Seite:Die Gartenlaube (1878) 638.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Krümmungen die Flüsse Tiber, Anio und Cremera ihren Weg nehmen. Die geringe Senkung der ganzen Landschaft gegen das Meer veranlaßt nicht nur das Stocken von Wassermassen, selbst in den vom Strande entlegenen Strichen, sondern auch die Versumpfung des Ufers. Das Terrain trägt besonders in den östlichen Regionen noch deutlich wahrnehmbare Spuren großer vulcanischer Revolutionen der vorhistorischen Zeit, was nicht nur durch die dort häufig anzutreffenden Steinarten: Peperin, Lava und Tuff, sondern auch durch die Bodenfiguration an den Tag tritt, in welcher sogar verschiedene Krater deutlich wiedererkannt werden können.

Wenn man in Rom auf der Kuppel der Peterskirche steht, oder die Höhen entweder des Albanergebirges oder der Sabinerberge bei Tivoli ersteigt, so überblickt das Auge die Ebene in ihrer ganzen Ausdehnung, eine kolossale Steppe, je nach den verschiedenen Jahreszeiten bald mit üppigem Grün bedeckt, bald nackt, gelb und versengt, wie ein von barbarischen Feinden durchzogenes Land. Die Campagna ist verödet, ein kolossaler Friedhof, in dessen Mitte sich wie ein Riesenmonument Rom erhebt. So wenig das Land bewohnt erscheint, so reich ist es doch mit den Trümmern mächtiger Bauwerke ausgestattet, ein Widerspruch, welcher wesentlich zu dem seltsamen poetischen Reize der ganzen Scenerie beiträgt.

Wir verlassen Rom im Süd-Osten, auf der altberühmten Via Appia. Wenn wir an den Ruinen des Forum Romanum und am Colosseum sowie an der Niederung zwischen Coelius und Palatin, endlich an dem weitgestreckten Circus Maximus, welcher jetzt von der städtischen Gasfabrik und von dem Begräbnißplatz der Juden eingenommen wird, vorüber gekommen sind und nun nach dem Stadtthor wandern, so berühren wir auf diesem annähernd halbstündigen Wege noch innerhalb der Mauern schon keine menschlichen Wohnungen mehr. Nur hier und da steht eine altersgraue Kirche am Wege. Seit Jahrhunderten ist der Mauerumfang viel weiter, als zum Schutze des bewohnten Areals nöthig ist, so daß die Campagna selbst einen großen Theil des antiken Stadtgebietes mitumfaßt.

Das Stadtthor, durch welches wir in’s Freie treten, hat seinen stolzen Namen des Appischen, welchen es dem Censor Appius Claudius Caecus (312 vor Christus), dem Gründer der „Königin der Straßen“ verdankt, verloren an den heiligen Sebastian. Denn durch diesen Ausgang strömten im Mittelalter die Pilger nach dem außerhalb gelegenen Grabe des Märtyrers. Wenn wir vor dieses ganz mittelalterliche aus Marmorquadern errichtete Stadtthor treten, erfreut sich das Auge eines ersten freien Blickes über die weite Fläche, welche die edel geformten Linien des fernen Albanergebirges abschließen. Aber ehe wir völlig das Freie erreichen, zieht sich der Weg noch lang hin zwischen lästigen hohen Mauern, welche zur Einhegung von meist öden Grundstücken dienen.

Nur hier und da ragt vereinzelt eine thurmhohe Ruine über den Hohlweg; weiterhin begegnet man einer elenden Osterie, die den Fuhrleuten, welche hier mit ihren Schuttkarren vorüberfahren, ein kaum erträgliches Obdach bietet. Diese repräsentiren jetzt fast ausschließlich den Verkehr auf der Straße, welche ehedem die bedeutsamste Verkehrsader Roms war, denn durch sie wurde Griechenland und der Orient in die directeste Verbindung mit der Welthauptstadt gesetzt. Und jetzt? Wir befinden uns noch in der nächsten Nähe der Hauptstadt, aber was es mit dem Verkehre dort auf sich habe, wird jedem einleuchten, der die Aufschrift des daselbst befestigten Postbriefkastens eines Blickes würdigt: wöchentlich einmal werden hier Briefe abgeholt. Nebenan steht ein unansehnliches Kirchlein, „Domine, quo vadis“ genannt und dem Gedächtnisse einer Legende im frühen Mittelalter errichtet. Die Legende ist diese: Da in Rom unter Nero die erste Christenverfolgung wüthete, suchte der heilige Petrus sein Heil in der Flucht. An der bezeichneten Stelle angelangt, erscheint ihm Christus. Erschrocken fragt ihn der Apostel: „Herr, wohin gehst Du (Domine, quo vadis)?“ und erhält zur Antwort: „Ich komme, mich nochmals kreuzigen zu lassen“ – worauf der Apostel umkehrte.

Neben der kleinen Capelle theilt sich der Weg. Nach rechts zweigt sich die Via Ardeatina ab. Auf eine kurze Strecke wird sie noch als Zugang zu einer Anzahl hier gelegener Grundstücke benutzt, aber alsbald verliert sie sich in ödem Haidelande. Das am Meere gelegene Porto d’Anzio (Antium), ehedem das Biarritz von Rom, die Geburtsstätte der Kaiser Claudius und Nero und die Fundstätte weltberühmter Statuen, wie des Apollo von Belvedere und des borghesischen Fechters, ist heutigen Tages ein elendes und verkommenes Fischernest.

