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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


breiten Lächeln. Der Hauptmann bemächtigte sich seiner und schüttelte ihn am Kragen, als wenn er den Nebenbuhler drüben dingfest machen wollte.

„Was giebt’'s? Wer sind die Herren? Hast Du’s erfahren? Warst Du auf Kundschaft?“

Skarnikatis konnte zunächst nur durch ausdrucksvolles Mienenspiel sein Befremden über die gewaltthätige Behandlung ausdrücken, die ihm zu Theil wurde. Dann holte er tief Athem und theilte dem Hauptmanne mit, daß er allerdings auf Kundschaft gewesen sei, daß aber Niemand drüben wisse, wer jene Herren seien. Nur so viel sei gewiß: es müßten dort sehr lebhafte Verhandlungen stattgefunden haben; man habe einen leidenschaftlichen Wortwechsel vernommen und einmal sogar etwas wie einen Aufschrei des Mädchens.

Der Hauptmann wurde nachdenklich. Banditen konnten es nicht sein; doch wer kennt nicht die geheimen Dolche, mit denen in unserer Gesellschaft oft gesetzlich erlaubte Raubanfälle gemacht werden? Ihn tröstete nur das Eine, indem er zornglühende Blicke hinüber warf: Hulda wußte, wenn sie bedrängt oder bedroht war, wo sie Hülfe finden konnte. Und so lehnte er sich trotzig in der Regimentsuniform zum Fenster hinaus, aber das Mädchen zeigte sich nicht; auch die Fremden verschwanden vom Balcon; es trat eine unheimliche Ruhe ein.

Seinen Nachmittagsspaziergang machte der Hauptmann mit seltener Hast; er wollte wieder zu Hause sein, um sich zur Beobachtung auf seine Warte zu begeben. Gegen Abend kam Gabriele, früher als abgemacht war, denn auch sie trieb eine innere Ungeduld; sie konnte nicht früh genug den Brief in ihre Hände bekommen. Der Hauptmann hatte ihn prächtig retouchirt, etwas dichterisch zwar, doch warm zum Herzen sprechend; hin und wieder fand sich Gabriele nicht zurecht – sie mußte den Hauptmann als Dictionnaire benutzen; denn ihr fehlten einige Vocabeln. Freude über den gelungenen Brief und Aufregung über den Erfolg trieben Gabriele an’s Fenster, um frische Luft zu schöpfen. In ihrer Leidenschaftlichkeit war sie rücksichtslos; sie that, als wenn sie hier zu Hause wäre, und stieß den einen Fensterflügel auf. Auf ihren Zügen lag der volle Widerschein des Abendrothes; sie sah schön aus in der glühenden Beleuchtung.

„Dort wohnt also Ihre Schülerin Hulda,“ sagte sie zurücksprechend; „nun, recht poetisch, fürwahr. Eine Art steinerne Harfenistin vor der Thür! Glücklicher Weise geht sie nicht mit dem Teller herum, um zu sammeln. Und die vielen Blumen!“

„Gleich und gleich – hier ist’s die Wahrheit,“ sagte der Hauptmann, etwas unwirsch.

„Mir kommen diese Blumen zu lyrisch vor.“

„Sie sind in einer bitteren Stimmung, mein Fräulein.“

„Sie trauen mir nicht Gefühl zu, ich weiß es,“ sagte Gabriele. „O, wer blond oder goldlockig wäre, wie das Musenkind drüben – da zweifelt Niemand an einer tiefempfindenden Seele. Horch – die Thür knarrt – sie ist es – sie tritt heraus – sie sieht nach den Wolken; jetzt stützt sie das Köpfchen auf die Hand; bei Gott, sie hat Thränen im Auge. Das arme Kind! Nun, gewiß ist ihr auf ihrem Flügel eine Saite gesprungen; der Clavierstimmer bringt das rasch wieder in Ordnung; solche Schmerzen heilen schnell. Fort ist sie wieder und läßt nicht einmal ambrosisches Licht zurück. Es giebt keine Engel mehr.“

„Ich würde Sie arg schelten,“ sagte der Hauptmann, „wäre mir nicht Ihr trauriges Schicksal bekannt. Sie sind boshaft – Hulda’s Seele ist wie ein weißes Blatt.“

„Merkwürdig genug bei einem Mädchen, von dem man nicht weiß, von wannen es kommt, noch wohin es geht; das reine Blatt wird wohl auf der andern Seite vollgeschrieben sein.“

Gabriele lachte triumphirend; der Hauptmann rüstete sich eben zu zorniger Gegenrede, als er durch die Veränderung entwaffnet wurde, die mit dem Fräulein vorging. Ihr Lachen wurde auf einmal krampfhaft; sie streckte die Arme wie abwehrend aus, starrte mit ihren Blicken vor sich hin, als sähe sie ein Gespenst, und sank mit einem leisen Schrei auf den Stuhl zurück. Der Hauptmann trat besorgt an sie heran.

