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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Skizzen aus Niederdeutschland.
2. Das venetianische Hamburg.

Wenn man vom Handel in seiner Gesammtheit ein einziges gewaltiges und zugleich plastisches Bild haben will, so muß man es in Hamburg suchen, sobald mit dem Grauen des Morgens jenes Getriebe erwacht, das uns lebhaft an Goethe’s Worte im Faust erinnert: „Wo Himmelskräfte auf- und niedersteigen und sich die goldnen Eimer reichen“ –. Gold führen sie allerdings mit sich, jene Kräfte, welche in den verschiedensten Formen als Dampf-, Hebel-, Menschen- und Thierkraft thätig sind; auf- und niedersteigen sie als Theile des gewaltigen Räderwerkes, welches wir Verkehr nennen, und durch ihre langen Reihen läuft Gut um Gut in geordneter Folge.

Hamburger Fleet.
Nach der Natur aufgenommen von Ferdinand Lindner.

Diesem riesigen Verkehre nun, vor Allen der im Hafen gelöschten und für die Speicher der Stadt bestimmten Gütermasse gegenüber, würden die an sich nicht sehr breiten Straßen und die Tragfähigkeit von Rollwagen nicht entfernt ausreichen; hier tritt daher jenes bis in’s Herz der Stadt vordringende System von Wasserstraßen als willkommene Ergänzung ein, das einen der hervorragenden Charakterzüge im Bilde dieser Stadt ausmacht: die Fleete. Diese Fleete sind es, welche in ihrer Eigenschaft als gewaltige Lastträger die Güter gleich in größeren Massen den Speichern zuführen, wo sie entweder zur Lagerung kommen oder alsbald in die Adern des städtischen Kleinhandels übergeführt werden. Auf demselben Wege gelangt natürlich auch der Theil der Waaren, welche das Hinterland für den Export zur See nach Hamburg sendet, und die nicht ohne Weiteres aus dem Güterwagen der Eisenbahn an die Quais überladen werden, nach dem Hafen.

Es liegt auf der Hand, daß mit dieser Erleichterung der Communication eine wesentliche Ersparung, sowohl an Spesen beim unmittelbaren Verkehr wie auch, namentlich früher, an Capitalien für solche Anlagen verknüpft ist, zu denen andere Hafenstädte in Ermangelung ähnlicher günstiger Terrainverhältnisse gezwungen waren. Eben darum haben die Fleete, welche zum guten Theil natürliche Wasserläufe der Elbe und Alster sind, bei dem Aufblühen Hamburgs zur Handelsstadt in frühesten Zeiten jedenfalls eine wichtige Rolle gespielt.

Das zum Transporte auf dem Fleet verwandte Fahrzeug ist die „Schute“, bei deren Bau der Gesichtspunkt möglichst hoher Tragfähigkeit allein maßgebend war, ein mit starken Rippen versehener, fest gefügter, flacher und offener Kahn; empfindliche Ladungen werden bei Regenwetter mit dem „Persenning“, einer getheerten Leinewand, bedeckt. Die Fortbewegung findet mittelst des „Peekhaken“, einer sechszehn bis zwanzig Fuß langen Stange, statt, wie solche auch anderwärts dem ähnlichen Zwecke dient. Mit diesem Instrumente ist ein einziger Mann im Stande – vorausgesetzt, daß ihm die Fluth nicht zuwider ist, – eine Last von mehreren hundert Centnern fortzubewegen. Oft liegen ganze Flotten solcher Schuten in den breiteren Fleeten, und auch auf unserer Illustration bilden sie die hauptsächliche Staffage. Da wir nun diese Staffage so wie so, gegen Recht und Gebrauch, im Voraus in den Rahmen unserer Schilderung gezogen haben, so wollen wir gleich hier noch eine andere Gattung Fahrzeuge, welche die Fleete bevölkern, nämlich die „Ewer“, besprechen. Diese sind den Schuten gegenüber in der bedeutenden Minderzahl, was schon ihrer Bestimmung nach nicht anders möglich ist, indem ihre Ladung nur aus den ländlichen Producten der Elbufer, also wesentlich aus Grünwaaren, Obst, Kartoffeln einerseits und Fischen andererseits besteht.

Zu den schwerfälligen und unmalerischen Schuten bilden diese Ewer den flotten malerischen Gegensatz, denn sie sind Segler (natürlich nur außerhalb der Fleete als solche fortbewegt) und für alles Wetter und hohen Wellenschlag gebaut. In den Fleeten an der alten Börse bilden sie eine kleine originelle Flottille; sonst finden wir sie meist vereinzelt oder zu zwei, drei und vier an Stellen, wo kleine Gassen oder schmale Gänge zwischen den Brandmauern zweier Häuser aus der angrenzenden Straße zum Fleet hinabführen. Käufer, welche den Vortheil des Ankaufs aus erster Hand benutzen wollen, steigen hier zum Ewer hinunter. Ebenda pflegen auch vielfach Schuten anzulegen, welche Kohlen geladen haben und damit Kleinhandel treiben. Von Zeit zu Zeit ziehen noch kleine Jollen, das Hintertheil tief in das Wasser gedrückt, durch die Fleete, in denen Männer mit goldberänderten Mützen stehen und scharfen Auslug halten. Es ist die Hafenrunde, die Wasserpolizei, welche namentlich auf das im Hafen und Fleet verbotene Hausiren mit Spirituosen vigilirt und schon manchem der auf dem Wasser arbeitenden Spitzbuben das Handwerk gelegt hat.

Hiermit wäre die Besprechung der Staffage erschöpft, und wir wenden uns nun zur Schilderung der Fleete selbst. Was den allgemeinen Eindruck betrifft, so sind sie nicht allein sehr interessant, ja oft grotesk, sondern sie bieten auch theilweise Motive dar, die den höchsten malerischen Ansprüchen Genüge leisten, wofür unsere Illustration den Beweis liefert.

Der Bestimmung der Fleete entsprechend, sind natürlich unter den begrenzenden Gebäuden die Speicher vorherrschend; in und zwischen denselben, namentlich in den unteren Etagen, drängen sich eng aneinander Werkstätte und Wohnung des Handwerkers, und an der Mischung dieser Elemente liegt ein wesentlicher Theil des Charakters der Fleete ausgesprochen. Bei aufmerksamer Beobachtung wird man erkennen, daß, mit Ausnahme einiger Fleete in der Nähe des Binnenhafens, die Gebäude der Fleete immer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_468.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)