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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


aus Tannenbäumen und Eichenlaubguirlanden; der Magistrat und eine Deputation der Studenten empfingen ihn mit Anreden, und über hundert weißgekleidete Jungfrauen überreichten ihm als dem Verfassungssieger einen Lorbeerkranz mit Gedicht. Der Zug bewegte sich unter fortwährendem lauten Hochrufen in die Stadt; die Bürger mit den Stadtfahnen, die Bürgergarde und die weißgekleideten Jungfrauen gingen voran und viele Wagen folgten ihm bis zu seiner Wohnung. Abends war die Stadt erleuchtet und ein Festball zu Ehren der Neuvermählten gehalten. Die Fenster waren, als sich der Zug langsam durch die engen Straßen von Marburg bewegte, bis zum Erdrücken angefüllt – überall liebevolle Blicke, überall Grüße mit Blumen.

Daß diese Huldigung des Volkes, die zugleich eine Verdammung der Gegner der Verfassung und Jordan’s war, das Maß darbot für die Größe der längst beschlossene „Strafe“ des Gefeierten, hat der damals so Glückliche dies geahnt, als er der vor Freude weinenden Gattin tiefergriffen die Hand drückte?

Die Universität hatte ihn zwei Tage vorher wieder zu ihrem Deputirten gewählt, was einen wahrhaft enthusiastischen Jubel in der Stadt hervorrief. Jordan selbst schrieb darüber am 26. September an seinen Schwiegervater und Freund, den Geschichtsforscher Dr. Paul Wigand, die ahnungsvollen Worte:

„Mit vollem Herzen werde ich alle meine Kräfte dem Volke weihen, das mich so lieb hat, ob aber meine Wirksamkeit von Erfolg sein wird, das steht allein bei Gott. – – Meine Erklärung wurde dem akademischen Senat zur Aeußerung mitgetheilt, die leider noch nicht erfolgt ist. Unter solchen Umständen bin ich zu keiner ernsten wissenschaftlichen Arbeit aufgelegt; eine politische zu liefern, verbietet mir die Klugheit, indem man jeden Schein gern dazu benutzen würde, um wenigstes eine Untersuchung gegen mich zu veranlassen und so meinen Eintritt in die Kammer zu verhindern. Darum beschäftige ich mich in größter Zurückgezogenheit blos mit Lectüre, die Entwickelungen der Weltbegebenheiten betrachtend und erwartend.“

Indessen verlebte Jordan ein paar stille und freundliche Wochen im Kreise seiner Familie. Er hatte ja wieder ein glückliches, friedevolles Heim gefunden, und die Liebe, mit welcher die Kinder die junge, neue Mutter in ihren Herzen aufnahmen, machte ihn so froh, wie er schon lange nicht mehr gewesen war. Während der schönen Herbstferien unternahm er mit seiner jungen Frau weite Spaziergänge in der wundervollen Umgebung Marburgs, durchstreifte die dichten Wälder und war unermüdlich, die Seinigen aufmerksam zu machen auf Alles, was einen Einklang bieten konnte mit der Natur und der Menschenseele. Hatte er doch in einer einsamen und freudeleeren Kindheit zwischen den zerklüfteten Tirolerbergen[1] ihre Sprache verstehen gelernt, und mit wunderbar feinem Empfinden konnte sich seine Seele in ihre Schönheiten versenken und Kraft und Friede schöpfen für seine eigene Brust. In seinem innigen Verkehr mit der Natur, in seiner fast an Schwärmerei grenzenden Liebe für Alles, was sie bot, hatte er wohl die Keime genährt zu jener wunderbaren, fast unbegreiflichen Selbstlosigkeit und Ausdauer, mit welcher wir ihn seine späteren Leiden ertragen sahen.

Im Januar 1833 wurde der Landtag einberufen. Jordan fühlte an der Luft, welche im Ministerium in Kassel wehte, daß sich da keine Pflanze entwickeln konnte, welche Freiheit, Recht und Menschenliebe predigte. Ihn selbst erwartete nichts Gutes. Er hatte als Abgeordneter der Universität jetzt eben so wenig wie das erste Mal um die Genehmigung seiner Wahl gebeten, da nach § 71 der Verf.-Urk. die für Staatsdiener vorgeschriebene Genehmigung sich nicht auf Universitäts-Abgeordnete bezog. Trotzdem erhielt er einige Tage nach seiner Ankunft vom Ministerium den Befehl, bei zwanzig Thaler Strafe Kassel zu verlassen, sich auf seinen Posten zurückzubegeben und den Ständesaal nicht früher zu betreten, als bis er die Genehmigung zur Annahme der Wahl erhalten habe. Jordan – schon um den Rechten der Universität nichts zu vergeben – kam nicht um Genehmigung ein, sondern rief die Hülfe des Ausschusses an und verklagte das Ministerium wegen verfassungswidriger Handlungsweise bei dem Kasseler Obergericht. Dasselbe erkannte dahin, daß das Ministerium bei fünfzig Thaler Strafe jenen Beschluß, wonach Jordan Kassel verlassen sollte, sofort zurückzunehmen und nachzuweisen habe, wie dies geschehen sei; auch wurde dargethan, daß Jordan keiner Genehmigung bedürfe. In Folge dieses Beschlusses wurde der Landtag wieder aufgelöst. Hassenpflug wand fortan das Seil, welches unsern Jordan erwürgen sollte, mit geübter und geschickter Hand; wir könnten Bogen füllen, wollten wir alle Intriguen, welche hier mitspielten, flüchtig erwähnen. Man quälte und chicanirte ihn, wo man konnte – man verweigerte ihm die Gehaltszulage, deren Anweisung zur Unterschrift bei der Regierung lag, sowie die Auszahlung der Diäten, und als die Bürger von Kassel ihm das Ehrenbürgerrecht schenken wollten, verweigerte die Regierung ihre Genehmigung. In einer Unterredung, welche er vor seiner Abreise mit Hassenpflug pflog, erklärte ihm dieser, daß seine Wirksamkeit am Landtage verderblich sei, daß er ihn für ein Hinderniß des guten Einvernehmens zwischen Staatsregierung und Landständen halte und daß man es für eine patriotische Handlung von seiner Seite ansehen würde, wenn er auf ferneren Eintritt verzichte.[2]

