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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

den Arm, um sie zu ihrem Platze am oberen Ende des Saales zu führen, dabei ging sein Blick prüfend von der Mutter zur Tochter.

„Gabriele gleicht Ihnen doch gar nicht, Mathilde,“ sagte er plötzlich, und der Ton verrieth eine geheime Befriedigung.

„Finden Sie das?“ fragte die Baronin, die wahrscheinlich die entgegengesetzte Bemerkung lieber gehört hätte. „Es mag sein, daß sie mehr ihrem Vater –“

„Auch dem Baron gleicht sie nicht im Mindesten,“ fiel Raven ein. „Sie hat auch nicht einen einzigen Zug von ihren Eltern geerbt – Gott sei Dank!“ setzte er bei sich selber hinzu.

Die Baronin schwieg mit empfindlicher Miene, obwohl sie den verletzenden Schluß der Bemerkung nicht vernehmen konnte. Es ließ sich freilich nicht leugnen, daß Gabriele weder die Harder’schen Familienzüge, noch die ihrer Mutter trug, sie war beiden Eltern so unähnlich, wie nur möglich.

Den ersten Gästen, die jetzt eintraten, folgten bald mehrere. Wagen auf Wagen rollte in das Portal des Regierungsgebäudes, und die Säle begannen sich allmählich zu füllen. Die Einladungen waren diesmal in so ausgedehntem Maße ergangen, daß die weiten Festräume sich kaum ausreichend erwiesen für die glänzende Versammlung, die sich darin bewegte. Inmitten der Civiltracht, welche die meisten der Herren trugen, sah man auch zahlreiche Uniformen und die zum Theil prachtvollen Toiletten eines reichen Damenflors. Die Spitzen sämmtlicher Behörden, der Commandant und die Officiere der Garnison, wie die der nahegelegenen Festung waren vollzählig erschienen; ebenso das ganze Beamtenpersonal des Freiherrn und überhaupt Alles, was in den Gesellschaftskreisen von R. nur irgendwie aus Stellung oder Bedeutung Anspruch machen konnte. Da die Veranlassung des Festes eine officielle war, so galt die Annahme der Einladungen als selbstverständlich, und aus diesem Grunde waren auch der Bürgermeister und die übrigen Vertreter der Stadt anwesend, trotz des Conflictes, der zwischen ihnen und dem Gouverneur schwebte und an jedem Tage an Schärfe und Ausdehnung gewann.

Freiherr von Raven schien diesen Conflict für heute gänzlich zu ignoriren. Er empfing die Gäste, wie alle Uebrigen, mit vollendeter Artigkeit, aber auch mit jener kühlen Zurückhaltung, die ihm eigen war und stets eine unsichtbare Schranke um ihn zog. An seiner Seite machte die Baronin Harder die Honneurs des Hauses und nahm mit großer Befriedigung wahr, daß sie und ihre Tochter im Vordergrunde des allgemeinen Interesses standen. Beide Damen hatten bisher noch keine Gelegenheit gehabt, an dem Gesellschaftsleben von R. theilzunehmen, das erst jetzt mit dem beginnenden Herbste seinen Anfang nahm. Erst mit dem heutigen Feste traten sie in die Kreise ihrer neuen Heimath, die ihnen zum Theil noch fremd waren und in denen ihre nahe Verwandtschaft mit dem Gouverneur ihnen gleichfalls den ersten Platz anwies. Es war natürlich, daß sie den Mittelpunkt für die sämmtlichen Gäste bildeten, aber während die Baronin all die Artigkeiten und Aufmerksamkeiten in Empfang nahm, die der Dame des Hauses gebührten, feierte die Schönheit und Anmuth ihrer Tochter wahre Triumphe; die junge Baroneß war fortwährend umringt, gefeiert, bewundert, und besonders die jüngeren Herren wagten einen förmlichen Sturm, um die Zusage irgend eines Tanzes zu erhalten. Raven blickte bisweilen zu den Gruppen hinüber, die sich immer wieder von Neuem um sein reizendes Mündel bildeten, aber es lag nur ein halbes Lächeln auf seinen Lippen. Er sah, mit welchem Vergnügen, aber auch mit welcher Unbefangenheit sie die Huldigungen entgegennahm, die ihr von allen Seiten dargebracht wurden.

In der That waren Triumphe und Huldigungen das beste Mittel, die Ungeduld zu beschwichtigen, mit der Gabriele die Annäherung eines Einzigen erwartete, während immer neue Gestalten vor ihr auftauchten und eine unendliche Menge von Namen an ihrem Ohre vorüberschwirrte. Georg Winterfeld war längst im Saale, aber sie hatte kaum einige flüchtige Worte mit ihm wechseln können. Er hatte eben erst ihre Mutter und sie begrüßt, als der Oberst herantrat, um seine beiden Söhne vorzustellen, und die Aufmerksamkeit der Damen vollständig für sich und die jungen Officiere in Anspruch nahm. Einige hochgestellte Persönlichkeiten, die gleichfalls zu den näheren Bekannten des Hauses gehörten, gesellten sich dazu, und der junge Beamte, der völlig fremd und isolirt in diesem Kreise war, mußte sich zurückziehen, wollte er nicht aufdringlich erscheinen. Es war ihm noch nicht möglich gewesen, sich Gabrielen wieder zu nähern; sie befand sich fortwährend in unmittelbarer Nähe des Freiherrn und ihrer Mutter und nahm mit Beiden an dem Empfange der Gäste Theil. Aber jetzt galt kein längeres Zögern; bereits erklangen die ersten Tacte der Musik, und Georg, der sich um jeden Preis noch eine Begegnung für den heutigen Abend sichern wollte, gab die Zurückhaltung auf. Er trat heran und bat Baroneß Harder, ihm einen Tanz zu gewähren.

