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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Emails der Gefäße bemächtigt hat. Oft giebt ein eiserner Milchkochtopf, welcher innen schön weiß und blank verzinnt, das heißt mit einer bleihaltigen, weichen Legirung überzogen ist, Veranlassung zu Krämpfen und Lähmungen bei einem Kinde und zu anderen Krankheitsformen des chronischen Bleivergiftungsgebietes. Daher sollte man bei den so häufig vorkommenden Krämpfen der Kinder stets nach den Milchnäpfen fahnden, um sich zu überzeugen, ob solche nicht mit bleihaltigen Stoffen ausgepicht sind; auch thönerne Kochtöpfe, welche ebenfalls zum Kochen der Kindermilch benutzt werden, sind oft mit einer Glasur bedeckt, welche drei Achtel Bleigehalt führt. Die Milch laugt nach und nach das kieselsaure Blei aus der Glasur heraus, und das Mattwerden derselben ist das beste Zeichen, daß sie von den im Topfe gekochten Speiseflüssigkeiten chemisch angegriffen wird. Auch die hohen Milchtöpfe, in welchen die Landleute ihre Milch zum Säuern abstellen, enthalten sehr viel Blei, welches allmählich in die Milch übergeführt wird.

Die Eß- und Schöpflöffel aus Compositionsmetall, die metallenen und thönernen Kaffeekannen, die zinnernen und verzinnten Ausschankgefäße, die glasirten thönernen Kaffeetassen „für arme Leute“, die Siebe und Trichter von Blech und Zinn geben einen Anhaltspunkt für die Ausbreitung, die das Blei in Küchen- und Eßgeschirren zum Verderben des Volkes gewonnen hat. Zu diesen gefährlichen Instrumenten treten noch die mit Oelfarben angestrichenen Holz- und Blechgeschirre hinzu.

Das Blei, als Metall verschluckt, übt keine besondere giftige Wirkung aus, indem es in metallischer Form ebenso wieder aus dem Körper ausgeschieden wird. Kommt es dagegen mit Luft, Wasser, Milch, Suppe und namentlich mit bestimmten sauren Flüssigkeiten in Berührung, so verwandelt es sich in ein giftiges Salz, das kohlensaure Bleioxyd. Man glaubte früher, das einzige giftige Bleisalz sei das kohlensaure Blei, aber jetzt weiß man, daß es jede Bleiverbindung ist, welche die Wirkungen erzeugt, und daß alle Bleisalze Gifte sind, sobald sie durch die Haut, durch Mund und Magen, oder durch Nase und Lunge dem Organismus zugeführt werden. Die gefährlichste Verbindung ist das essigsaure Bleioxyd, welches sich besonders in der Küche durch Kochen säuerlicher Gemüse in bleihaltigen Töpfen, durch Sauerkrautbrühe, saure Bohnen und ähnliche Speisen bildet, ebenso wenn Salat in bleihaltigen Geschirren bereitet wird.

Am meisten aber kommen dem Arzte in seiner Praxis Bleikrankheiten vor, welche durch den schädlichen Einfluß des Bleiweiß auf den Organismus verursacht werden und die sogenannte Malerkolik hervorrufen, eine krankhafte Affection des Unterleibes, welche man besonders bei Malern und Anstreichern, die viel mit Bleiweiß arbeiten, beobachtet. Die Bleisalze finden ihren Weg bei diesen Arbeitern entweder durch die Haut oder die Lungen in den Organismus, hauptsächlich aber auch dadurch, daß diese Leute vor den Mahlzeiten sich nicht gehörig waschen und dadurch beim Essen Blei in den Magen bringen. Das Gift ist in der Luft äußerst fein vertheilt und wird im Laufe der Jahre in so kleinen Mengen eingeathmet, daß, ähnlich wie bei den Pflanzendüften, der geschickteste Chemiker kaum im Stande ist, das Blei in der Luft nachzuweisen. Man hat beobachtet, daß in Fabriken, wo das Bleiweißpulver trocken verarbeitet wird, nicht allein die Arbeiter litten, sondern auch Pferde, Hunde, Ratten in der Nähe der Fabrikräume in Folge der Wirkung des Bleies krank wurden und starben. Arbeiter, welche sich damit befassen, Brüsseler Spitzen durch Einstampfung von Bleiweiß in die Fasern anzuweißen, athmen ebenfalls unbewußt das giftige Salz ein, und es kommt sehr häufig vor, daß man in den Eingeweiden von Frauen, welche sich mit Spitzenweißen beschäftigen, nach deren Tode Bleisalz nachweisen konnte. Schauspieler, welche bleiweißhaltige Schminke anwenden, Fabrikanten von glänzenden Karten, welche viel Bleiweiß brauchen, Leute, die in frisch gemalten Zimmern schlafen, die mit Bleiweiß bestrichen sind, werden von Bleikrankheiten befallen.

Es ist klar, daß die heftigen Symptome bei der Bleiweißvergiftung erst allmählich eintreten, die anfänglichen milderen Symptome übersehen oder auf eine andere Ursache bezogen werden können; so kommen den Aerzten, welchen großentheils technische Kenntnisse abgehen, sehr viele Krankheits- und Siechthumsfälle zur Behandlung, in welchen sie die ursprüngliche Krankheitsursache, das unbewußt fortgesetzte Bleilecken nicht ahnen, durch welches, wie schon oben angedeutet, die Schleichwirkungen des Bleies als Krankheitserzeuger hervorgerufen wurden. Es war daher gewiß an der Zeit, wenn Dr. Oidtmann, dessen Untersuchungen wir hier folgen, eingehende Belehrung hierüber in das Publicum zu bringen suchte.

