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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Ihr allein habt mich niemals zum Besten gehalten,“ murmelte sie vor sich hin. Ihr Auge trübte sich; aber dennoch konnte man hindurchsehen und auf dem Grunde ihrer Seele etwas für die Naturgeschichte höchst Merkwürdiges wahrnehmen – die Libelle fühlte Gewissensbisse.

Leider wurde sie in dieser sehr nützlichen Selbsterkenntniß unterbrochen. Ritter Huy hatte sich ihr genähert, und er kam ihr gerade gelegen, um einen Theil dessen, was sie drückte, auf ihn abzuladen.

„Der arme Prinz!“ seufzte sie, ihn vorwurfsvoll anblickend. „Ihr habt ihm übel mitgespielt.“

„Und Ihr habt dabei 'mitgespielt',“ gab er lächelnd zurück.

„Gott sei's geklagt! Ihr waret der Versucher.“

„Als Euch um Euren Kopf bangte. ... Ein günstiger Augenblick!“

„Jetzt bangt mir um meine Seele.“

„Schrecklich! So bin ich Euch wirklich der – Böse?“

„Aus Geldern,“ ergänzte sie schlau lächelnd.

Hugo stutzte.

„Woher glaubt Ihr?“

Mit geheimnißvoller Miene neigte sich Adelheid zu seinem Ohre.

„Ihr sprachet mit dem Hauptmann leise, aber ich verstand dennoch jedes Wort, denn ... ich kenne die Geldernsche Mundart.“

„Und das ist Alles?“ lachte, als ob er sich erleichtert fühle, der Cavalier.

Aber die Hofgewandte kannte nur zu gut solche Finten, und sich selbst nach alter Hofregel den Anschein gebend, als wisse sie noch viel mehr, als sie wußte, drohte sie:

„O, wenn es Euch unverfänglich dünkt, so will ich sogleich der Herzogin melden, was ihr sicher von Werth –“

Sie brach ab und machte Miene zu gehen. Hugo erschrak. Schnell vertrat er ihr den Weg.

„Pst! Halt! Ihr werdet mich nicht verrathen wollen.“

„Was hindert mich?“

„Ich wäre verloren, und Ihr mit mir.“

„Bah, die alten Schreckmittel!“

„Was muß ich thun, daß Ihr schweigt? Nur bis diesen Abend? Adelheid!“

Wieder erbebte ihr Herz bei dem Namen; wieder trat das wunderbare Leuchten in ihr Auge. Jetzt oder nie,“ sagte sie sich, und ihm mit tiefem Blicke in's Auge sehend, sprach sie, jedes Wort betonend:

„Ihr müßt überzeugt sein, Ritter, daß ich bin, wofür Ihr mich haltet.“

„Ich will's,“ rief Hugo in der ersten Aufwallung des Entzückens, aber selbst jetzt noch hatte er genug Gewalt über sich, um leicht hinzuzufügen: „... versuchen.“

„Er ist Dein,“ jubelte ihr Herz dem Davoneilenden nach, denn der Page war gekommen, ihn zu rufen; Maximilian hatte ihn zu sich entbieten lassen.

„Nachdem ich jetzt die Lage übersehe,“ begann Maximilian, als er auch Huy seinem Kriegsrath zugesellt sah, „so finde ich keinen Grund, noch zu schwanken. Die Aussichten Cleve's auf seinen Sohn sind glücklich vereitelt. Wir reiten nach Gent.“

„Um Gott, Maximilian!“ fiel ihm Maria bestürzt in's Wort. „Bedenke, die Thore sind von den Cleveschen besetzt. Und kämen wir auch hindurch, wie wolltest Du Dich der Tausende des Pöbels erwehren, die dem Herzoge anhängen? Stelle Dir vor, auf den Straßen Gents woget es so dicht vom Gedränge des Volkes, daß die Mütter am Feierabend ihre Kinder heraufrufen, damit sie nicht erdrückt werden. Und gar heute, wo Alles zum Feste geladen ist! Nein, nein, Du kennst Cleve nicht; er wird das Mißgeschick seines Sohnes an Dir rächen; Dein Leben wäre in Gefahr.“

„Wolle doch nicht von mir sprechen, Maria!“ entgegnete Maximilian fast unwillig. „Dir Deinen Thron wieder zu erobern, bin ich gekommen. Und so Jemand zu diesem Ziele einen besseren Weg weiß, möge er reden.“

„Könnten wir uns, wenn Gent also feindlich ist, nicht lieber nach Lüttich werfen?“ meinte Herberstein. „Dort, nahe der deutschen Grenze, sammeln wir leicht ein Heer aus dem Reich, und Kaisers Majestät wird es an Beistand nicht fehlen lassen.“

„Oh bella!“ murmelte abseits halblaut der Junker. „Verkehrt, den Schwanz statt des Zaumes in der Hand.“

„Wir hätten die Fürstin mit uns, hätten die Krone,“ ergänzte der Alte mit zornigem Seitenblick.

