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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aufg’setzt.
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
(Fortsetzung)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.

In kurzer Zeit hatte Gori seine Hütte erreicht, und nur ein kleiner Tümpel trennte ihn noch von ihr, der durch Hochwasser gebildet war und über welchen ein schwankes, leicht gelegtes Brett den Zugang bildete. Forschend, fast unsicher betrat er dasselbe; denn in der kurzen Zeit hatte der Charakter der Nacht sich rasch und völlig geändert. Unerwartet hatte ein starker Wind sich aufgemacht. der unheimlich durch die Erlen des Gebüsches fuhr und dichte Wolken heraufjagte, sodaß der Mond fast ganz von ihnen verdeckt und tiefe Finsterniß auf die vorige Klarheit gefolgt war; nur manchmal, plötzlich, mit einem Windstoß, blitzte oder zuckte die Helle wieder hervor. Als Gori die Mitte erreicht hatte, trat ein solcher Augenblick ein; der Mond brach rasch und so bestimmt hervor, daß sein volles Bild auf der Oberfläche des Tümpels stand, wie ein blasses Antlitz, das aus der Tiefe aufgetaucht war. Gori zuckte zusammen, wie vor einer Erscheinung; er schwankte und beflügelte seine Schritte, um ungefährdet Ufer und Hütte zu erreichen.

„Die dummen Gedanken!“ murmelte er unwillig. „Wenn es nur ‚was gäb‘, um die dummen Gedanken los zu werden! Dann wollt’ ich es mit dem Teufel aufnehmen.“

Aus der Hütte drang ihm schwacher Lichtschein entgegen; er schien bereits erwartet zu werden. Als er an die Thür trat, ging diese auf und die Mutter, das hochgehaltene Oellämpchen in der Hand, stand auf der Schwelle. Es war ein trauriges Menschenbild, das ihm mit dem grinsenden Behagen des Blödsinns entgegenlachte, nicht sowohl nach der körperlichen Erscheinung: denn wenn der Anzug auch im höchsten Grade armselig erschien, war doch etwas an ihm, was an frühere Ordnung und Reinlichkeit erinnerte – desto trübseliger aber war der Ausdruck der Verstörung und Verlorenheit in den zuckenden Zügen und den unheimlich starrenden Augen.

„Grüß’ Gott, Gori,“ sagte sie, die Thür hinter dem Eingetretenen zuziehend und mit der Holzklappe verschließend. „Weil Du nur da bist – ich hab’ schon lang auf Dich gewartet; der Vater ist auch schon zwei Mal dagewesen und hat nach Dir gefragt.“

Es war ein in ihr feststehender Wahn, daß ihr Mann nicht todt, sondern auf einem Schiffszuge abwesend sei, von welchem er von Zeit zu Zeit nach Hause komme und nachfrage.

Gori erwiderte nichts und warf einige blanke Kronenthaler auf den Tisch, den kleinen Lohn des Spiels, der aus der Einnahme zu einiger Entschädigung für Zeitversäumniß und Mühe gegeben wurde. „Da, nehm’ die Mutter!“ sagte er. „Für ein paar Wochen wird’s reichen bis ich wiederkomm’ – wenn ich wiederkomme,“ setzte er hinzu, indem er auf die schlechte Holzbank an der Wand niedersaß. Zugleich schob er den Laib Brod, den die Mutter mit einem Stück geselchten Fleisches und dem gefüllten Schnapsglase vor ihn hingestellt hatte, zurück und griff nach einem auf dem Sims liegenden Tuch, um sich das noch immer aus der Stirnwunde quellende Blut abzuwischen.

„Willst denn schon wieder fort?“ sagte sie Alte traurig, indem sie sich neben ihm auf einen kleinen Schemel niederhockte. „Bist ja kaum zur Thür herein und denkst schon wieder ans Fortgehen. – Kannst ja gar nicht, bist ja voll Blut.“

„Ich muß,“ erwiderte er finster; „ich hab’ ein wichtiges Geschäft und hab’ eher keine Ruh, bis das gethan ist. Das bissel Bluten stillt sich von selbst.“

„Was kann das für ein Geschäft sein? Und gar in der Nacht?“ fragte die Mutter, deren geistiger Zustand dem Spiele der Wellen glich; wie von diesen die eine auftaucht, um im nächsten Augenblicke vor einer anderen zu versinken, so wallten in ihrer Seele Gedanken und Gebilde hin und wieder, daß sie bald wie vernünftig, bald geistesabwesend erschien.

„Das kümmert die Mutter nichts. Ich will jetzt ausrasten,“ sagte Gori und wollte sich erheben, seine Lagerstätte zu suchen.

„Wohl, wohl kümmert mich das!“ rief sie, ihn festhaltend, indem ein Strahl des Lichts aus ihrem Auge zuckte. „Ich seh’ Dir’s an: es ist nichts Gutes, was Du im Sinne hast. Du mußt mir’s sagen; ich laß Dich nicht eher fort! – Hörst Du,“ fuhr sie sich rasch wieder verlierend auf, als der Wind am Fensterladen rüttelte, „hörst Du, der Vater ist schon wieder da.“

Gori lachte auf, konnte sich aber doch eines Schauders nicht erwehren. „Ha, was werd’ ich thun?“ sagte er, sich von ihr losmachend. Was kann ich thun? Alles, was ich anfang’, schlägt mir fehl; das hab’ ich vorige Nacht wieder gesehen. Schon hatt’ ich die Waare beinah’ am Gestade; Alles war auf’s Beste hergerichtet und der Platz vorgesehen, die Waare zu verstecken, wo am andern Tag der Kaufmann, der sie bestellt hat, sie hätt’ holen können, daß kein Hahn darnach gekräht hätte; nur noch eine Viertelstund’, und ich wär’ um hundert Gulden reicher gewesen; da, im allerletzten Augenblick, muß mich Alles im Stich lassen. Ich muß es darauf ankommen lassen, zu ersaufen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_505.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)