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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Eleanor, welche eben hereingetreten war, bereitete den Abendthee. Sie stand in ihrem kurzen linnenen Kleide und dem weißen Wolltuche, das sie auf der Brust gekreuzt und im Rücken geschlungen trug, so einfach, so schmucklos und doch so stolz dort am eichenen Tische, daß ich mein Auge nicht von ihr abwenden konnte. Sie bot uns jetzt eine große Tasse dampfenden Thees und Waldhonig, ihn zu süßen, dann setzte sie sich in eine Ecke und schaute träumerisch zum Feuer hinüber.

„Vor einigen Monaten,“ fuhr Wilson fort, „waren die Creeks im Streite mit einem feindlichen Stamme, der zahlreicher ist, als der ihre. Mein junger Freund befand sich unter den fünfzig Männern, welche dem Häuptlinge zunächst waren. Als dieser im Angesicht der feindlichen Zelte das Kriegsgeschrei anhob, sprengte Creek auf seinem Pferde voraus, mitten unter die Zelte, empfing den überraschten Feind mit Kugeln, die alle trafen, drang bis zum Ende des Lagers durch und griff dann ganz allein mit seinen Geschossen den Feind im Rücken an, während die Uebrigen ihn von vorn bedrängten. Aehnliche Heldenthaten thut er bei jedem Kampfe; ich habe Euch schon gesagt, daß er der Schrecken der feindlichen Stämme ist.“

„Warum hat er keinen besondern Namen wie Andere? Warum heißt er nur: Creek?“ fragte ich.

„Man hat seine Eltern nicht gekannt. Die Creeks fanden auf einer Wanderung den zweijährigen Knaben hülflos am Wege liegen; er gehört nicht zu ihrem Stamme. Wahrscheinlich ging er bei einem plötzlichen Aufbruche der Seinen verloren. Die Creeks nahmen ihn auf und gaben ihm ihren Namen.“

„Wird er in der nächsten Zeit nicht zu Euch kommen?“

„Doch, ich denke morgen. Ich traf ihn heute früh im Walde; er sagte mir, er habe einen prächtigen Weih geschossen, und versprach ihn mir, als ich den Wunsch äußerte, einen solchen auszustopfen.“

Das Löffelchen, mit welchem Eleanor bisher unhörbar den Thee geschlürft hatte, klirrte jetzt plötzlich, und als ich zu ihr hinsah, stand sie auf und verließ das Zimmer.

„Eleanor ist ein stilles Mädchen,“ bemerkte ich.

„Eleanor ist wie der Wald,“ sagte Wilson, „still, aber voll geheimen Lebens.“

„Hat sie keinen Umgang?“

„Doch,“ erwiderte er lächelnd, „sie hat Umgang mit einem zahmen Reh, mit Ziegen und Tauben, mit mir und der alten Frau, welche seit Eleanor’s Geburt bei uns ist.“

„Das Mädchen weiß also nichts vom Leben?“

„Nichts, außer dem, was ich ihr davon erzählte.“

„Aber, Wilson, wir sind sterblich. Wenn Ihr nicht mehr seid, dann ist Eleanor ganz verlassen, ohne Erfahrung und ohne Schutz.“

Er schüttelte den Kopf: „Sie will nicht heirathen, aber ich nehme Eleanor’s Wort nicht so ernst. Sie wird schon anders wollen, wenn sie einmal liebt. Es ist unmöglich, daß mein und meiner Eleanor Kind nicht lieben sollte.“

Er zeigte auf die Flamme im Kamin und sagte wehmüthig: „So waren Eleanor und ich.“

(Schluß folgt.)



Blätter und Blüthen.

