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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


rühmst, habe ich nichts entdecken können, ein Beweis, daß Deine Phantasie Dir wieder einen Streich gespielt hat. Es geschieht Dir das oft, und daher kommt es, daß Deine Bewunderung nie lange Stand hält. Ich hoffe, sie wird auch dieses Mal schnell genug verfliegen.“

„Hoffe das nicht, Tante Siddy! Dieses Mal wird meiner Bewunderung keine Ernüchterung folgen. Du sollst es erleben, daß ich meinem stattlichen Preußen unwandelbare Treue bewahre?“

„Das würde mir Deinetwegen Sorgen machen, Paula,“ erwiderte Fräulein Sidonie.

„Natürlich, Tante, denn wann hättest Du Dir nicht Sorge gemacht? Heute bejammerst Du meine Flatterhaftigkeit und morgen meine Ausdauer. Wann wirst Du doch aufhören, Kummer und Herzeleid über Deine ungerathene Nichte zu fühlen?“

„Wahrscheinlich erst dann, wenn ich Dich glücklich im Hafen sehe und mein schwieriges Amt auf die Schultern eines Anderen abwälzen kann.“

„Nun denn, Tantchen, freue Dich! Ich will Dir vertrauen, daß Du diesem Ziele nie näher gewesen bist, als eben jetzt.“

„Paula, ich warne Dich – rede solche Thorheiten auch selbst im Scherze nicht! – oder solltest Du Dich mit Charles verständigt haben?“

„Meine Schuld ist es nicht, daß er mich nicht schon lange verstanden hat; ich habe es an Deutlichkeit nicht fehlen lassen.“

„Du hast ihn in der That schlecht genug behandelt. Ich, an seiner Stelle, hätte mir das nicht gefallen lassen.“

„Ich auch nicht, Tante!“

„Er hat eben dadurch seine große Gutmüthigkeit und seine Liebe zu Dir bewiesen.“

„Liebe, Gutmüthigkeit!“ rief Paula mit einem verächtlichen Zucken ihres hübschen Mundes, „sage lieber: Habsucht und Feigheit! Wenn er ein Mann wäre, so hätte er mir schon lange stolz den Rücken kehren und seiner Wege gehen müssen.“

„Er harrt aus, weil er Dich liebt, Kind.“

„Tante, Du sprichst Dinge, die Du selbst nicht glaubst, die Dir Tante Clemence vorgesprochen hat. Du weißt es ebenso gut wie ich, daß er nicht mich, sondern nur mein Geld liebt. Fort mit ihm! Ich mag ihn nicht. Ich möchte ihn nicht zum Manne haben, auch wenn er der Einzige seines Geschlechts auf der Welt wäre.“

„Gott im Himmel, Paula, was soll daraus werden? O, ich sehe schreckliche Zeiten voraus.“

Tante Sidonie, welche während dieses Gespräches unruhig im Zimmer auf und nieder gegangen war, blieb jetzt vor ihrer Nichte stehen und blickte ihr kummervoll in’s Gesicht. Ihre rathlose Miene und die ängstliche, nervöse Hast ihrer Bewegungen standen in seltsamem Contrast zu dem heiteren, zuversichtlichen Lächeln auf dem Antlitze der hübschen Nichte und der ruhigen Sicherheit ihrer Haltung. Sie hatte sich einen Sessel an das Teleskop gerückt und von Zeit zu Zeit mit sichtlichem Interesse hineingeblickt.

„Sorge Dich nicht, Tantchen!“ sagte sie jetzt, ihren Kopf wieder emporhebend und mit beruhigendem Lächeln zu ihrer Tante hinüberblickend. „Du siehst ja, wie ruhig und zuversichtlich ich bin. Ende dieses Jahres werde ich majorenn, das heißt so viel als: meine Person wird dann von der Bevormundung der Tante Clemence und mein Vermögen von der Verwaltung des Herrn Kayser frei. Dann heißt es: Es lebe die Freiheit!“

„O, daß ich Dich so sprechen hören muß! – Und was gedenkst Du denn mit Deiner Freiheit anzufangen? Willst Du etwa den langen Preußen heirathen?“

„Setzen wir den Fall, ich hätte Lust dazu – was dann, Tantchen?“

„Was dann? Nun, das bedeutet so viel, als, Du treibst Deine arme alte Tante aus Deinem Hause,“ sagte Fräulein Sidonie unter strömenden Thränen, während sie sich ihrer Nichte gegenüber setzte, als hätten ihre Füße plötzlich die Kraft verloren, sie zu tragen. „Wenn ich es erleben müßte, daß jener preußische Abenteurer, von dem alle Welt weiß, daß er ruinirt ist oder es doch wenigstens in kürzester Zeit sein wird – wenn ich es erleben müßte, ihn hier als Herrn und Gebieter schalten zu sehen – mir müßte das Herz brechen.“

