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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


„Und ich sage Dir dennoch: es ist Verleumdung,“ rief Gabriele mit flammenden Augen. „Arno kann keine Ehrlosigkeit begehen und hat sie nicht begangen. Er erklärt es für eine Lüge; folglich ist es eine Lüge, und wenn die ganze Welt ihn anklagt, ich glaube ihm allein.“

„Arno? – Du glaubst ihm allein?“ wiederholte Georg langsam. „Was – was soll das heißen?“

„Alles verläßt ihn jetzt,“ fuhr Gabriele in ausbrechender Leidenschaft fort, „Alles stürmt auf ihn ein. So lange er hoch und mächtig dastand, wagte es Niemand, ihn anzurühren, aber seit Du das Signal zum Angriff gegeben hast, wird er von allen Seiten verfolgt und zum Untergange gehetzt. Und wenn er trotz alledem Stand hält, so greift man zu dem letzten Mittel und verwundet ihn tödtlich an seiner Ehre. O, ich weiß nur zu gut, weshalb er mich fortsandte. Er ahnte, was bevorstand; er wollte allein sein in seinem Sturze.“

Georg war todtenbleich gewordenen; seine Augen hafteten starr und angstvoll auf dem Gesicht des glühend erregten Mädchens. Diese Heftigkeit verrieth zu viel, und das Herz des jungen Mannes zog sich krampfhaft zusammen. Er ahnte den Tod seines Glückes.

„Was ist zwischen Dir und dem Freiherrn vorgegangen?“ fragte er. „So vertheidigt man nicht einen Vormund, einen Verwandten; so hättest Du von mir sprechen müssen, wenn mich eine Gefahr bedrohte. Was ist geschehen während unserer Trennung? Gabriele – nein, es ist unmöglich – Du kannst diesen Raven nicht lieben.“

Sie gab keine Antwort, aber sie sank auf den Sessel und brach, das Gesicht in den Händen verbergend, in lautes Weinen aus. Einige Minuten lang herrschte ein banges Schweigen, das nur von dem Schluchzen Gabrielens unterbrochen wurde. Georg stand regungslos da; er bedurfte keiner anderen Antwort, aber die Entdeckung kam zu jäh, zu unerwartet.

„Du liebst ihn also,“ sagte er endlich tonlos. „Und er – jetzt begreife ich seinen Haß gegen mich, seine wilde Gereiztheit, als er meine Liebe entdeckte. Darum also riß er uns so unerbittlich von einander; darum nahm er mir jede Hoffnung auf Deinen Besitz. Daß er mir auch Deine Liebe nehmen würde, das – habe ich nicht geglaubt.“

Gabriele trocknete ihre Thränen und richtete sich empor. „Verzeih’ mir, Georg! Ich fühle die ganze Schwere meines Unrechtes gegen Dich, aber ich kann nicht anders. Ich habe die Liebe nicht gekannt, als ich Dir mein Wort gab; ich lernte sie erst kennen, als Arno mir entgegentrat, und jetzt wäre es Verrath gegen Dich, wollte ich Dir noch länger die Wahrheit verschweigen. Ich habe gekämpft, so lange der Kampf überhaupt möglich war; noch gestern schwankte und zweifelte ich, da kam jene Nachricht, und da war es vorbei mit jedem Zweifel. Ich weiß jetzt, wo allein mein Platz ist, und werde ihn behaupten, aber zuvor mußtest Du Alles wissen. Gieb mir mein Wort zurück! Ich bitte Dich – ich kann es Dir nicht halten.“

Der junge Mann stand im heftigsten Kampfe da.

„Hast Du mich gerufen, um mir das zu sagen?“ fragte er.

„Ja,“ war die kaum hörbare Antwort.

„Du bist frei in dem Augenblicke, wo Du frei sein willst,“ sagte Georg mit tiefster Bitterkeit. „Ich gelobte Dir, daß nichts auf der Welt mich bewegen werde, auf Deine Hand zu verzichten, ich müßte denn aus Deinem eigenen Munde hören, daß Du mich aufgiebst. Ich habe es gehört – lebe wohl!“

Er wandte sich ab und schritt nach der Thür. Gabriele eilte ihm nach und legte die Hand auf seinen Arm.

„Geh’ nicht so von mir, Georg! Sage, daß Du mir verzeihst! Reiße Dich nicht in Haß und Bitterkeit von mir los! Ich ertrage es nicht, wenn Du mir zürnst.“

Das war wieder der alte süße Ton, der so oft seine bestrickende Macht geübt hatte, er hemmte auch jetzt den Schritt des jungen Mannes, und als das holde thränenfeuchte Antlitz sich so angstvoll stehend zu ihm emporhob, da wollte auch sein tief verletzter Stolz nicht mehr Stand halten. Er umfing die noch immer so leidenschaftlich Geliebte.

