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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

mit den Elementen der Technik vertraut zu machen. Spielend fügte sich sein Talent, das er bisher nur zügellos geübt, in die festen geregelten Formen, und schon nach kurzer Zeit war er so weit, um in die Akademie der Künste überzutreten. Er arbeitete zuerst im Antikensaal, dann in der Malclasse bei Prof. Anschütz und trat nach Ablauf weniger Jahre in die Schule Piloty’s, der schon für seine Uebersiedlung den Ausschlag gegeben hatte. Welch andere Welt war das nun mit einem Male, wenn er neben dieses rege volle Künstlerleben die Erinnerungen der engen Schulstube und gar der engen Bauernstube hielt; welche Lust war dieses Lernen, das seinem geistigen Bedürfniß so ganz entgegenkam, wie leicht war hier die Unterwerfung unter Regel und Gesetz!

Nur was die Wahl der Stoffe betraf, konnte er sich nie ganz mit den Anschauungen seines Lehrers verständigen; hier erwachte bald der selbstständige, tief individuelle Geist, der in ihm lebte, zum vollen Bewußtsein. Er hatte ein historisches Bild beginnen müssen, ein tragisches Motiv aus dem Leben König Heinrich’s des Zweiten – und sein ganzer Sinn war doch nach der Sonnenseite des Lebens gerichtet. Die Arbeit war nun einmal unternommen und unerbittlich bestand der Meister darauf, daß das Begonnene auch vollendet werde – aber heimlich dazwischen nahm Grützner seinen eigenen Pinsel zur Hand und malte das erste jener lachenden Pfäfflein, die seinem Namen später so viel Ruhm brachten. Beide Theile hatten Recht. Piloty war ja weit davon entfernt, die künstlerische Individualität zu unterdrücken, im Gegentheil: er beschützte sie allenthalben und keine Schule hat vielleicht so viel eigenartige, so grundverschiedene Meister herangebildet, wie die seinige, aber während der Lehrzeit mußte nach seiner Meinung auch der Wille des Lehrers der einzig maßgebende sein. Erst wenn er die Schüler mit vollem Können entlassen, dann mochte Jeder das, was er konnte, auf seine Weise anwenden. Andererseits aber kann man es wohl auch einer schöpferisch begabten, übersprudelnden Natur kaum verdenken, wenn sie bisweilen forschend erproben möchte, was ihr innerstes Ich verlangt, wie sich’s auf eigenen Füßen steht, was man kann ohne den Lehrer. Nur eine Natur, die jedes Talentes bar ist, wird den heimlichen Reiz eines solchen Versuches verkennen.

Noch ein anderes größeres Gemälde stammt indessen aus den Lehrjahren Grützner’s, und dieses war allerdings ganz aus dem Boden seiner eigensten Neigung hervorgewachsen. Es stellt die Recrutenmusterung Falstaff’s dar. Schon auf der Schulbank war dem kleinen Studiosus – Gott mag es wissen wie – ein Abdruck Shakespeare’s in die Hand gefallen, und die Gestalten, die er sich damit eingeprägt, ließen ihn nun nicht mehr rasten und ruhen. Es war der mächtigste Eindruck seiner ganzen Jugend, um so gewaltiger, je unberührter ja sein ganzes Wesen noch von geistigen Einflüssen war. Was konnte natürlicher erscheinen, als daß er diese Gedanken auch in sein Künstlerleben hinübernahm, daß er die Bilder, die ihm vor der Seele schwebten, auch zum Bilde zu gestalten strebte? So war auch in dieser Richtung schon frühe das Gebiet angedeutet, auf welchem Grützner einst so Unübertreffliches leisten sollte, denn seine Fallstaff-Gruppen sind nicht minder ein Unicum, als jene schalkhaften Motive, die er aus der Kutte hervorgezaubert. Die „Recrutenmusterung“ aber ging nach England und ward damit der erste Schritt auf dem Wege jener internationalen Popularität, deren sich der jugendliche Meister heutzutage erfreut.

Seit dem Ende der sechsziger Jahre, nachdem er die Schule Piloty’s verlassen, stand Grützner völlig auf eigenen Füßen und war nun allein Herr seiner Arbeit, seiner Inspirationen und des unbezwinglichen Humors, der in ihm sprudelte.

Zwei heitere Bilder, die in jener Zeit entstanden, weisen uns zunächst in die Theaterwelt; das eine stellt eine Garderobe dar, in der die Mimen sich zum Wettkampf schmücken; das andere ist betitelt „Mephisto hinter den Coulissen“ und läßt genugsam errathen, was dieser geniale Teufel der verschämten kleinen Tänzerin in’s Ohr raunt. Allein dies war nur ein kleiner „Abstecher“, der den Künstler bald genug wieder in jene Sphäre zurückführte, deren unübertroffener Bildner er geworden ist. Wir meinen jene weindurchdufteten Idyllen aus dem Klosterleben.

