Seite:Die Gartenlaube (1878) 457.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aufg’setzt.
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
(Fortsetzung)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.

„Oho,“ rief der Grenzjäger, „die Komödie fangt vor einer Stunde noch nicht an.“

„Komödi?“ rief der Jäger geringschätzig. „In die bringen zehn Pferd’ mich nicht hinein. Draußen, in den Auen, auf den Bergen, im Walde – da ist meine Komödi, und gewiß eine schönere, als die in Eurem niedren muffigen Stadel, wo man kaum recht ausschnaufen kann. – Die Geschicht’ aber, die war so. Wie ich schon gesagt hab’ – um Michaeli war’s, da bin ich in aller Früh’ von der Matron her gegen den Steinkopf hinüber gepürscht, um einem Capitalhirschen, den ich schon ein paarmal gespürt hab’, den Wind abzugeh’n, hab’ mir aber wenig Hoffnung gemacht, denn wie ich so halbe Berghöh’ hinauf gekommen bin, ist ein Nebel angefallen, wie’s um die Zeit oft geht – so dick, daß man einen Stecken daran hätt’ anlehnen können, ohne daß er umgefallen wär’. Ist mir also nichts Anderes übrig ’blieben, als wieder heim zu gehen, und wie ich in meinem Zorn so dahin geh’, giebt auf einmal der Hund Laut; ein Fuchs springt über’n Weg; ich geb’ ihm eine Kugel nach, weil ich kein Schrot geladen hab’, und seh’ gerad noch, wie’s ihn im Feuer über und über schnellt. Zu gleicher Zeit aber seh’ ich auch, daß der Hund gescheidter gewesen ist, als ich – keine dreißig Gäng vor mir unter einer Eiche steht ein Kerl, in einem grauen Gewand, so fest an den Baum hingedrückt, daß man hätt’ glauben können, er wär’ aus derselben Rinden gemacht. Ich hab’ ihn wohl gekannt; es war ein bekannter Raubschütz, dem ich schon oft zu Gefallen gegangen war, Einer von Denen, die sich aus dem Tirol herüber schleichen und drüben das Wildpret wohlfeil machen. Ich hab’ mir oft gewünscht, daß ich ihn einmal treffen sollt’ – jetzt hab’ ich ihn getroffen gehabt, aber freilich nit so, wie ich mir’s gewünscht hab’ – mit einem einzigen geladenen Lauf in der Büchs’ und er mir gegenüber das Gewehr im Anschlage. ‚Geh’ Deiner Weg, Forstner!‘ schrie er mir zu, ‚schau nit um und zieh’ Dich links, dann ist es gerad’ so gut, als wenn ich Dich gar nit geseh’n hätt’.‘ … ‚Da hast meine Antwort,‘ rief ich ihm entgegen, ‚ich möcht’ gar zu gern wissen wie Du in der Näh’ ausschaust.‘ Damit hab’ ich losgedruckt, er aber ist wie der Blitz hinter die Eich’ gesprungen, und meine Kugel ist daran vorbei gesaust, daß sie die Rinden mitgenommen hat. Gerad’ so geschwind aber hab’ ich gespürt, daß er im Springen auch noch geschossen haben muß, denn mein linker Arm ist mir hinuntergehängt wie todt, und der Stutzen ist vor mir auf den Boden gefallen. Er hat mich in der Hand gehabt. ‚Jetzt hab’ ich Dich, Forstner,‘ rief er mir wieder zu, indem er ganz frei hinter dem Baum hervorkam und ganz nahe heran trat, sodaß ich erkennen konnte, daß er sich das Gesicht schwarz gemacht hatt’ – ‚Du hast nicht mehr geladen; jetzt könnt’ ich Dir den Garaus machen, weil Du zuerst auf mich geschossen hast. Aber Du bist ein alter Kerl, hast Weib und Kind daheim – ich will Dir Dein Bissel Leben schenken, damit Du sagen kannst, Du hast mich ganz in der Näh’ gesehen.‘“

„Frechheit ohne Gleichen und doch nicht ohne einen Zug besseren Gefühls!“ sagte der Fremde, der an der Erzählung so lebhaften Antheil genommen hatte, daß ihm die Zornröthe unter die kurzen dünnen Haare gestiegen war. „Und was thaten Sie?“

„Was hab’ ich thun können!“ sagte der Jäger lachend, indem er aufstand, Gewehr und Tasche umhing und den Dachshund lockte. „Ich hab’ Schießpulver gekaut, damit der Schuß im Arme, der höllisch wehthat, nicht sollte brandig werden, und habe mich, so gut es ging, nach Haus getrollat – aber vergessen ist es dem Kerl nicht. Ich bilde mir ein und es ist, als wenn es mir im Geist vorgeh’n thät, daß wir noch einmal zusammenkommen im Leben – dann bin ich gewiß, daß ich noch eine Kugel im Lauf hab’.“

Er ging mit kurzem Gruße. Auch die Grenzer beurlaubten sich, und der Fremde wandte sich dem Nußbaume zu, wo indessen bereits ein Dienstmädchen sich eingefunden hatte, den Tisch zu decken und für das Mittagsmahl zu rüsten. Das Fräulein war noch immer eifrig mit der Zeichnung beschäftigt; als die Magd ihr Geschäft beendigt hatte, trat sie zutraulich hinter die Künstlerin und besah über deren Schulter das entstehende Bild des Thales – ein Vorwurf, welcher des darauf verwendeten Eifers und Fleißes, wohl würdig war und den sinnigen Geschmack des Fräuleins bewies. Die sich über dem Heckenzaune ausbreitende Landschaft war so schön in den Hauptlinien, so reich an wechselnden Gegensätzen und doch so übereinstimmend zu einem Ganzen abgerundet, daß man wohl weit wandern und suchen mochte, um ein ebenbürtiges Seitenstück zu finden. Eine schöne farbenhelle Ebene mit Saaten, Wiesen und braunem Ackerlande zog sich breit dahin mit kleinen Baumgruppen, Gebüschen und kleinen Waldstreifen wie mit Sträußern besteckt; getheilt und durchblitzt von dem mächtigen Strome und all den Altwässern und Nebenbächen, mit denen er sich durch die bebuschten Auen dahin wand, umfangen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_457.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)