„Muß ich Dich denn verlieren?“ fragte er in bebendem Tone. „Besinne Dich, Gabriele! Opfere nicht so schnell unser Glück und unsere Liebe! Die Leidenschaft Raven’s hat Dich berückt, geblendet; er versteht es, mit dämonischer Gewalt die Herzen an sich zu ketten, aber er wird nie und nimmermehr ein Weib beglücken können. Du mit Deiner klaren, sonnigen Natur wirst vergehen an der Seite dieses Mannes. Du kennst ihn noch nicht; er verdient Deine Liebe nicht.“

Gabriele machte sich sanft aus seinen Armen los. „Suche ich denn Glück an Arno’s Seite? Ich will ja nur bei ihm sein, wenn Alles ihn verläßt. Ich will sein Schicksal theilen, will mit ihm untergehen, wenn es sein muß. Das ist das einzige Glück, das ich erwarte, und dies eine wenigstens will ich mir nicht nehmen lassen.“

Es lag eine hingebende Zärtlichkeit in diesen Worten, und Georg’s Blick ruhte mit düsterem Schmerze auf dem jugendlichen Wesen, das so schnell die volle aufopfernde Hingebung des Weibes gelernt hatte. So, gerade so hatte er sich seine Gabriele geträumt, als er das frohe, übermüthige Kind zum Ideale seines Lebens erhob, freilich nur geträumt; er hoffte ja nie, daß sie sich zu jener Höhe emporschwingen werde. Jetzt stand dieses Ideal verkörpert vor ihm, und in demselben Augenblicke erfuhr er, daß es ihm auf immer verloren sei.

„So laß uns scheiden!“ sagte er, seine ganze Fassung zusammenraffend. „Du hast Recht, mit dieser Alles überfluthenden Leidenschaft für einen Anderen im Herzen kannst Du nicht die Meine werden. Auch ohne Deine Bitte hätte ich Dich freigegeben nach diesem Geständniß. Weine nicht, Gabriele! Ich habe ja keinen Haß, keinen Vorwurf gegen Dich, nur gegen ihn, der Dich mir raubte. Du warst das Glück, der Inhalt meines Lebens. Wie ich es tragen werde, wenn Du darin fehlst, weiß ich nicht. Leb’ wohl!“

Er zog sie noch einmal an sich, drückte noch einmal seine Lippen auf die ihrigen und eilte dann fort aus dem Hause, das er mit so frohen Hoffnungen betreten hatte und nun mit einem vernichteten Lebensglücke verließ. Gabriele blieb allein zurück, sie weinte nicht mehr, aber es war ein unnennbares Weh, das jetzt ihr Inneres durchzuckte. Sie fühlte, daß mit der Liebe Georg’s das Beste und Edelste aus ihrem Leben geschieden war.

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüthen.

Die Feste in Weimar. Unter freiem Himmel, mitten im strahlenden Grün des Weimarischen Parkes und der riesigen Bäume seiner berühmten „Stern-Allee“, ist in der Morgenfrische des 9. Juli der Erinnerung an die vor hundert Jahren erfolgte Gründung jener lieblichen und denkwürdigen Parkschöpfung eine ernste und weihevolle Feier gewidmet worden. Unser geschätzter Mitarbeiter, Robert Keil, welchem unsere Leser die bereits in Nr. 27 der „Gartenlaube“ veröffentlichten Mittheilungen zur Geschichte des Parkes verdanken, hielt bei der erwähnten Feier eine schwung- und gehaltvolle, mit ergreifenden Rückblicken in eine große Vergangenheit durchwebte Ansprache an das überaus zahlreich herbeigeströmte Publicum. Gesang und Instrumentalmusik hatten diese fesselnde Rede eingeleitet, und wahrhaft erhebend war der Moment, als nach Beendigung derselben die hohe Gestalt Franz Liszt’s auf die Tribüne trat. Der Meister ergriff den Tactirstock, und nun wogten die mächtigen Klänge seines Goethe-Marsches über die Köpfe der versammelten Tausende hinweg in die goldige Luft des thaufrischen Sommermorgens. Kein Anwesender, der die Bedeutung der classischen Stätte zu empfinden vermag, wird den eigenthümlich poetischen Eindruck des einfach und sinnig gestalteten Actes wieder vergessen, und doch bildete derselbe nur einen zufälligen Nebenpunkt in der Reihe der großartigen Festlichkeiten, von denen das weimarische Ländchen in jenen Tagen der zweiten Juliwoche bewegt wurde.

In Augenblicken, wie es der jetzige ist, wo verhängnißschwere Weltfragen und politische Erschütterungen im Inneren des eigenen Vaterlandes weithin die Gemüther bestürmen und in Spannung versetzen, pflegen die bloßen Familienereignisse einzelner Bezirke und kleiner Territorien außerhalb ihrer Grenzen nicht sonderlich beachtet zu werden. Für Deutschland hat seit lange in dieser Hinsicht nur immer Weimar eine Ausnahme gemacht. Was in der kleinen und stillen Residenzstadt Karl August’s, auf der einstmaligen Wohnstätte Goethe’s und Schiller’s, Herder’s und Wieland’s Bemerkenswertes sich ereignet, das hat noch jederzeit draußen in der großen Welt, unter den Gebildeten unserer Nation eine aufmerksame Gemeinde und eine so warme Theilnahme gefunden, wie sie jetzt wiederum bei dem fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum des Großherzogs Karl Alexander aller Orte im weiten Vaterlande sich geäußert hat. Die stille Hochachtung und Anerkennung, derer dieser Regent in allen deutschen Ländern sich erfreut, ist auch ohne Zweifel eine wohlverdiente. Weiß man doch überall zur Genüge, daß er das Erbe seines großen Ahnen bisher im Geiste desselben verwaltet hat und mit seinem Verständniß

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