„Es ist nicht möglich – nicht möglich,“ flüsterte sie, indem sie sich mit gewaltsamer Anstrengung wieder aufrichtete und hinaussah. Sie rieb sich die Augen, als wollte sie einen Traum verscheuchen.

„Und doch – er ist’s, er ist’s.“

An der Lautenschlägerin stand der junge Mann mit der Byron’schen Schleife.

„Er ist’s – und bei ihr!“ rief Gabriele, die Hände ringend. „Er ist in dieser Stadt; er weiß, daß ich hier weile, und er ist – bei ihr.“

„Wer denn in aller Welt?“ fragte der Hauptmann.

„O, ich bin grenzenlos betrogen,“ sagte Gabriele, bei welcher der Schreck jetzt einer sich steigernden Leidenschaft Raum gab, „er kommt hierher, ohne nach mir zu fragen; er vermeidet mich, sucht diese Clavierprinzessin auf. Lassen Sie mich – ich muß hinüber – vor ihren Augen will ich ihn anklagen und zu Boden schmettern.“

„O, ich verstehe,“ sagte der Hauptmann, auf den Brief deutend, „unsere gemeinsame Arbeit ist jetzt überflüssig geworden.“

„Ja,“ rief Gabriele, „es ist dieser John Smith, dessen heilige Betheuerungen und Eide ich noch nicht zu Asche verbrannt habe, der mich dem Schimpfe preisgab, den ich jetzt verabscheue.“

Sie warf das Fenster zu, daß die Scheiben klirrten, und griff nach ihrem Hute so hastig, daß sie die stolze Feder knickte, die sie aus der Residenz mitgebracht hatte und gegen welche selbst die Feder auf dem Hute der Landräthin nicht aufkommen konnte.

„Was wollen Sie thun, Fräulein?“ fragte der Hauptmann. „Ich will hinüber – ihn zur Rede stellen, ihn entlarven; o ich weiß nicht, was ich will,“ rief Gabriele, in krampfhaftes Weinen ausbrechend.

„Hören Sie mich, mein Fräulein! Sie werden eine unglückliche Rolle spielen, Ihr Zartgefühl preisgeben, dem Spotte und dem Gelächter verfallen; denn man muß sein gutes Recht nicht auf dem Markte verkünden, und wenn man nichts hat als sein gutes Recht, so hat man verzweifelt wenig und läuft Gefahr, von aller Welt ausgelacht zu werden. Wir müssen die Sache feiner einfädeln; nehmen Sie mich zu Ihrem Bundesgenossen an!“

„Mit Freuden!“ sagte Gabriele, „es scheint mir fast, als ob ich Ihnen trauen dürfe. Sie haben wohl auch guten Grund, gegen ihn, den ich nicht mehr nennen mag, Partei zu nehmen?“

„Nein, o nein! Ich habe nicht das geringste Recht dazu. Doch wenn dieser junge Mann – God damn him! – in der That sich in das Herz Hulda’s einzuschleichen sucht, so bin ich der Mann dazu, sie zu warnen. Und das soll morgen geschehen, morgen! Wenn Sie, mein Fräulein, mir dazu den Brief mit dem Heirathsversprechen geben.“

Gabriele stand unschüssig. Kannte sie denn so sicher den Zusammenhang, in welchem John Smith und Hulda standen? War es nicht möglich, daß er seine Verpflichtungen hier einlösen und sie heute selbst doch noch aufsuchen wollte? Es schien schicklicher zu warten und auf den Vorschlag des Hauptmanns einzugehen; sie versprach, ihm den Brief zu bringen und gab ihm Vollmacht, mit Entschiedenheit einzuschreiten. Dann trat sie noch einmal an’s Fenster; gespenstig blickte die Lautenschlägerin in die Dämmerung; das Licht einer Lampe wurde hinter dem Rouleau sichtbar – war Hulda allein, war sie noch mit ihm zusammen? Es fröstelte Gabriele bei dem Gedanken an eine trauliche Abendbeleuchtung am häuslichen Herd, während sie selbst wie eine Einsame und Verbannte durch die Dämmerung schleichen mußte. Die Welt kam ihr auf einmal so fremd und kalt vor; eine Thräne im Auge eilte sie mit einem „gute Nacht!“ hinaus. –

So früh, wie es die Schicklichkeit irgend erlaubte, erschien sie am nächsten Vormittag, den wichtigen Brief in der Hand, bei dem Hauptmann.

Wie erstaunte sie über den Empfang, der ihr zu Theil wurde! Draußen kein Skarnikatis, der ihr sonst mit Lächeln die Honneurs machte. Sie klopfte an; kaum ein leises „Herein!“ ließ sich vernehmen. Sie trat ein – da stand Skarnikatis mit gefalteten Händen, als wenn er an einer Leiche stände; der Hauptmann aber, sonst so galant in seinen Begrüßungen, erhob sich nicht vom Sopha; er starrte wie ein Wahnsinniger auf ein Kissen mit einem gestickten Vergißmeinnicht, das er krampfhaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 852. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_852.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)