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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Planes, und nachdem sie in England bei der Londoner Compagnie und der Plymouth-Gesellschaft die nöthigen Schritte zur Ueberlassung eines Landstriches in Nord-Virginien gethan hatten, rüsteten sich die jüngsten und kräftigsten Leute unter ihnen zur Reise über den Ocean. Von Gönnern und Freunden mit Geldmitteln unterstützt, kauften sie zwei Schiffe, ein kleines von 60 Tonnen, den „Speedwell“ (Ehrenpreis), und ein größeres von 180 Tonnen, die „Mayflower“ (Maiblume). Auf diesen Fahrzeugen sollten vorläufig 120 Gemeindemitglieder nach der Neuen Welt hinüber ziehen.

Am 22. Juli 1620 lief der „Speedwell“ vom Hafen von Delft aus. John Robinson und die Aeltesten der Leydener Gemeinde hatten es sich nicht nehmen lassen, die Auswanderer dorthin zu begleiten. Die Abschiedsstunde wurde in ernster religiöser Weise gefeiert. Der alte, treue Prediger kniete nieder zwischen seinen Freunden und Glaubensgenossen und richtete an die scheidenden Brüder eine letzte ergreifende Ansprache. „Wir werden uns nun bald trennen,“ sagte er, „und ob ich Euch jemals auf dieser Erde wiedersehe, weiß Gott allein. Mag dies aber geschehen oder nicht, ich verpflichte Euch, daß Ihr mir nicht weiter folgen sollt, als Ihr mich selber Christi Lehren befolgen gesehen habt. Wenn Gott durch irgend ein anderes Werkzeug Euch Wahrheiten offenbart, so nehmt sie auf wie die Wahrheiten die ich Euch lehrte; denn ich bin überzeugt, daß der Herr noch weitere Wahrheiten aus seinem heiligen Worte wird hervorbrechen lassen. Die gegenwärtigen Zustände in den reformirten Kirchen kann ich nur beklagen; es herrscht da kein Fortschritt. Die Lutheraner bleiben hartnäckig bei den Worten Luther’s stehen und wollen lieber sterben, als irgend etwas von dem annehmen, was Gott durch Calvin offenbarte; andererseits beharren auch die Calvinisten mit größter Zähigkeit bei Allem, was Calvin lehrte, obschon auch dieser große Mann nicht alle Dinge richtig erkannte. Sicherlich waren die beiden genannten Reformatoren zu ihrer Zeit hellglänzende Lichter, aber dennoch waren auch sie nicht im Stande, die ganze Wahrheit zu erfassen; wären sie jetzt noch am Leben, so würden sie Manches in einem klareren Lichte sehen als früher. Beherziget stets - ich bitte Euch inständigst darum - die Lehre unserer Kirche, die da sagt: Man soll bereit sein, jede Wahrheit anzuerkennen, welche aus dem geschriebenen Worte Gottes hervorgeht. Prüfet und vergleichet auch andere gute Schriften, die Wahres enthalten! Die vollkommene Wahrheit kann nicht plötzlich und auf einmal aus der antichristlichen Finsterniß hervorleuchten, sie bricht sich erst nach und nach Bahn.“ Mit diesen einer freien Forschung in religiösen Dingen huldigenden Worten entließ John Robinson die auswandernden Glaubensgenossen, und aus diesem Grunde ist, wenn auch unter harten Kämpfen, die unbedingte Gewissensfreiheit in den Vereinigten Staaten von Amerika emporgewachsen. Die Scheidenden aber brachten noch vom Schiffe aus den Zurückbleibenden als letzten Abschiedsgruß eine volle Musketensalve und drei Kanonenschüsse dar.

Am 6. August gingen der „Speedwell“ und die „Maiblume“ von Southampton aus nach Amerika unter Segel. Das erstere Schiff wurde jedoch bald als seeuntüchtig befunden, sodaß man zur Umkehr gezwungen war. Jetzt verloren indeß auch einige der Reisenden den Muth zur Auswanderung; allein die beherztere Mehrzahl begab sich an Bord der „Maiblume“ und segelte auf dieser am 6. September von Plymouth aus ab. Es befanden sich auf diesem Schiffe 41 Männer mit ihren Familien, sodaß sich die Gesammtzahl der Auswanderer auf 101 Köpfe belief; darunter waren William Brewster mit einer zahlreichen Familie, William Bradford aus Scrooby, John Carver, ein Diakonus der Leydener Kirche, der junge Eduard Winslow und dessen Braut, das reichste Paar in der ganzen Schaar, Capitain Miles Standify aus Lancashire, ein kühner, feuriger Soldat, und seine schöne Gattin Rosa, John Alden, der Freund von Standish, der Jüngste unter den Pilgern, John Allerton und Dr. Eduard Fuller. Alle diese Männer thaten sich in der späteren Geschichte der Colonnie rühmlichst hervor.