Falstaff in der Sage, Geschichte und Dichtung. (Vergl. den Artikel „Unser Falstaff-Maler“ S. 659 nebst Bildern.) Der dicke Schlemmer und Bramarbas, dem man, trotz all seiner Schelmenstücke, nie gram sein kann, ist ein strammes Kind des Shakespeare ’schen Humors, eine Bühnenfigur von solcher Unverwüstlichkeit, daß selbst schwache Mimen sie nicht völlig ruiniren können, während Meister, wie Devrient und Döring, sie zu Cabinetsstücken ihrer Kunst auszuarbeiten für werth hielten. Da Shakespeare auf der deutschen Bühne längst Heimathsrecht erworben hat, wie unwiderleglich sein dreihundertjähriges Jubiläum bewies, das in Deutschland mit mindestens nicht geringerer Theilnahme, als in England, gefeiert worden ist, und da ebendeshalb sein Falstaff auch zu den deutschen Bühnen-Lieblingen gehört, so widmen wir ihm hiermit die ihm gebührende Aufmerksamkeit. Jenes Jubiläum (1864) feierte die „Gartenlaube“, indem sie zwei von Paul Thumann illustrirte Artikel aus der Feder Julius Rodenberg’s „Ein Tag in Shakespeares London“ (Nr. 16 und 17) zur Ehre des Festes darbrachte. Daß Oldcastle dort als eine Gestalt aus des Dichters Zeit die Gruppe schmückt, geschah in künstlerischer Freiheit.

Die Falstaffiade beruht, wie unser schwäbischer Dichter und Shakespeare-Kenner Hermann Kurz[1] darlegt, ihrem ersten Ursprunge nach „auf einer der wunderlichsten Verquickungen unverbürgter Sage und entstellter Geschichte“. Es wird nämlich sagenhafter Ueberlieferung nacherzählt, daß Heinrich der Fünfte als Kronprinz (Prinz Heinz) ein wüstes, ausschweifendes Leben geführt habe, wenn nun selbst Shakespeare diesen Helden der Sage poetischer fand, als den der Geschichte, die, nach unserm Kurz, „den Prinzen im Dienste seines Vaters und Königs als einen so rechtschaffenen und rauhen Soldaten zeigt, wie alle Helden seiner Zeit es waren“, so mußte doch Alles, was der Böswilligkeit der Verleumdung und der Leichtgläubigkeit des Volks möglich war, geleistet werden, um den Sir John Oldcastle, der des jungen Prinzen sehr ernster Freund war, in den Falstaff der Sage und der Dichtung zu verwandeln.

Oldcastle war das Haupt der Wicleffiten oder englischen Lollarden und suchte den Prinzen Heinrich für seine Partei auch dadurch zu gewinnen, daß er auf die Bereicherung der Krone durch Einziehung der Kirchengüter hinwies. Vom Hofe Heinrich’s des Fünften verbannt, suchte er sein Ziel mit Gewalt zu erreichen. Wie aber schon Heinrich’s Vater, um die Gunst des Clerus sich zu erhalten, die Wiceleffiten verfolgt hatte, so geschah dies nun auch von Heinrich dem Fünften, der so weit ging, den Freund seiner Jugend (1417) dem Ketzertode zu überliefern.

Und diesen so grausam Geopferten mußte das noch grausamere Loos treffen, bei der Nachwelt als „dicker Taugenichts, grauer Sünder und Verführer der Jugend zu allen nichtsnutzigen Streichen“ fort zu leben. Offenbar ist dies nur aus der Macht des Fanatismus und des die blinde Menge für ihren Haß mißbrauchenden Klerus zu erklären. Die Sage hatte die neue Gestalt fertig gemacht und die dramatische Dichtung benutzte sie schon vor Shakespeare in einem Stücke, dessen Held der „jovial-heroische“ Heinrich der Fünfte war. Dieses Stück gehört noch den rohesten Erzeugnissen jener Zeit an, welche die Kraft in der plumpsten Derbheit suchten und den Prinzen so arm an Geist hinstellten, wie seinen dicken Ritter Oldcastle.