Eine der nichtsnutzigsten Arten von Bleiunfug im Küchenhaushalte ist der Gebrauch sogenannter „zinnerner“ Eßlöffel, die nicht von Zinn, sondern von Blei sind. Das Krankheitselend und Siechthum, welches durch den Gebrauch dieser Eßlöffel in den niederen Volksclassen und am Dienstbotentische der Herrschaft erzeugt wird, ist ein unberechenbar großes. Die gesundheitsschädlichen Löffel kennzeichnen sich schon oberflächlich dadurch, daß sie, aneinandergeschlagen, keinen richtigen Klang wie die harten echten zinnernen Löffel, geben. Weiter sind diese Löffel rauh und glanzlos und stets mit einem Häutchen von kohlensaurem Bleioxyd bedeckt; sie biegen sich wie Wachs, und man kann mit ihnen schreiben und zeichnen, wie mit dicken Bleistiften. Wird dieser wichtige Haushaltungsartikel, wie das oft vorkommt, in sauren und heißen Speisen liegen gelassen und täglich abgeleckt, so entstehen selbstverständlich die Symptome der Bleikrankheit, und der aufmerksamste Arzt kommt nicht auf die Grundursache des Leidens seines Patienten, weil ihm die Oxydirungs- und Löslichkeitsverhältnisse der Metalloberfläche, als er das Studium der Vergiftungslehre auf der Universität betrieb, nicht mitgetheilt worden sind.

Eßlöffel von weichem Blei, welche man besonders bei den ärmeren Volksclassen findet, sind nicht die einzigen schädlichen. Küchenlöffel, auch verzinnte eiserne Löffel und Compositionsmetalle aller Art taugen nichts mehr, seitdem solche billiger fabricirt werden, um die guten Löffel aus rein klingendem Bankazinn zu verdrängen. Jene Löffel mit dem silberscheinigen Ueberzug sind überaus schädlich, da neben Blei auch Zink und Wismuth in der Legirung enthalten sind. Um Ungläubigen, deren es noch sehr viele giebt, und welchen die rationellen Nachweise von Krankheitsursachen als Hirngespinnste erscheinen, einen Beweis zu geben, daß die obenerwähnten Thatsachen auf experimentalen Nachweisen beruhen, möge man folgenden Versuch anstellen: man esse einen Teller saurer Milch mit einem bleiernen Löffel, und man wird nachher einen metallischen Nachgeschmack am harten Gaumen spüren, ähnlich wie wenn man aus einer bleiverzinnten Kanne Wasser getrunken hat; es ist dasselbe Widerspiel des metallischen Geschmackes, das uns auch zum Bewußtsein kommt, wenn wir ein mit einem Messer durchschnittenes Stück eines sauren Apfels verzehren. Es bedeckt sich die blanke Eisenklinge sofort mit einer schwarzen Brühe von aufgelöstem Eisen und das Apfelstück schmeckt bekanntlich nach Eisentinte, weshalb man jetzt, um diesen Uebelstand zu vermeiden, besondere Hornklingen statt Stahlklingen für das Dessertobst eingeführt hat. Jede Köchin weiß, daß, wenn Aepfelschnitte in einen eisernen Topf mit Wasser geworfen werden, das klare Wasser alsbald schwarz wird, wie verdünnte Tinte, und daß die Aepfelschnitzel buchstäblich in Eisenwasser schwimmen. Sollte in saurer Milch die Zinn-, Blei- und Zinklegirung der Löffel sich gegen die Milchsäure viel anders verhalten, als das Eisen gegen die Apfelsäure? Der Unterschied ist nur der, daß jene Metalle keine schwarzgefärbte, also keine erkennbare, sondern eine farblose und um so giftigere Metallbrühe liefern.

Außer den Löffeln und den bleihaltigen Metallgeschirren mit metallischem Aussehen enthalten noch viele andere Gegenstände der Küche Bleisalz, welches durch allmählichen Gebrauch ausgelaugt werden kann. Die Preßglas-Geschirre, besonders die dickwandigen englischen Preßgläser, die zu Trink- und Speisegeräthen verwendet werden und allenthalben als gesuchte Waare im Handel sind, enthalten nicht weniger als achtunddreißig Procent Bleiglätte. Wenn auch das Auslaugen des Bleies aus diesen Bleigeschirren weniger leicht von Statten geht, so sollten dieselben doch niemals zum längeren Aufheben von Essiggurken, Zwiebeln, eingemachten Früchten und Compoten, namentlich aber nicht als Salatschüsseln gebraucht werden.

Weiter enthalten die meisten irdenen Geschirre, Töpfe und Thonwaaren Bleisalz. Um die irdenen Geschirre schön dauerhaft und durch Flüssigkeit möglichst unangreifbar zu machen, werden sie im Innern glasirt. Von der zweckmäßigen Zubereitung dieser Ueberzüge hängt die Schädlichkeit oder Unschädlichkeit derselben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_742.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)