte Schranken
So lang an seines Willens Kraft zerschlagen,
Bis rings umher die hellen Funken jagen.

Man muß die hinreißende Vision von der künftigen Weltherrschaft des Dampfes, das wahrhaft prophetische Gedicht „Die Eisenbahn“ lesen, um zu erkennen, wie in Karl Beck Phantasie, Sprache, Leidenschaft sich zu einem unwiderstehlichen Bunde vereinigen, so oft eine gewaltige Antithese seiner Seele sich bemächtigt.

Rufend rauschen rings die Räder,
Rollend, grollend, stürmisch sausend;
Tief im innersten Geäder
Kämpft der Zeitgeist freiheitsbrausend.
Stemmen Steine sich entgegen,
Reibt er sie zu Staub zusammen;
Seinen Fluch und seinen Segen
Speit er aus in Rauch und Flammen.

Die Ungarn haben sich zu Karl Beck sehr kühl verhalten. Vor ihrem grenzenlosen nationalen Dünkel besteht nur als ungarischer Dichter, wer in ungarischer Sprache singt. Dabei wäre wohl die Frage erlaubt, ob Petöfi und Börösmarty in ihren ungarischen oder Lenau und Beck in ihren deutschen Gedichten das innerste Wesen von Volk und Landschaft der Magyaren tiefer erfaßt und schöner dargestellt haben. Allein eine solche Frage wäre nicht nach dem Sinne des heimgegangenen Dichters gewesen, der vielmehr rastlos thätig war, um zwischen Deutsch und Magyarisch eine Brücke herzustellen, und zu diesem Zwecke eine geraume Zeit sogar das Journal „Der Ungar“ herausgab. Es war verlorene Liebesmühe. Das Journal „Der Ungar“ ging ein, und die bewußte Brücke ist niemals zu Stande gekommen. Karl Beck bleibt uns unbestritten und wenn ihm auch bisweilen lodernde Sehnsucht nach der Heimath den Busen schwellte, wenn eines seiner wildesten Gedichte mit dem Wunsche endet:

O tragt mich fort, o tragt den Sehnsuchtskranken,
Ihr meine schlummerlosen Nachtgedanken,
Zu meiner Donau wüthigem Gebraus,
In meine Vaterstadt, in’s Vaterhaus!

so gab es doch kaum jemals eine so treue Liebe zu allem Deutschen, als welche diesen Deutsch-Ungar beseelte, bis der Tod ihm die müden Augen schloß.

Die müden Augen! Und er hatte ein Recht müde zu sein, denn seit dem Tode seiner ersten Frau war sein Leben ein unstetes Hin und Her, ein Anfassen und Loslassen, ein Streben und Verzweifeln. Es war ihm in Berlin ein Mädchen von dreizehn Jahren, Julie Mühlemann mit Namen, zur Erziehung anvertraut gewesen, und er hatte es für sich selbst erzogen. Julie Mühlemann wurde sein Weib, aber nur ein halbes Jahr blieb sie an seiner Seite; die Cholera raffte sie jählings fort. Das ist schon drei Decennien her, aber der Verlust von damals hat nachgewirkt bis zu des Dichters letztem Tage, obwohl er seit sechs Jahren zum zweiten Male verheirathet war und während seines Krankenlagers von seiner zweiten Frau eine beispiellos hingebende Liebe erfuhr.

Ein solches Dichtergemüth ist ein empfindsames Ding. Es erholt sich wohl oft nach tiefen Schlägen, und nicht selten dient ihm das Unglück zur Förderung. Aber oft auch bleibt es todt und klanglos von der Berührung des Unheils. Karl Beck hat sich nicht wieder aufgerafft seit dem Tode seines ersten Weibes, obwohl er ernstliche Anstrengungen dazu machte. Er redigirte für eine Weile das Feuilleton einer Wiener Zeitung, versuchte es mit einem Roman, arbeitete sogar bis in seine letzten Tage an einem Epos „Der Einsiedler“, allein die Kraft hielt dem Willen nicht mehr Stand. Und hier und da blickte auch die Noth zu seinem Fenster herein, und ihr bleiches Antlitz scheuchte die Gedanken aus des Dichters Haupte. O, er hatte tagaus tagein gehofft, es werde ihm ein zweiter Frühling blühen, wie dem Baume:

„Getrost! und wieder blühst du bald,
Denn minder als das Holz im Wald
Wird Gott ein Menschenherz nicht lieben.“

Aber das Sehnen blieb unerfüllt. Karl Beck war „minder geliebt als das Holz im Wald“ und ging nach einmaliger üppiger Blüthe, deren Duft freilich über vier Jahrzehnte vorhielt, dahin, ohne Freude am Dasein, welk und gebrochen – ein Dichter von Gottes Gnaden, aber eben deshalb mit dem Kainsstempel auf der bleichen, vielgefurchten Stirn.




Die Verbreitungswege des Milzbrand-Contagiums.

Der Schrecken, welcher durch den Ausbruch der Bubonenpest im Astrachanischen Gouvernement besonders über die Rußland zunächst liegenden Länder Europas ging und allenthalben die staatliche Fürsorge zum Schutze gegen dieselbe wach rief, ist mit der Seuche selbst erloschen. Indessen ist bei dieser Gelegenheit die Frage der Schutzmaßregeln gegen Seucheneinschleppung in Fluß gekommen, und ich möchte den günstigen Zeitpunkt benutzen, um eine anderweite Anregung auf diesem Gebiete zu geben. Der russische Ursprung der Pestgefahr hat mich lebhaft an die Beobachtungen gemahnt, welche ich während meines Aufenthaltes in der Tatarischen Steppe zwischen Dnjepr und Asow’schem Meere sowie in einem späteren Wirkungskreise über den Milzbrand bei Menschen und Thieren anzustellen Gelegenheit fand.

Bubonenpest und Milzbrand haben das mit einander gemein, daß sie durch animalische Stoffe auf Menschen übertragen werden. Freilich ist, wie die Krankheit selbst, so auch der Ansteckungsstoff des Milzbrandes anerkanntermaßen der schwächere und weniger flüchtige, wenigstens für Menschen, denn Uebertragung von Mensch auf Mensch ist meines Wissens durch kein Beispiel belegt. Gleichwohl bietet der Milzbrand Gefahren auch für das menschliche Leben, und dazu kommt thierisches Leben und damit menschlicher Besitz durch diese Seuche in solchem Umfange in Frage, daß man alle Ursache hat, neben der bisher geübten Absperrung einheimischer Milzbrandbezirke auch den Ursprungsherd des Giftes und die von dort ausgehenden Verbreitungswege ernstlich in’s Auge zu fassen. Als Ursprungsherd aber sind wesentlich die südrussischen Steppen zu betrachten.

Es soll hier nicht untersucht werden, in welchen Stoffen das Contagium des Milzbrandes zu suchen sei, obgleich es mir schon vor den Untersuchungen Davaine’s und Bollinger’s glaublich war, daß es in nicht allzu leichten, dem Boden anhaftenden Dingen bestehe, deren Keime unter günstigen Verhältnissen in die Haut oder die Luftwege und das Blut der Thiere dringen. – Die baumlose Nogayer Steppe, wo schon zu Anfang des Sommers von der ganzen reichen Vegetation fast nur die dürre Thyrse (Stipa) übrig geblieben, alles Andere von der Sonne zu Pulver verbrannt ist, wo bei äußerster Windstille und Sonnengluth die eiskalten 30 und mehr Fuß hohen, 6 bis 8 Fuß dicke Staubsäulen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_301.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)