„Nein, Alter,“ fiel Maximilian ein, „Deine Sorge um mich trübet Dir den Blick. Nicht zu gedenken, daß der Bischof von Lüttich zu Frankreich hält – sollte ich mit der Herrin dieser Lande vor dem Clever fliehen? Wirst Du den Adler kriechen lehren? Nein, Ehrenhold, wer aus einem Geschlecht entsprossen, das seine Ahnen bis Noah hinaufleitet, den gelüstet es wohl, des Weges zurückzublicken, aber er gehet ihn nicht.“

„Und Ihr thut wohl daran, Herr,“ fiel Hugo ein. „Das eine Wort: 'die Herzogin geflüchtet' gälte in Gent gleich ihrer Abdankung. Burgund ginge an Frankreich; die Vierstaaten gingen an Aufrührer verloren. Nein, Herr, in Gent ist der Thron, und Gents Thore stehen Euch offen.“

„Offen?“ rief Maria.

„Vergaßet Ihr, gnädiges Fräulein, daß auf Euren Befehl die Rüststücke und Abzeichen der entwaffneten Cleve'schen an die gleiche Zahl der Geldern'schen abgegeben wurden?“

Mit großen Augen sahen Alle von Hugo auf Maria und von Maria wieder auf Hugo, der ihr das einfachste aller Zaubermittel mit einer Natürlichkeit zugeschoben hatte, die kaum an der Wahrheit zweifeln ließ.

„Laß Dich umarmen, Maria!“ rief entzückt Maximilian. „O wie Du Dich verstellen konntest! Ich wußte es ja: Alles, Alles kommt von Dir. Der geheime Schutzgeist bist Du selber.“

„Nicht doch, nicht doch!“ wehrte Maria. Und wie selbst über etwas Unmögliches noch nachsinnend, fuhr sie mit der Hand über die Stirn:

„Auf meinen Befehl, sagt Ihr, Ritter?“

„So meldete mir der Hauptmann,“ versicherte Hugo.

„Dann kommt's vom 'Hugh',“ flüsterte sie der Aebtissin zu, und entsetzt schlug die fromme Frau ein Kreuz.

Maximilian aber deutete auf die sich röthenden Wolken im Westen.

„Komme es von wem es wolle,“ rief er, „sehet da den letzten Sonnenstrahl! Jede Minute ist kostbar. Lasset uns eilen! Mein Herz ist voll Siegeszuversicht.“

Und schon rüsteten sich Alle zum Aufbruch und selbst Maria's banges Herz fühlte sich durch den frischen Zuspruch zu froher Hoffnung gehoben – da, als solle des Wechsels an diesem Tage kein Ende sein, kam ein zweiter Hauptmann eilig daher gestürzt.

„Habt Acht, Ihr Herren, habt Acht!“ rief er schon vom Fußpfade aus. „Die Cleve'schen Reiter auf der Straße gen Brüssel sind plötzlich umgekehrt. Schon sind sie nahe der Abtei. Der Rothbärtige ist an ihrer Spitze, und Allen vorauf reitet der Prinz im vollen Jagen auf Gent.“

„Verrath!“ schrie Herberstein.

„Verrath!“ wiederholten Alle.

„Also doch!“ rief Max, krampfhaft die Faust ballend, mit der Bitterkeit schmählich getäuschten Vertrauens. „Ich hätte mein Leben für ihn verwettet. Aber sei es drum! Wohlan denn, zu Pferde, und braucht Eure Sporen! Es gilt den Wettritt um die Krone! Und sagt das Sprüchwort wahr: 'Gott verläßt keinen Deutschen', so verläßt er auch keinen deutschen Kaiserssohn.“

Nicht zwei Minuten, und die Pferde waren auf den Verbindungsweg geführt. Von den Segenswünschen der Aebtissin begleitet, saß der Trupp auf und sprengte bald in rasendem Galopp die Heerstraße nach Gent zu. Dämmerung war angebrochen; schon konnte das Auge nichts mehr erkennen, aber dicht hinter ihnen scholl es wie von Hufschlägen der Cleve'schen Reiter.




5. Der „Hugh“.

Im Hofraume des Fürstenhofes zu Gent lag auf der dem Portale gegenüberliegenden Seite ein Erdsaal, die im alten Stile erhaltene Trinkhalle der früheren Grafen von Flandern. Eine doppelte Galerie gedrungener romanischer Pfeiler zwischen Rundbogengewölben, welche laubenartig rings den weiten Hof einfaßten, vertiefte sich hier zu einer länglichen Halle, die, auf drei Seiten geschlossen, das Licht durch den offenen Säulengang erhielt. Ihre Decke bestand aus einem Kreuzbogengewölbe, das nach der Hofseite zu auf den thierkopfverzierten Würfelcapitälen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_703.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)