Nach einer stürmischen Fahrt von 63 Tagen langte die „Maiblume“ auf der Höhe des Cap Cod an. Ihr Bestimmungsort war „irgend ein Punkt in der Nähe des Hudsonflusses, allein innerhalb des Gebietes der Londoner Compagnie“, also irgendwo an den Küsten des heutigen New-Jersey oder Connecticut. Als das Schiff auf diesem Cours gen Süden fuhr, traf es auf einige gefährliche Untiefen, vielleicht diejenigen auf der Höhe von Nantucket; es mußte umkehren, die Landspitze umsegeln und in einer Bucht vor Anker gehen, welche von der etwa 12 deutsche Meilen langen Halbinsel des Cap Cod eingeschlossen wird, wo gegenwärtig die Rhede von Provincetown ist.

Zur Verhütung aller Gesetzlosigkeit und Anarchie wurde für den Fall einer Colonie-Gründung eine Urkunde aufgesetzt und auf einem Tische in der Kajüte der „Maiblume“ von der ganzen Schaar der einundvierzig erwachsenen männlichen Auswanderer unterzeichnet. Diese Urkunde lautet im Wesentlichen folgendermaßen:

„Im Namen Gottes, Amen. Wir, deren Namen unten verzeichnet stehen, die getreuen Unterthanen des Königs Jacob von Großbritannien, die wir zum Ruhme Gottes und zur Förderung des christlichen Glaubens, sowie unserm Könige und dem Vaterlande zu Ehren eine Reise unternommen haben, um in den nördlichen Theilen von Virginien (das Gebiet Virginiens war zu jener Zeit weit ausgedehnt) die erste Colonie anzulegen, verpflichten und verbinden uns durch Gegenwärtiges feierlich und gegenseitig, in Gegenwart Gottes, zu einem bürgerlichen Gemeinwesen, behufs besserer Ordnung und zur Förderung der vorerwähnten Zwecke. Wir geloben kraft dessen, solche gerechte und billige Gesetze, Verordnungen, Urkunden, Verfassungen und Amtshandlungen von Zeit zu Zeit zu beschließen und zu erlassen, wie sie für das allgemeine Wohl der Colonie passend und dienlich befunden werden mögen. Wir versprechen hiermit diesen Ordnungen allen schuldigen Gehorsam zu leisten. Zum Zeugniß desselben haben wir unsere Namen unterschrieben zu Cap Cod am 11. November, anno domini 1620.“

Nach Unterfertigung dieser Urkunde, die als der erste rohe Entwurf einer späteren demokratischen Verfassung angesehen werden darf, verfloß aber noch mehr als ein Monat, bevor die Pilgrime landeten. Zuerst stellten sie Fahrten zur Erforschung der Küsten einer großen Bucht, in die sie gelangt waren, an, um eine geeignete Stelle zur Niederlassung aufzusuchen; in einer kleinen Schaluppe und auch zu Fuß durchsuchten sie das Land und hatten bei dem früh eingetretenen strengen Winter viel von der schneidenden Kälte, dem tiefen Schneefall und den hindernden Schneewehen zu leiden. „Wir gelangten,“ so heißt es in dem Tagebuche der Pilger, „in ein tiefes mit allerlei Buschwerk und hohem Grase bewachsenes Thal, wo wir nur mühevoll hindurchdringen konnten. Ein Reh sprang auf, und Quellen frischen Wassers sprudelten hervor, was uns herzliche Freude bereitete. Wir setzten uns nieder und tranken unser erstes Wasser in Neu-England. Niemals zuvor hatten wir Wasser mit solcher Lust getrunken.“

Bei einer andern Landung stießen sie auf einige Indianer, die aber scheu und feindselig waren; von der starken Kälte fror das Wasser an ihren Kleidern, „daß sie fest und steif wurden, wie eiserne Panzer“. An einzelnen Küstenpunkten fanden sie Gräber, einige Ueberreste von menschlichen Wohnungen viele verlassene Wigwams, hier und da einen Haufen Mais und gelegentlich Spuren von Niederlassungen civilisirter Menschen, vielleicht der Normannen, die früher hier gehaust haben mochten. Endlich gelangten die Wanderer in einen hübschen Hafen, dessen Küste ihnen zur Ansiedelung tauglich erschien. Es war der letzte Tag der Woche. Die Pilger ordneten ihre Kleider, luden die Flinten, dankten Gott für die Errettung aus so mancherlei Mißgeschick und legten sich zur Ruhe nieder. Den folgenden Tag verbrachten sie nach Gottes Gebot in aller Stille und innigem Gebet - die erste puritanische Sonntagsfeier in der Neuen Welt. Am Montag landeten sie an einem Felsen auf der Stelle, wo heutzutage Plymouth liegt.

Ein junges Mädchen, Namens Marie Chilton, wird als diejenige genannt, die den Felsen von Plymouth, so nannten sie in dankbarer Erinnerung an die Stadt Plymouth in England den Ort, wo sie sich niederlassen wollten, zuerst betrat. Jener Montag aber war der 22. December 1620; er heißt jetzt der Vor- oder Altvätertag und wird allenthalben gefeiert, wo sich Söhne Neu-Englands zusammenfinden, am Atlantischen Meer wie am Stillen Ocean, am Mississippi wie am Ohio, an den canadischen Seen wie am Golf von Mexico. Der Boden, welchen die Pilgrime zuerst betraten, ist heiliges Land. Von der Habe, die sie an’s Land brachten, werden noch heute einige Ueberreste als Reliquie in der Pilgrimshalle zu Plymouth aufbewahrt; man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_848.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)