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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


eines menschlichen Fußes sichtbar, und die Sage erzählt, der heilige Petrus sei auf seinen Wanderungen auch hierher gekommen, sei still gestanden und habe aus Freude über die Schönheit der Aussicht mit dem Fuße gestampft, so, daß der Eindruck für alle Zeiten geblieben. Wenn es wahr ist, so hat Sanct Peter jedenfalls guten Geschmack bewiesen, denn über die ganze Gegend ist wirklich ein übervolles Maß von Schönheit ausgeschüttet.

Ohne recht zu wissen was sie that, ließ sich Gertl auf den Stein nieder, aber sie sah nicht in die lockende Landschaft hinaus; sie hatte zu viel mit den Gedanken zu thun, die immer lebendiger und deutlicher in ihrem Innern aufstiegen, als wäre ein Schleier davon hinweggezogen worden. Sie verfiel wieder in dasselbe Sinnen, in dem sie schon vor dem elterlichen Hause gesessen. Der Gedanke, wie ihr eigenes Schicksal sich gestalten werde, drängte sich ihr, wie noch nie, klar und unabweislich auf, und Anderl’s Erzählung vom Petersberg fiel ihr ein. Sie war ja nun auf dem Wege nach dem geheimnißvollen Kirchlein. Wie, wenn sie diesen Zufall benutzte und das Orakel, von dem er gesprochen, befragte? Aber schon im Entstehen unterdrückte sie diesen Gedanken wieder als ein schweres Unrecht – „wenn der Herrgott wollt’, daß wir unsere Zukunft wissen“ dachte sie, „würde er es schon darnach eingerichtet haben in der Welt.“

„Nein ich thu’s nicht,“ sagte sie nach einer Weile sich erhebend. „Er wird’s schon machen, wie’s recht ist,“ und beruhigt schritt sie, nachdem sie sich Stirn, Mund und Brust bekreuzt, wie um eine Versuchung abzuwehren, rüstig den Berg hinan. Bald war das Kirchlein mit seinem uralten Säulenportal und dem steinernen Sanct Petrus darüber, mit der Kanzel im Freien und dem schönen grünen Platz um dasselbe erreicht und die Bäume, die denselben wie ein Kranz umgaben, schienen der späten Besucherin ihre Grüße entgegen zu rauschen.

Ihr Geschäft war bald verrichtet. Der Propst, der zugleich Pfarrer, Meßner und Lehrer für die wenigen Kinder der Berghöhe ist, der aber auch gern dem durstigen Wanderer von seinen für sich eingelegten Vorräthen spendet, begleitete sie bis unter die Thür und sah, um von der untergehenden Sonne nicht geblendet zu werden, mit der Hand über den Augen dem dahinschreitenden Mädchen nach.

Gertl kam an der Kirche vorüber. In derselben war es schon tief dämmerig; das Licht der ewigen Ampel war bereits sichtbar, sie aber wandte die Augen ab, denn es kam ihr vor, als ob der heilige Petrus über der Thür sich bewege und ihr zunicke. Rascher wollte sie auf dem Bergweg herunter, aber sie sollte doch nicht vorbeikommen; denn die Stimme des Propstes flog ihr nach und hielt sie fest.

„Wie, Gertl, wirst doch als eine gute Christin nicht an der Kirch’ vorbei gehen?“ rief er. „Sollst wohl dem heiligen Petrus eine Gute Nacht sagen – er ist ein gar guter Schutzpatron.“

Gertl erschrak, daß ihr beinah die Kniee brachen. Nun waren alle guten Vorsätze vergeblich. Sie fand keinen Grund, die fromme Aufforderung des Geistlichen abzulehnen, und sie wandte sich daher gegen die Kirche, während der Propst befriedigt in seine Behausung zurückkehrte.

Ehrfurchtgebietender Schauer wallte ihr aus der röthlichen Dämmerung des Kirchleins entgegen.

Dasselbe war vollständig leer; dunkler Schatten lag schon in den Winkeln und Ecken, um so dunklerer, als das von Jahrhunderten geschwärzte Deckengetäfel das ohnehin sparsame Licht noch minderte. An der Schwelle des Hochaltars kniete sie nieder und betheuerte sich selbst, daß durchaus kein frevelhafter Gedanke sie hierher geführt habe.