Auf der Via Appia, welche jetzt in der Länge vieler Miglien eine ganz gerade Linie verfolgt, erreicht man erst das Freie, nachdem man noch eine lange Strecke zwischen einförmigen Mauern weiter gewandert ist. Dann senkt sich plötzlich der Weg, und jenseits des schmalen Thales, den Abhang krönend, thront in majestätischer Einsamkeit der thurmartige Quaderbau des Grabmales der Cäcilia Metella. Man kann es das Wahrzeichen der Via Appia nennen. Ohne alle Frage gehört es zu den anziehendsten Punkten der weiten römischen Campagna; es stammt indessen weder aus der Zeit republikanischer Größe, noch feiert es eine geschichtlich bedeutende Persönlichkeit; denn diese Metella war die Gemahlin des bekannten, nicht eben durch Römertugend glänzenden Triumvirn Crassus. Die Dauerhaftigkeit des Monumentes war im Mittelalter auf eine harte Probe gestellt worden; denn das Geschlecht der Gaetan hielt das classische Bauwerk für eben gut genug, um als Festungsthurm für ihre berufsmäßigen Straßenräubereien erwünschte Dienste zu thun. Die Burg selbst, welche so angelegt war, daß die Via Appia ihren Hof passirte, liegt längst wieder in Trümmern, und nur ihre Umfassungsmauern sind noch deutlich zu erkennen; dabei befinden sich die ansehnlichen Reste einer dazu gehörigen mittelalterlichen Kirche, in der die Priester den Baronen für ihr sauberes Geschäft wohl ihren salbungsvollen Segen gaben. Die Ironie des Schicksals, welche gerade in Rom sich sehr vernehmbar macht, hat im Laufe der Jahrhunderte diese Raubschloßkirche zu einer Stätte des Friedens, zu einem wirklichen Schafstall umgewandelt, bei welchem romulische Hirten ihr Wesen treiben.

Es giebt an der Via Appia kaum einen zweiten gleich angenehmen Ruheplatz als hier am Fuße des Grabmales der Cäcilia Metella, wo sich vor dem Auge landschaftliche Scenerien in ungewöhnlicher Mannigfaltigkeit ausbreiten: in der Ferne die finsteren Mauern der Stadt, zu den Füßen ein einförmiges, aber im Schmucke des Frühlings um so anziehenderes Thal. Langgestreckte Mauerreste kennzeichnen deutlich die Anlage eines antiken Circus. Tausende harrten hier ehedem in fieberhafter Aufregung der Entscheidung bei den öffentlichen Wettfahrten, aber heutigen Tages ist es höchstens eine Heerde Büffel, von einem Campagnolen gehütet, welche hier in träger Rast den Tag verbringt. Die Niederung führte im Alterthume den halb griechischen, halb lateinischen Namen „ad catacumbas“. Daraus hat man später das Wort „Katakombe“ gebildet, womit allgemein die Begräbnißplätze der ersten Christen bezeichnet werden.

Man berechnet die Ausdehnung dieser oft in drei bis vier Reihen übereinander liegenden Höhlengänge auf nicht weniger als hundert geographische Meilen. Als Grabstätte benutzte man die verticalen Wände der Gänge, in die man viereckige Nischen von der Tiefe der Körperlänge eingrub, die, sobald sie die Leichname aufgenommen, mit Marmor- oder Ziegelplatten, welche die Namen des Todten trugen, geschlossen und dann hermetisch verkittet wurden. Eine Verpestung der Luft war auf diese Weise unmöglich gemacht; neuerdings hat man sogar eine Wiederaufnahme dieses Bestattungsverfahrens empfohlen und darin einen glücklichen Mittelweg in der Streitfrage zwischen Beerdigung und Verbrennung der Leichen zu finden geglaubt. In der Geschichte der katholischen Kirche des Mittelalters spielt das Beinhaus der Katakomben eine bedeutende Rolle, und man kann sie geradezu das Arsenal ihrer Bekehrungsfeldzüge nennen; denn Knochen der Märtyrer wanderten von hier in alle Welt. Bar des Gefühles der rein menschlichen Pietät gegen die Todten, plünderte man schonungslos diese Stätten, um im Eifer frommen Betruges Propagandageschäfte zu machen. Wandert man jetzt in diesen wüsten Gängen, so stößt wohl der Fuß an die Grabplatte einer obscuren Magd oder eines Sclaven mit völlig unbekannten Namen, deren Gebeine sicher in irgend welcher Kathedrale Frankreichs oder Spaniens als angebliche Reliquie einer heiligen Katharina oder eines heiligen Blasius göttlich verehrt werden. Jenseits des Thales „ad catacumbas“ erblicken wir das berühmte Kirchlein des heiligen Sebastian von dem aus man in eine der berühmtesten Katakomben gelangt. Hier ist unter mehreren Tausenden von Gräbern auch nicht ein einziges, nicht einmal ein

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_638.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)