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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)



Meine süßen kleinen Lämmer.

Meine süßen kleinen Lämmer,
Meine lieben Herzensschäfchen
Tummeln lustig sich im Garten,
Eine übermüth’ge Heerde.
Meine Aelteste mit blauen
Himmelstiefen Märchenaugen –:
Jahre hat sie noch nicht viere,
Doch ein holdes Plappermäulchen,
Gold’ne seidenweiche Haare
Und zwei elfenflinke Füßchen.
Und zu commandiren weiß sie;
Halb in Jubel halb in Thränen
Muß die zweite Schwester folgen,
Die mit ängstlich süßen Blicken,
Mit dem feinen Angesichtchen
Und der dunkelblonden Haarfluth.
Ach, und erst mein kleiner Tolpatsch,
Meine Jüngste, meine Dümmste,
Mit dem selbstbewußten Lächeln,
Mit den dicken Wackelbeinchen
Wackelt nach den ältern Schwestern
Voller Fürwitz, bis sie daliegt
Auf dem allerliebsten Näschen,
Oder rückwärts gar sich hinsetzt,
Wie sich große Leute setzen.

Meine süßen kleinen Lämmer,
Euer Spiel ist Euer Alles,
Aber wenn der Vater heimkommt,
Wie so schnell ist’s doch vergessen!
Ihm entgegen jauchzt das Völkchen,
Streckt nach ihm die lieben Händchen,
Schmiegt an ihn sich um die Wette,
Schaut ihn fragend an und sinnend
Mit den großen Kinderaugen.
Aber meinen kleinen Tolpatsch,
Meine Jüngste, meine Dümmste
Nehm’ ich selber auf die Kniee,
Und sie schlingt die runden Aermchen
Um den Hals mir fest und fester -
Ach, so lieb hat sie den Vater!

Meine kleinen süßen Lämmer,
Theurer, als der Erde Schätze
Eurem Vater, Eurem Hirten!

Könnt’ er doch die Güter alle
Eures Paradieses wahren,
Eurer Wange lichte Rosen,
Eure Taubenunschuld hüten,
Daß Ihr wachset, frisch und fröhlich,
Schön an Leib, am Geiste schöner!
Könnt’ er fern von Euch das Böse,
Wie das Leid des Lebens wenden,
Daß kein Schmerzenshauch die holden
Ahnungslosen Züge trübte!

Daß, wenn einst der Stab des Führers
Gleitet aus den müden Händen,
Wenn der Erde letzte Schatten
Weh’n um Eures Vaters Stirne,
Eure lichten Bilder treten
Zwischen ihn und alle Schrecken,
Sanfter sich die Seele löse
In der ruhigen Gewißheit
Eures Friedens, Eures Glückes,
Meine süßen kleinen Lämmer!

Gustav Weck.




Die Vernunft, in Theile getheilt. Die Betrachtungen, die sich an die von einem gelehrten Philosophen neuerdings vorgeschlagene Eintheilung der Vernunft in acht Achtel knüpfen lassen, ergeben das überraschende Resultat, daß der normale und tüchtige Mensch nur zur Hälfte vernünftig, zur anderen Hälfte aber unvernünftig ist. Schon die ganz allgemeine Ansicht, daß, wo Licht ist, auch Schatten sein müsse, legt einen Beweis dafür ab, daß man absolute Vollkommenheit Niemandem zutraut. Dasjenige Wesen, dem man sie zuschreiben könnte, Christus, wird in Folge dessen auch für Gottes Sohn gehalten. Gestehen wir diesem also acht Achtel Vernunft, das heißt den absoluten und ungetheilten Besitz dessen, was das Göttliche im Menschen ausmacht, zu und sehen uns nach der Kategorie um, der wir sieben Achtel Vernunft beimessen können! In diese Classe würden etwa die größten Geister aller Nationen unterzubringen sein: Sokrates, Sophokles und Shakespeare, Goethe und Schiller, Gesetzgeber wie Moses, Gelehrte wie Kant. In die nächste Classe, sechs Achtel, kämen etwa Feldherren wie Alexander der Große und Cäsar, Friedrich der Große und Napoleon der Erste, Staatsmänner wie Richelieu und Bismarck, ferner ausgezeichnete Gelehrte, die alle nur in gegebenen Verhältnissen, ihren Zeitgeist verstehend, Geistesgröße entwickeln, nicht, wie die vorige Classe, außerhalb ihres Zeitgeistes, diesem voranschreitend. Die nächste Classe würde Leute enthalten, die noch über dem Niveau gewöhnlicher geistiger Tüchtigkeit stehen, Leute, die neben sonstiger Tüchtigkeit sich noch durch ein Talent, eine Fähigkeit von den anderen brauchbare Menschen unterscheiden: bewährte Schriftsteller, wie etwa Charles Dickens, Karl Gutzkow, Walter Scott und Andere, bedeutende Musiker und Componisten, Maler, Künstler etc.