Das ewige Lämpchen knisterte; sie erschrak und horchte auf. Sie glaubte darin ein Geräusch zu vernehmen, als ob Jemand zugegen wäre. Bald jedoch beruhigte sie sich, aber nur, um wieder in neue Besorgniß zu verfallen. Wider Willen konnte sie sich eigenthümlicher Gedanken, die in ihr aufstiegen, nicht erwehren. Der alte Anderl hatte so zuversichtlich gesprochen – wenn nun doch etwas an der Sache wäre? Wenn das Orakel, nachdem sie einmal in die Kirche eingetreten, dennoch auch für sie Geltung hätte? Wenn nun, weil Niemand anwesend war, der Spruch für sie dahin lautete, daß sie gar keinen Mann bekommen und ledig bleiben solle? Es ward ihr ganz eigenthümlich um’s Herz. Der Gedanke des Alleinseins und Alleinbleibens, den sie noch nie so recht gefaßt hatte, dehnte sich wie eine unabsehbare Ebene trostlos und ziellos vor ihr aus. Sollte also ihre Mutter die Freude, sie als Braut zu sehen, nicht erleben? Und wenn ihr vollends auch diese Mutter entrissen würde, war es ihr wirklich bestimmt, liebelos und allein bis zum Grabe zu wandeln?

Thränen stiegen ihr in die Augen, aber ihr Gemüth war im Grunde zu gut, als daß sich ein Gefühl von Bitterkeit dareingemischt hätte. Nur eine tiefe, aber wohl erlaubte Wehmuth, bemächtigte sich ihrer, und mit dem Gedanken gläubiger Ergebung schlug sie abermals das Kreuz, um ihre Andacht zu beschließen.

Sie erhob sich, um im nächsten Augenblicke beinahe umzusinken – mit Mühe tappte sie nach der nächsten Betbank, um sich aufrecht zu erhalten. Im Schatten des Seitenaltars regte es sich, als ob dort eine menschliche Gestalt verborgen gewesen wäre und sich aufrichte.

Sie war also nicht allein gewesen – das Orakel konnte doch wahr gesprochen haben. Mit fast verschwimmenden Augen sah sie schärfer nach der Stelle und glaubte zu träumen. Allmählich wurden die Umrisse immer deutlicher; es war kein Zweifel mehr: der Tiroler Stummerl stand vor ihr und hielt ihr mit seinem wohlbekannten Lallen den Hut entgegen.

Mit einem Schrei entfloh sie aus der Capelle, rannte oder stürzte den Bergweg hinunter, als wäre es ein ebener glatter Wiesenpfad, und fiel fast zusammenbrechend und athemlos der erschrockenen Mutter um den Hals, die, wegen ihres längeren Ausbleibens besorgt, ihr schon vor dem Hause entgegenkam. Sie hatte Mühe, sie nur soweit zu beruhigen, daß sie im Stande war, ihr das Vorgefallene zu erzählen.

„Du bist wohl nicht recht gescheidt,“ sagte dann die Mutter lachend. „Wer wird sich denn so etwas einbilden? Du kannst Dir doch denken, daß Dir der heilige Petrus nicht den alten Tiroler Stummerl zum Mann bestimmt.“

„Nein, nein, Mutter!“ rief sie unter fortwährenden Thränen. „Das hat gewiß was zu bedeuten. Die Mutter hat Recht gehabt; ich hätt’ nit so in den Tag hinein leben sollen. Jetzt hat mich unser Herrgott gestraft für meinen Uebermuth und für meinen Fürwitz.“ – –

(Fortsetzung folgt.)



Eine Perle des Harzwaldes.

     Von drüben herüber, von droben herab,
     Dort jenseits des Baches vom Hügel
     Blickt stattlich ein Schloß auf das Dörfchen im Thal.
     Die Mauern wie Silber, die Dächer wie Stahl,
     Die Fenster wie brennende Spiegel!
               Bürger.

Auch über der Gebirgswelt des Harzes, wie über so mancher Gegend unsers deutschen Vaterlandes, liegt der Zauber einer Vorzeit, die den farbenfrischen Bildern der Natur überall unauslöschliche Fußstapfen aufgedrückt hat. Aus dem eintönigen Sausen uralter Tannen und Eichen, in deren Dunkel die Paläste der Kaiser begraben liegen, spricht hier der Geist der Geschichte von großen Tagen der Vergangenheit; und wer Ohr und Herz dafür hat, der wird, wenn er auf den Waldwegen dahinwandelt, mit dem Dichter vernehmen, wie „dem Wurzelknorren entrieselt uralt heiliger Sagenquell“. Am Harz war es, vor allem, wo die deutschen Kronenträger, die Heinriche und Ottonen, in blutigen Schlachten und hartnäckigen Belagerungen um die Befestigung ihrer Macht rangen, wo sie, von den Mühsalen des Thrones ausruhend, die Sorgen der Regierung von sich warfen und in den freien Bergen mit der klaffenden Meute und hellem Hörnerklang Lust suchten im frischen fröhlichen Waidwerke.

In jene Zeit reicht auch die Wurzel der Geschichte einer Stadt zurück, welche man wohl als die „Perle des Harzwaldes“ bezeichnen mag; wir meinen Blankenburg mit seiner herrlichen Umgebung. Es läßt sich kaum ein anmuthigeres Landschaftsbild denken, als das der Blankenburg, wie sie, halb umgürtet von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_524.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)