Seite:Die Gartenlaube (1879) 261.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 16. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Unterdessen war die Majorin in die Küche zurückgekehrt; sie hatte einen Brodlaib aus dem Schranke genommen und schnitt tüchtige Stücken für ein paar im Flur stehender Bettelkinder ab. Auch der Rath kam herein; Felix hörte seinen festen Schritt auf den Steinfließen der Küche; er ging auf die Wohnstube zu, blieb aber plötzlich wie auf einen Ruck stehen.

Das eine Küchenfenster stand offen, und draußen im Hofe sagte ein Tagelöhner zu der Magd, die eben mit einem Arm voll frischen Klees nach den Ställen ging: „Du, der Alte drüben im Schillingshofe hat ja den Adam Knall und Fall fortgejagt; der Kutscher sagte es eben – dem thut’s leid.“

„Geh’ an Deine Arbeit! Für Eure Klatscherei zahle ich keinen Taglohn!“ rief der Rath hinaus. Der Mann fuhr zusammen, als träfe ihn diese herrische Stimme wie ein Messerstich.

Klirrend schlug der Rath das Fenster zu und griff nach einem der Trinkgläser, die sich spiegelblank auf einem Mauersims an einander reihten. „Leidest Du es denn, daß die Leute vor Deinen Augen die Zeit todtschlagen und schwätzen?“ fragte er finster seine Schwester.

„Die Frage war überflüssig; Du weißt, daß ich auf die Hausgesetze halte so gut wie Du,“ versetzte sie abweisend, wenn auch ohne alle Empfindlichkeit. „Aber Adam hat das Gesinde rebellisch gemacht. Er ist der Kohlengeschichte wegen doch noch entlassen worden und war auch hier im Hause, um Dir abermals vorzulamentiren; der Mensch drohte in seiner kopflosen Bestürzung mit einem Sprung in’s Wasser –“

Felix war währenddem auf die Schwelle der Wohnstube getreten; er sah von der Seite, wie der Onkel mechanisch an seinem dünnen Kinnbart drehte und das gegenüberliegende Ganggeländer mit den trocknenden Pferdedecken und Kornsäcken hin- und herirrenden Blickes so angelegentlich musterte, als höre er nur mit halbem Ohr, was seine Schwester sagte.

„Bah – Larifari!“ fiel er ein, ihre Rede kurz abschneidend. „Wer’s sagt, der thut’s nicht.“ Er hielt das Trinkglas unter das Brunnenrohr und trank das frische, perlende Wasser mit einem Zuge aus. „Ich werde übrigens diesem Herrn von Schilling schließlich doch ein wenig auf den Mund klopfen müssen; er treibt mir’s zu bunt in seiner kindischen Wuth,“ fügte er hinzu, das leere Glas niedersetzend. Er fuhr sich mit dem Taschentuch über Kinn- und Lippenbart, aber auch wiederholt über die Stirn, als sei auch sie feucht geworden.

„Das wäre ja dann die Rechtfertigung, die Adam verlangt, Onkel; er will nichts anderes, als das auffallende Zusammentreffen von Deiner Seite aus beleuchtet wissen“ rief Felix hinüber.

Der Rath fuhr nach ihm herum. Er hatte große, graublaue Augen, welche mit dem Selbstbewußtsein eines Mannes, der nie um einen Schritt vom Rechtsboden weicht, durchdringend, in das Gesicht anderer Menschen zu sehen pflegten; aber sie konnten auch versteckt unter den überhängenden Brauen hervorglimmen wie verhaltene Funken. Dieser halbverschlossene Blick glitt an dem Neffen empor, der in eleganter Kleidung hoch und schlank und sehr vornehm auf der erhöhten Schwelle stand, und streifte dann vergleichend an der verschossenen Joppe nieder, die der Herr Rath selten mit einer besseren vertauschte.

Die Bemerkung des jungen Mannes blieb unbeantwortet. Der Onkel lächelte nur sarkastisch; er schlug mit dem Taschentuch hängengebliebene Halme, Erd- und Kohlenreste von seinen Kleidern, die dicke Staubschicht von den Stiefeln, und dabei mit dem Kopfe nach Felix hindeutend, sagte er beißend zu seiner Schwester:

„Er steht da, wie das leibhaftige Modenkupfer, Therese – so frisch vom Schneider weg, so glatt und geleckt! Das flotte Röckchen da müßte sich famos in Scheuer und Kohlenschacht ausnehmen, Felix.“

„Es ist auch nicht dazu gemacht, Onkel; was gehen mich Scheuer und Kohlenschacht an!“ versetzte Felix, seine Empfindlichkeit unter einem flüchtigen Lächeln verbergend.

„Ach wie – so rasch und willig findest Du Dich mit der großen Wandlung in Deinem Leben ab? Da siehst Du nun, Therese, was ich immer sage: diese idealen Köpfe sind reicher als wir; sie werfen Hunderttausende von sich wie Kieselsteine und verziehen keine Miene dabei. Hm, mein kleiner Veit hat Dir einen schlimmen Streich gespielt, Felix – das Klostergut ist kein Pappenstiel.“

Das Ohr des jungen Mannes war von jeher peinlich geschärft für die Modulation in des Onkels an sich wohlklingender Stimme; er hörte auch jetzt einen fast wilden Triumph über die Geburt des Kindes, Schadenfreude und den Wunsch, ihn zu reizen, aus den Bemerkungen heraus.

„Gott sei Dank, ich habe kein neidisches Herz; möchte das Kind zu Deiner Freude heranwachsen!“ sagte er ruhig, und sein schönes, offenes Gesicht trug das Gepräge der Wahrhaftigkeit, des reinen Bewußtseins. „Wenn Du aber glaubst, Geld und Gut seien mir gleichgültig, dann irrst Du; nie habe ich lebhafter gewünscht, ein reicher Mann zu sein, als gerade jetzt –“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_261.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)