Die folgende Classe, also zur Hälfte absolute Vernunft, würde mithin tüchtige brauchbare Kräfte, sowohl auf materiellem wie auf geistigem Gebiet enthalten, das heißt den normalen Menschen. Darauf folgt drei Achtel Vernunft; auch hier sind noch ganz tüchtige Leute zu finden, von denen Niemand sagen wird, sie seien unverständig, sie haben aber schon etwas an sich, das ein wenig anstößt, etwas Sonderbares, Eckiges, auffällige Antipathien oder Sympathien. In die Classe von zwei Achtel gehören dagegen solche, mit denen man schon nicht gern zu thun hat, bei denen man im Zweifel ist, ob sie nicht wirklich geisteskrank seien – schon ein Theil dieser, sowie die ganze Classe mit ein Achtel Vernunft, machen die Bevölkerung der Irrenhäuser aus. Die nächste Classe 0/8, würde also die absolute Unvernunft repräsentiren, sie entzieht sich aber unserem Verständniß, da selbst im äußersten Wahnsinn der göttliche Funke nicht ganz erloschen ist.

Daß viele Geisteskranke einzelne überaus geniale Ideen haben, ist kein Beweis dafür, daß sie mehr als zwei bis drei Achtel Vernunft hätten: sie haben aber vielleicht das sechste ober siebente Achtel, ohne die ersten zu haben. Und hierauf ist auch der Umstand zurückzuführen, daß so viele geniale Menschen zu Grunde gehen: sie, die vollauf Eigenschaften höherer Kategorien haben, verderben, weil ihnen die für das Leben nothwendigen Eigenschaften des Drei- oder Vier-Achtel-Menschen fehlen.

J. R.




Zur Weinlese im Rheinland. (Mit Abbildung S. 677.) Das goldene Maß der Traube ist ein Schalk: schon mancher fröhliche Mann hat davon eine gelinde Schwindeligkeit auf ebenem Wege verspürt. Derselbe hätte nicht mit der Winzerin gehen dürfen, welche die feinsten Zugaben zum rothen Labsal von steiler Höhe zu Thal bringt. Wir befinden uns vor unserem Bildchen im Ahrthal, der romantischen Quelle des berühmten Ahrbleichert; denn so wurde dieser Wein nach seiner blaßrothen Farbe genannt, wie sie ehedem durch das Keltern vor der Gährung erzeugt wurde. Jetzt ist er durch die Kelterung nach der Gährung dunkler geworden, läßt sich aber seinen alten Namen noch gefallen. Das ganze Thal giebt in guten Jahren etwa zwanzigtausend Ohm Ahrbleichert; die große Masse Weines desselben Namens, welche mehr getrunken, als gebaut wird, soll zum Theil in den schönen Wäldern wachsen, wo die Heidelbeeren gedeihen.