Gabriele hatte das vorhergesehen und dafür gesorgt, daß wenigstens einer der Tänze frei blieb. Sie sagte sofort zu; der Freiherr, der soeben mit dem Hofrath Moser sprach, hörte die Zusage, er wandte sich um und sah die Beiden befremdet an.

„Ich dächte, Du hättest keinen einzigen Tanz mehr zur Verfügung,“ sagte er. „Ist wirklich noch einer davon frei?“

„Das gnädige Fräulein war so gütig, mir den zweiten Walzer zu versprechen,“ erklärte Georg.

Der Freiherr runzelte die Stirn. „In der That, Gabriele? So viel ich weiß, hast Du diesen Tanz vorhin dem Sohne des Oberst Wilten verweigert.“

„Allerdings, aber ich hatte ihn bereits vorher dem Herrn Assessor versprochen.“

„So?“ sagte Raven langsam. „Nun, wer der Erste war, hat allerdings das Vorrecht. Baron Wilten wird es sehr bedauern, zu spät gekommen zu sein.“

Es war ein seltsam forschender Blick, mit dem der Freiherr bei diesen Worten das Antlitz Gabrielens streifte und der dann auf Georg haften blieb. In diesem Moment erschien der Cavalier, dem es gelungen war, die Zusage des ersten Tanzes von der jungen Baroneß zu erhalten, und bot ihr den Arm. Georg verneigte sich und trat zurück. Es kam jetzt eine lebhaftere Bewegung in die Gesellschaft. Der jüngere Theil derselben fluthete nach dem Ballsaal hin, aus dessen weitgeöffneten Thüren die Musik erklang, während die Aelteren sich in den übrigen Gemächern zerstreuten. Der Empfangssaal begann sich zu leeren, und die Baronin Harder war soeben im Begriff, ihren Platz dort zu verlassen, als ihr Schwager zu ihr trat.

„Sie kennen den Assessor Winterfeld näher?“ fragte er halblaut.

Die Baronin machte eine bejahende Bewegung. „Ich sagte Ihnen ja bereits, daß wir im Sommer in der Schweiz seine Bekanntschaft machten.“

„Kam er oft in Ihr Haus?“

„Ziemlich oft. Ich habe ihn stets gern empfangen und hätte das auch hier gethan, wenn Sie sich nicht so bestimmt dagegen ausgesprochen hätten.“

„Ich liebe es nicht, die jungen Beamten in meine Privatkreise zu ziehen,“ entgegnete der Freiherr schroff, „und ich begreife überhaupt nicht, Mathilde, wie Sie in Ihrer damaligen Zurückgezogenheit dem ersten besten Fremden den Zutritt in Ihr Haus und den unbeschränkten Verkehr mit Ihrer Tochter gestatten konnten.“

„Es war ein Ausnahmefall,“ vertheidigte sich die Baronin. „Der Assessor hatte uns einen großen Dienst geleistet, als wir auf dem See in Gefahr geriethen. Sie wissen es ja, daß er mich und Gabriele –“

„Durch das seichte Wasser, ohne alle Schwierigkeit, an das Land brachte,“ ergänzte Raven. „Ja, das weiß ich, und zweifle durchaus nicht, daß er diesen Dienst, den jeder Fischerbube Ihnen hätte leisten können, benutzt hat, um als Lebensretter bei Ihnen zu debütiren, wie es scheint nicht ohne Erfolg. Gabriele gewährt ihm einen Tanz, den sie dem jungen Baron Wilten verweigert hat und der vermuthlich eigens für den Herrn Assessor aufgehoben wurde. Das ist eine Vertraulichkeit, die sich jedenfalls auf die frühere Bekanntschaft stützt, die ich aber im höchsten Grade unpassend finde. Die einmal gegebene Zusage kann allerdings nicht zurückgenommen werden, ich bitte Sie aber, dafür zu sorgen, daß Gabriele nicht öfter mit dem jungen Manne tanzt. Ich wünsche es durchaus nicht!“

Er sprach in gedämpftem, aber offenbar gereiztem Tone. Die Baronin war etwas überrascht von dieser Gereiztheit, die sie sich nicht zu erklären vermochte, beeilte sich aber, zu versichern, daß sie mit ihrer Tochter sprechen werde, und nahm dann den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_241.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)