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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

aber diese romantische Spielerei ist denn doch zu gefährlich, als daß ich sie Dir länger gestatten könnte. Ich werde den Herrn Assessor Winterfeld an die Schranken erinnern, die ihn von der Baroneß Harder und der Nichte seines Chefs trennen, und zwar in einer Weise, daß er sie nicht zum zweiten Mal vergessen soll. Du wirst ihn von jetzt an weder sehen noch sprechen; ich verbiete Dir das hiermit ein für alle Mal.“

Er strebte vergebens, den sarkastischen Ton festzuhalten, die furchtbare Gereiztheit, die sich dahinter barg, brach doch bisweilen durch. Gabriele freilich entging das; sie vernahm nur den schonungslosen Spott in seinen Worten. Sie hatte sich auf Vorwürfe, auf Zornausbrüche des Vormundes gefaßt gemacht, denn sie wußte, wie sehr eine solche Verbindung seinem Stolze widerstrebte, und statt dessen behandelte er sie und Georg wie ein paar Kinder, die wegen einer begangenen Unart mit gebührender Strenge bestraft werden. Er sprach in der verächtlichsten Weise von Spielerei, von Gefühlsphrasen und wollte mit einem einfachen Verbote das Lebensglück zweier Menschen vernichten. Das war zuviel; die junge Dame erhob sich gleichfalls – in vollster Entrüstung.

„Das kannst Du nicht, Onkel Arno,“ sagte sie heftig. „Georg hat Rechte auf mich, die er unter allen Umständen behaupten wird. Er hat mein Wort und die Zusage meiner Hand – ich bin seine Braut.“

Sie hatte das Geständniß ohne Zögern ausgesprochen und erwartete nun den kommenden Sturm, aber vergebens. Raven erwiderte kein Wort; auf seinem Gesichte lag eine fahle Blässe, und seine Hand umfaßte mit krampfhaftem Drucke die Eichenlehne des Stuhles, neben welchem er stand, während er einen seltsamen Blick auf Gabriele heftete. Sie schwieg betroffen; es war nicht eigentlich Furcht, was sie empfand, aber ein geheimes, unerklärliches Bangen, das unter jenem Blicke aufwachte, und das sie vergebens zu bekämpfen suchte. Es war wie die dunkle Ahnung eines kommenden Unheils.

Nach einer minutenlangen Pause nahm der Freiherr wieder das Wort. „Das geht allerdings weiter, als ich je geahnt habe. Und Du hast für gut befunden, mir und Deiner Mutter ein Geheimniß daraus zu machen?“

„Wir fürchteten, daß man uns trennen würde, wenn man unsere Liebe entdeckte,“ sagte Gabriele leise.

„So! Und was glaubst Du denn, was jetzt geschehen wird?“

„Ich weiß es nicht, aber ich bin entschlossen, Georg um jeden Preis anzugehören, denn ich liebe ihn.“

Das Wort schien endlich den bisher zurückgehaltenen Sturm zu entfesseln; mit einer wilden Bewegung stieß Raven den Stuhl zur Seite und trat dicht vor das junge Mädchen hin.

„Und das wagst Du mir zu sagen?“ brach er los. „Du wagst es, ohne mein Wissen und Willen Dein Jawort zu geben, wo Du weißt, daß ich mein entschiedenes Nein dagegen setzen werde, und trotzest mir ganz offen? Du bauest auf die Güte und Nachsicht, die ich Dir stets gezeigt habe? Sie ist zu Ende mit dem heutigen Tage. Fordere mich nicht heraus, Gabriele – Du könntest es bitter bereuen. Ich habe Mittel, den Trotz eines eigensinnigen Kindes zu brechen, und ich werde sie schonungslos gebrauchen, gegen Dich und ihn. Winterfeld soll mir Rede stehen über den sogenannten Liebesroman, mit dem er Dich hinter dem Rücken der Deinigen bethörte, um Dir ein Versprechen abzulocken, das null und nichtig ist, denn Du hast noch nicht über Dich zu verfügen. Er rechnet auf die Hand der vermeintlichen Erbin, um durch sie zu Reichthum und Einfluß zu gelangen – er könnte sich täuschen. Ich allein habe über Deine Zukunft zu beschließen, die ganz in meinen Händen liegt. Von mir hängt Deine künftige Lebensstellung ab, und wenn ich sie glänzend gestalte, so erwarte ich auch unbedingten Gehorsam dafür. Von einer solchen Verbindung kann nie und unter keinen Umständen die Rede sein. Ich versage meine Einwilligung, und Du hast Dich meinem Willen zu beugen.“

Gabriele war einen Schritt zurückgewichen vor diesem Zornesausbruch, aber sie hielt ihm nichtsdestoweniger Stand. Das „Kind“ war doch nicht so unselbstständig und unfähig zu jedem Kampfe, wie Raven voraussetzte; es ließ sich weder durch seine herrischen Worte, noch durch seine Drohblicke einschüchtern und antwortete mit einer ganz ungewohnten Energie:

„Du hast keine anderen Rechte über mich, als die des Vormundes, und die sind zu Ende mit meiner Mündigkeit. Meine Zukunft und Lebensstellung ist Georg’s Sache; ich nehme sie aus seinen Händen, wie sie auch ausfallen mögen. Er hat nicht daran gedacht, irgend eine Berechnung an seine Liebe zu knüpfen; Georg ist –“

Der Freiherr stampfte wüthend mit dem Fuße.