So fand Shakespeare diese Bühnengestalt vor, und wenn er sie auch, wie seinen Prinz Heinz, mit seinem Geiste erfüllte und zu dem Originale eines immer mit Lust begrüßten alten Nichtsnutz erhob, wie nur er es vermochte, so setzte er doch anfangs auch das alte Unrecht fort, ihm den Namen des Oldcastle zu belassen, bis endlich der vollständige Sieg des Protestantismus in England das Märtyrerthum des Todten zu Ehren brachte und den Dichter zwang, den Träger dieser Rolle umzutaufen. Aber auch bei dieser Umtaufe spielte dem Dichter sein Glaube an die Wahrhaftigkeit des von ihm benutzten Chronisten einen schlimmen Streich, indem er nach dem Namen des von diesem schwer verunglimpften Siegers in der berühmten „Häringsschlacht“ (12. Februar 1429), Sir John Fastolfs, seinen alten Schelm – Falstaff nannte.

Auf diesen wunderlichen Irrwegen ist aus Sage und Geschichte der Falstaff der Dichtung entstanden. – Doch nun zu unseren Grützner’schen Falstaff-Bildern! Wie Shakespeare gleich in der ersten Scene, in welcher Falstaff und der Prinz auftreten („König Heinrich der Vierte“, erster Theil, zweiter Auftritt des ersten Aufzugs), den Falstaff hinstellt, wie er ist und ohne weitere Entwickelungsmöglichkeit bleibt, so kann der „feistwitzige Hans“ lange Schatten auf künftige Scenen vorauswerfen, ehe wir sie selbst sehen. Er verräth uns sein System bei der Recruten-Aushebung schon im vierten Aufzug des ersten Theils von „Heinrich dem Vierten“ mit den Worten (nach Heinrich Viehoff’s Uebersetzung): „Wenn ich mich nicht meiner Soldaten schäme, will ich ein ranziger Häring sein. Ich habe das Aushebungspatent des Königs schmählich mißbraucht. – Ich fahndete nur auf verlobte Junggesellen etc., auf so eine Sorte von Ofenhütern, die eben so gern den Teufel wie eine Trommel hören etc., ich hob Niemand aus, als solche geröstete Butterbemmen, mit Herzen im Leibe, nicht größer als Stecknadelköpfe. Die haben sich vom Kriegsdienst freigekauft, und nun besteht meine ganze Mannschaft aus – einem Gesindel so abgerissen, wie Lazarus in Tapetengemälden, wo ihm des reichen Prassers Hunde die Schwäre lecken etc., aus Kerlen etc., zehnmal niederträchtiger zerlumpt, als eine alte geflickte Fahne.“ – Treten wir nun nach diesem Geständniß Falstaff’s vor die Aushebungsscene („Heinrich der Vierte“, zweiter Theil, dritter Act, zweiter Auftritt) selbst, so finden wir, daß der alte Hans seinem System allezeit treu bleibt.

Da stehen sie vor dem Hause des Friedensrichters Schaal in Glostershire, der Herr Hauptmann Sir John Falstaff mit seinem lachenden Pagen, hinter ihm Bartolph, neben ihm die beiden Friedensrichter Schaal und Stille und vor ihnen der flehende Schimmelig, der sich um vierzig Schillinge loskaufen will. Zur Seite aber harren die Tapferen: Schatte, Warze, Bullenkalb und das kleine Frauenschneiderlein Schwächlich. – Man täuscht sich aber wiederum, wenn man annimmt, daß wenigstens diese Vier für des Königs Armee erhalten blieben, denn schließlich spricht

  1. Wenigstens in einer Anmerkung müssen wir hier eines andern Falstaff-Darstellers gedenken! Paul Konewka’s, dessen „Falstaff und seine Gesellen“ (Straßburg, M. Schauenburg) Hermann Kurz mit einem Text begleitet hat, dem wir manche unserer obigen Angaben verdanken. Konewka, der, erst einunddreißig Jahre alt, 1871 gestorben ist, war Meister in der Silhouette; die herrlichsten Meisterstücke seiner schwarzen Kunst schmücken dieses Werk, das an Bild und Wort des Ergötzlichen und Belehrenden viel bietet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_667.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)