Man kann sich denken, mit welchen Empfindungen Jordan damals Kassel verließ! Mit geschwächter Gesundheit und geknickten Hoffnungen kehrte er nach Marburg in den Schooß seiner Familie zurück. Wie sehr er auch hier ein ungetrübtes Glück fand, so litt er doch bei allen den kleinlichen Intriguen, welche nicht aufhörten, ihn zu verfolgen, namenlos. Dazu kam seine bedrängte pecuniäre Lage – denn die Hoffnung auf Gehaltserhöhung mußte er unter obwaltenden Verhältnissen ganz aufgeben; er mußte vielmehr neben seinen akademischen Vorlesungen überangestrengt arbeiten. Indessen hatte Jordan einen von Natur elastischen, heiteren Sinn. Die frische Alpenluft hatte ihn stark an Körper und Geist gemacht und in allen den furchtbar schweren Lebensstunden, welche sein Dasein in der Folge zu einer Marter gestalteten, hat er seine Familie getröstet und aufgerichtet und immer mit wahrhaftem Heldenmuth das Joch allein zu tragen versucht, welches wohl oder übel seine Familie mit treffen mußte und, wie wir bald genug fühlen sollten, so furchtbar mittraf.

Im November 1834 schrieb er an seinen Schwiegervater: „Wahrlich es thut noth, sich ein eigenes Leben zu bilden, um das wirkliche zu vergessen, und auf den Fels seiner eigenen Persönlichkeit eine Burg zu gründen, um sich vor den Fluthen der Zeit zu sichern. Diese Fluthen sind zwar seicht, allein auch seichte Fluthungen lockern den Boden auf – untergraben die Feste. – – Das Verhängte muß geschehen. Ich gehöre der Universität als Corporation ohnehin kaum mehr an – meine Stimme gleicht der des Johannes in der Wüste. Als Lehrer wirke ich fort. Hassenpflug war als Minister hier. Das Laufen, das Kriechen wie in einem Ameisenhaufen – oder als wenn der Herr ein gutes Stück Fleisch hungerigen Hundert vorhält! Daß ich zu Hause blieb, versteht sich von selbst – mich selbst werde ich nie verlieren.

Zu meiner momentanen Verstimmung trägt hauptsächlich der immer kläglicher werdende Zustand unserer Universität bei, deren Frequenz der theuren (freilich nur theuren) Berufungen ungeachtet von Semester zu Semester abnimmt, deren Geist des Zwistes und des frömmelnden Unsinns hingegen immer mehr um sich greift. Immer enger werden die Bande zusammengezogen, und die guten deutschen Fürsten sehen nicht ein, daß jeder Schritt, den der Bund in seinem System vorwärts thut, ihre souveräne Macht, die ohnehin längst nicht mehr besteht, beengt und ihr Ansehen bei den Völkern mindert. Die Armen! Um Schutz gegen ihre mißverstandenen Völker (die nur die Arme ausstrecken, um sie in Liebe zu umarmen, nicht aber, wie sie wähnen, um sie von ihren Thronen herabzustürzen) zu erlangen, entkleiden sie sich selbst ihrer Macht und betrachten die Fesseln, die ihnen angelegt werden, als hehren Schmuck. – Mittermaier, mein alter Lehrer

  1. Sylvester Jordan ist in dem kleinen Weiler Omes bei Innsbruck (am 30. December 1792) geboren, wo sein Vater ein armer Schuhmacher war.
  2. Derselbe Hassenpflug hatte vorher versucht, dem gefürchteten Volksvertreter „hinterrücks beizukommen“, ihn moralisch unmöglich zu machen. Zu diesem Behufe mußten feile Dirnen zu Hülfe genommen werden, von denen eine einen Landtagsdeputirten, der „mit Jordan identisch“ sein sollte, als gute Kundschaft angab. Darauf hin ließ der Herr Minister durch dritte Hand Jordan warnen, zum Landtage nach Kassel zu kommen weil sonst „die Staatsregierung sein sittliches Betragen dem Publicum bloß stellen würde“. Jordan würdigte den Brief keiner andern Beachtung, als daß derselbe ihn erst recht bestimmte, die Wahl zum Landtag anzunehmen. – Solche Thaten verdienten es, daß ihr Urheber, als das damalige preußische Reactions-Ministerium ihn in seinen Dienst berief, vom ganzen Volk zurückgewiesen wurde als „der Hessen Haß und Fluch“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_726.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)