Wer den Rhein in Remagen verließ, sucht eiligst bis Ahrweiler zu gelangen, wo die wilde Herrlichkeit des Ahrthals erst beginnt. Die felszackenreichen Berge treten an beiden Gestaden des Ahrflüßchens immer enger zusammen und bieten dem Maler manchen Stoff. Noch freundlicher besorgen dies die Wirthsmädel. Aber auch Sage und Geschichte lassen ihn nicht leer ausgehen von der Landskron bis Walporzheim und von Altenahr bis zur Hohen Acht der Eifel, welche die Mutter der Ahr ist.

In diesem Thal hebt man von selbst die Blicke in die Höhe, und bei dieser Gelegenheit fällt Einem nicht nur manches der riesigen Firmenschilde der Weinbergsbesitzer an den Felswänden, sondern hie und da auch ein Fleckchen Weinberg in’s Auge, das wie an den Schieferfels angeklebt erscheint. Man staunt, wie ein Menschenkind dahinauf kommen soll, um dort den Weinstock zu pflegen, und fragt sich, wie dasselbe von da droben die Frucht herunter bringen will. Unser Bild giebt die Antwort. Solche hohe kleine „Wingerten“ werden oft mit großer Mühe erhalten. Man baut Mauern und Strebepfeiler auf, um dem wenigen Erdreich festen Halt zu geben, und läßt sich keine Mühe verdrießen, das hohe Gut zu pflegen, dafür lohnt es aber auch, wenn der Herbst gnädig ist, denn die hier gewonnenen Trauben gehören zu den besten und werden vorzugsweise zur Veredelung der Weine von den tieferen guten Lagen verwendet, falls sie nicht als Tafeltrauben ihr näheres Ziel erreichen. Bewundernswerth ist die Fertigkeit, welche die Winzerinnen in dem Tragen ihrer Körbe entfalten; der steilste Pfad bringt sie nicht aus der Balance; ja, oft tragen sie mehrere derlei Körbe über einander auf dem Kopfkissen und bringen sie mit ihrem elastischen und vorsichtigen Schritt wohlbehalten an’s Ziel.

Welcher Bursche wohl dieses Jahr unser Winzermädchen ersteigert hat? Denn im Ahrthal werden in den Dörfern von den Burschen unter dem Vorsitz eines Schöffen alle Mädchen an je die Meistbietenden verauctionirt. Dies geschieht am Vorabend des 1. Mai; jeder Bursche errichtet dem von ihm ersteigerten Mädchen einen Maibaum und ist bis zur neuen Versteigerung ihr Tänzer und Gesellschafter. Und wenn’s „der Rechte“ ist, der unsere Winzermaid angesteigert hat im Mailehen, dann wissen wir wenigstens sicherlich, daß sie auf ihrem gefährlichen Pfad rechts die Traube für den festhält, den sie links im Herzen trägt.



Kleiner Briefkasten.

B. T. in Metz. Sie irren. Noch nicht alle Lützow’schen Officiere sind zum großen Appell versammelt worden. Wenigstens bewahrt Thüringen noch einen und wohl den ältesten Waffenbruder Theodor Körner’s. Das ist derselbe Langethal aus Berlin, von welchem wir schon im Jahrgang 1867 der „Gartenlaube“ (S. 581) erzählt haben, daß er, freudig Verzicht leistend auf glänzendere Aussichten, es vorzog, sich seinen Freunden und Kampfgenossen Friedrich Fröbel und Wilhelm Middendorf zur Gründung der berühmten Erziehungsanstalt Keilhau bei Rudolstadt (1817) anzuschließen. Nach längerem Aufenthalte auswärts führte ihn doch die Sehnsucht zu seiner lieben Schule in Thüringen zurück, und hier ist der siebenundachtzigjährige Greis, obwohl des Augenlichts beraubt, noch heute, nach sechszig Jahren, als Lehrer thätig. Wer ihm dort die Hand drücken oder ihm brieflich seinen Gruß bieten will, der findet den alten Helden als den Herrn Archivdiaconus Langethal.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_680.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)