„Glaube doch das nicht, Tante Siddy! Es hat schon so oft brechen wollen und ist dennoch immer hübsch ganz und heil geblieben. Du wirst Dich mit Deinem stattlichen Neffen schon aussöhnen.“

„Niemals, niemals! Ich werde gehen, so weit mich meine Füße tragen.“

„Das wird nicht gar so sehr weit sein. – Aber“ –und sie schaute mit der Miene hoher Befriedigung in das Glas – „da ist Er. – Ich sehe Ihn. – Wie das meinem Herzen wohlthut!“

„Daß Du Dich nicht schämst, so zu sprechen!“

„Da kommt er die Balcontreppe hinab mit seinem festen Soldatentritt; er geht Arm in Arm mit einer Dame den Mittelgang hinab; er beugt sich zu ihr nieder – Tante, willst Du nicht sehen, wie hübsch und vornehm er aussieht?“

„Du bist eine Närrin, Paula. Laß mich in Ruhe!“

„Und wenn ich denke, daß es nicht mehr lange dauern wird, bis Du so an seinem Arme einhergehen wirst! – Kleines Tantchen, ich sehe voraus, daß Du dann um einen Kopf größer wirst aus freudigem Stolze.“

„Es haben sich schon ganz andere Leute, als Du, mit ihren Prophezeiungen getäuscht.“

„Es wird allerdings nicht ganz bequem für ihn sein, Dich zu führen, denn Du reichst ihm kaum bis an den Ellenbogen. Aber ich glaube, er ist sehr gutmüthig – starke Männer sind das immer; er wird sich schon dazu verstehen, sich Deinem Schritte anzubequemen.“

„Gutmüthig! Anbequemen! – Nun, ich gelobe es Dir an: ich werde seine Gutmüthigkeit nicht auf die Probe stellen.“

„Gelobe Nichts, Tantchen, gar nichts! Du wirst Deinem Gelübde doch untreu.“

„Nun, das wollen wir doch sehen,“ rief Tante Sidonie, indem sie sich entschlossen erhob und vor ihre lachende Nichte hintrat, die, nachlässig in den Sessel zurückgelehnt, mit halbgeschlossenen Augen zu ihr hinüberblinzelte. „Ich weiß, daß Du von jeher ein Kobold gewesen bist, der seine Freude daran hatte, verständige Menschen in die Irre zu führen; deshalb will ich noch hoffen, daß Deine Faseleien nicht Viel zu bedeuten haben. Aber ein Fünkchen Wahrheit pflegt ihnen doch zu Grunde zu liegen – und deshalb will ich Dir meinen festen, unabänderlichen Entschluß mittheilen. Merke Dir’s, Kind: sobald ich irgend ein Einverständniß zwischen Dir und jenem norddeutschen Räuber bemerke –“

„Wahre Deine Zunge! Selbst von seiner Tante würde er eine solche Kränkung seiner Ehre nicht geduldig hinnehmen.“

„So packe ich meine Sachen,“ fuhr Fräulein Sidonie unbeirrt fort, „und verlasse dieses Haus.“

„Tante, Tante! Mache mich nicht unglücklich!“

„Ich weiß wohl, daß Du Dir aus mir nicht viel machst,“ und die Stimme der alten Dame fing wirklich an zu zittern, „aber meine Abwesenheit würde sich doch bald genug fühlbar machen. Wie hier die Wirthschaft gehen soll, wenn ich sie nicht in Ordnung halte, das möchte ich sehen. Du hast Dich nie um irgend Etwas bekümmert. Du bist so nachlässig und sorglos und läßt jedes Ding liegen, wo Du es gebraucht hast. Wenn ich nicht Alles unter Schloß und Riegel hielte – was würde dann werden? Dir könnte man Deine Sachen vom Leibe stehlen, ohne daß Du es merktest.“

„O, im Winter doch wohl,“ schaltete die Nichte ein.

„Und was die Tafelvorräthe anbelangt – den Zucker und die Conserven und den Wein und den Thee – da wird dreimal so viel verbraucht werden als jetzt, Du hast keine Idee vom Haushalten. Denke daran, wie oft Du den Schlüssel in der Cassette hast stecken lassen – wie oft ich ihn abgezogen und Dir gebracht habe!“

„Damit hat’s keine Noth, Tantchen. Den Schlüssel der Cassette wird Er schon in der Tasche behalten.“

„Soll ich das etwa so verstehen, daß ich mir das Wirthschaftsgeld von ihm soll zuzählen lassen?“

„Es wird sich nichts Anderes thun lassen, Tante Siddy.“

„Nun, ehe ich das erlebe, lieber mag Alles zu Grunde gehen!“ rief die alte Dame in großer Erregung. „Und das soll der Lohn sein für alle meine Liebe und Treue?“

„Nein, Tantchen, so soll es nicht sein, eine so ungerathene,

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