„Georg und immer nur Georg! Ich verbiete Dir, diesen Winterfeld in meiner Gegenwart so zu nennen. Du wirst niemals seine Gattin, nie, sage ich Dir – wenigstens nicht, so lange ich lebe.“

Das junge Mädchen richtete sich mit blitzenden Augen empor, mehr empört als erschreckt durch diese maßlose Heftigkeit.

„Onkel Arno, Du bist grenzenlos ungerecht, Du –“ sie verstummte urplötzlich, ihr Auge haftete an dem seinigen, und der heiße, verzehrende Strahl darin traf sie wie mit versengender Gluth. Das war nicht Haß und Zorn, was in diesem Blicke loderte; das war ein qualvolles Weh, ein wilder, bis zur Raserei gesteigerter Schmerz – Gabriele preßte beide Hände gegen die Brust, in der alles Blut auf einmal nach dem Herzen drängte; ihr war zu Muthe, als stockten ihr Athem und Besinnung, und dann schlug es wie ein Blitz in ihre Seele und blendend und betäubend zuckte die Wahrheit auf; sie wurde todtenbleich und griff nach der Lehne des Sessels, als wolle sie eine Stütze suchen.

Diese Bewegung gab dem Freiherrn einigermaßen die Fassung zurück. Er sah ihr Erbleichen und mußte es wohl der Furcht vor seiner Heftigkeit zuschreiben. Der an so strenge Selbstbeherrschung gewöhnte Mann hatte sich, vielleicht zum ersten Male in seinem Leben, über alle Schranken hinwegreißen lassen; er fühlte das und versuchte mit Aufbietung aller Willenskraft seine Aufregung niederzukämpfen. Während der nächsten Minuten herrschte ein banges, tiefes Schweigen, das auf Beide mit gleicher Schwere lastete, und doch wagte Keiner, es zu brechen. Raven war an das Fester getreten und blickte, die heiße Stirn gegen die Scheibe gedrückt, in die Nebellandschaft hinaus. Gabriele stand noch regungslos an ihrem Platze.

„Ich habe Dich erschreckt mit meiner Heftigkeit,“ sagte der Freiherr endlich, ohne sich umzuwenden. „Solche Dinge wollen ruhig besprochen sein, und dazu sind wir Beide jetzt nicht in der Stimmung. Morgen – vielleicht später – verlaß mich, Gabriele!“

Sie gehorchte und schritt wortlos mit gesenktem Haupte nach der Thür, da aber hielt sie inne. Wie gestern, mitten im Tanze, fühlte sie den Blick, der wieder auf ihr ruhte, ohne ihn zu sehen, und wie damals folgte sie der geheimnißvollen Macht, die sie zwang, diesem Blicke zu begegnen. In der That hatte sich Raven umgewendet und folgte ihr mit den Augen.

„Noch eins,“ sagte er; er beherrschte seine Stimme wieder völlig, aber sie war klanglos. „Kein Wort, keine Zeile an ihn! Ich werde mit ihm sprechen.“

Gabriele verließ das Gemach und kehrte in die Zimmer ihrer Mutter zurück. Die Baronin, welche gewohnt war, sehr lange zu schlafen, war soeben erst mit ihrer Morgentoilette fertig geworden. Beim Eintritt in das gemeinschaftliche Frühstückszimmer vermißte sie ihre Tochter, die sich gewöhnlich schon dort befand, und wollte eben deswegen eine Frage an den Diener richten, als die junge Baroneß selbst eintrat.

„Aber Kind, wo bleibst Du nur?“ rief ihr die Mutter entgegen. „Ich will doch nicht hoffen, daß Du es versucht hast, bei diesem Wetter in’s Freie zu gehen? Du würdest Dich zu Tode erkälten in dem leichten Morgenanzuge – und wie siehst Du denn aus? Ganz bleich und verstört! Ist irgend etwas vorgefallen?“

„Nein, Mama,“ sagte das junge Mädchen mit halb erstickter Stimme.

Die Baronin sah sie besorgt an. „Du bist sicher unwohl. Da warst gestern Abend noch so erhitzt vom Tanze, als wir durch den kalten Corridor gingen. Nimm ein wenig heißen Thee! Das wird Dir gut thun.“

Gabriele lehnte die dargebotene Tasse ab. „Ich danke, Mama; ich möchte lieber auf mein Zimmer gehen und noch etwas zu ruhen versuchen.“

„Aber der Onkel ist es gewohnt, Dich am Frühstückstische zu sehen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_272.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)