Man kann es wohl unzählige Male hören, wie trefflich Grützner das „mönchische Treiben“ zu „geißeln“ wisse, aber wahrlich, wenn wir unseren Freund richtig verstanden haben, dann war das mit nichten sein Ziel. Die Kunst kennt überhaupt keine Tendenz; es ist nicht Satire, die er uns bietet, sondern Humor, und zwischen beiden liegt eine tiefe, tiefe Kluft; zwischen beiden steht die Liebenswürdigkeit des Menschen, der die Dinge hinnimmt, wie sie sind, und der lachend lebt und leben läßt. Grützner’s Klosterbilder sind mit völliger Objectivität empfunden und erdacht; sie athmen gleichsam den lebensfrohen Geist; sie sind gewissermaßen die künstlerische Verkörperung der alten – Carmina burana.

Was bedeutet dieses fremde staubig-gelehrte Wort? Im blauen Hochland, am Fuße der zerklüfteten Benedictenwand, stand einst ein uraltes Kloster, Buren oder Benedictbeuern genannt, und unter den Schätzen der tausendfachen alten Pergamente war auch ein Buch voll farbenglühender Lieder – Carmina burana. Es war strenge verschlossen und hing an einem eisernen Kettlein, damit nicht jeder unberufene Novize darin blättern und seine Erbaulichkeit mit unzeitigem Widerhall der prächtigen Verse stören möchte, die würdigen Alten aber verthaten damit wohl manches köstliche Stündlein. Und sie thaten recht; sie hatten der Welt genug an geistiger That gegeben, um auch von der Welt ein frohes Wort dahinzunehmen; ihrem Schaffen that es wahrlich keinen Eintrag, wenn sie bisweilen in lauer Sommernacht dieser fröhlichen Strophen gedachten.

Und so wie jene Lieder gedichtet sind, in jenem lebensfrohen Geiste, sind Grützner’s Bilder gemalt. Je besser sie aber dem Maler gelangen, desto schlechter gelingt es dem Erzähler, ihren Inhalt wiederzugeben; ihr Werth liegt eben darin, daß es so ausschließlich malerische Motive sind – man muß sie sehen, nicht hören. Die Darstellung des Künstlers hat sie erschöpft.

In demselben Geiste liebenswürdiger Naturwahrheit sind auch die reizenden Idyllen gehalten, die Grützner dem altbaierischen Landleben abgelauscht hat, sein „Jägerlatein“, die „Schwere Wahl“ etc.

Es ist bezeichnend genug, daß diese Bilder, so viel auch über sie gesprochen und geschrieben ward, noch nie einen Tadler gefunden haben. An Neidern freilich hat es ihnen nicht gefehlt, und vielleicht war es zunächst der Widerhall dieser Empfindung, wenn man bisweilen klagen hörte, daß ein solches Talent nur an derlei alltäglichen Stoffen und bürgerlichen Motiven sich erprobe. Denn der Hang zur Verkleinerung wurzelt ja unendlich tiefer im deutschen Wesen, als der Hang zur Ueberschätzung; mit einem gewissen Behagen erinnerte sich so Mancher bei dieser Gelegenheit an das geistreiche französische Wort: „il est grand dans son genre, mais son genre est petit.“

Grützner hat seinen Freunden die Freude gemacht, auch diesen Einwand glänzend zu widerlegen, als er vor etwa drei Jahren den großartigen Cyclus seiner sieben Falstaffbilder begann. Hier stand er nicht mehr auf dem ländlich naiven, sondern geradezu auf classischem Boden; der Maßstab, der an diese Arbeiten gelegt werden mußte, war ja von vornherein durch den Namen Shakespeare gegeben. Es durften nicht bloße Illustrationen sein, sondern eine geistig selbstständige That ist es gewesen, welche jene Gestalten künstlerisch neu erschuf, die der Dichter vor Jahrhunderten geschaffen hatte. Daß diese Aufgabe glänzend gelöst war, bewies schon der erste unmittelbare Eindruck, den die Originale bei ihrer Ausstellung im Münchener „Odeon“ hervorriefen; auch der Laie, der sich keine Rechenschaft darüber giebt, worin die Macht eines künstlerischen Eindruckes wurzelt, empfand es klar, welcher Schöpferkraft er hier gegenüberstand. Dieser geistigen Bedeutung entsprach übrigens auch der äußere Erfolg; unter den großen Kunstinstituten, die sich um das Recht der Vervielfältigung bewarben, war selbst die weltberühmte Firma Goupil in Paris, doch gelang es der „Photographischen Gesellschaft“ in Berlin, ihr den Sieg zu entreißen. Die Originale befinden sich im Breslauer Museum; zwei Holzschnitte aus dem berühmten Cyclus, die aus Knesing’s geschätzter Werkstatt hervorgegangen, haben die Leser hier vor Augen, uns aber erschien es thöricht,[1] Bilder weitläufig zu beschreiben, die so klar für sich selber sprechen.

Im Verlaufe weniger Jahre ist Eduard Grützner aus einem jungen Akademiker ein gefeierter Meister geworden; auf allen großen Ausstellungen der letzten Zeit wurden seine Werke bewundert

  1. Oho! Nicht jeder der Hunderttausende unserer Leser hat den Shakespeare im Besitz oder so im Kopf, wie der Herr Verfasser. Deshalb erlauben wir uns, auf den betreffenden Artikel über diese Falstaffbilder unter „Blätter und Blüthen“, S. 667 hinzuweisen.
    D. Red
    .
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_662.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)