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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


was in der Weibernatur des Erhaltens werth ist, durch eine gelehrte Schulbildung gänzlich verdorben wird, Männer, die gleich mir ein Grauen vor Frauenzimmern haben, die sich mit philosophischen Problemen beschäftigen und in fremden Zungen parliren.“

Er hatte im Eifer des Gespräches seine Stimme immer mehr erhoben und die letzten Worte so laut gesprochen, daß die Dame, welche, eben aus dem Garten kommend, die Stufen zum Balcon emporstieg, sie gehört haben mußte. Ein leises Lächeln glitt über ihr Gesicht und ruhte noch darauf, als sie mit einer anmuthigen Verbeugung über die Schwelle trat. Fast in demselben Augenblicke hob die Stutzuhr auf dem Kamine aus und schlug acht Schläge. Ihr antworteten pünktlich andere Uhren draußen auf dem Fabrikhofe und in verschiedenen Zimmern des Hauses in näherer oder weiterer Entfernung.

„Willkommen, Herr Kayser! Ich sehe, ich habe warten lassen,“ sagte Marie Reinhard.

„Unsere Schuld, ganz allein unsere Schuld, mein Fräulein! Sie erscheinen mit dem Glockenschlage, pünktlich wie immer, pünktlich und unfehlbar wie – wie – wie eine Sonnenuhr.“

„Das ist ein zweifelhaftes Lob, mein Herr,“ entgegnete sie lächelnd. „Eine Sonnenuhr ist nur in heiteren Tagen zuverlässig. Ich hoffe, daß ich's auch in trüben bin.“

„Also, wie der beste englische Chronometer, wenn Ihnen das besser gefällt.“

„Wohl, das lasse ich gelten. – Aber bitte, nehmen Sie Platz!“

Sie hatte ihren breitrandigen Strohhut und ihre Gartenhandschuhe abgelegt und trat jetzt an den Theetisch, die Tassen und das Geräth darauf ordnend.

Sie war eine anmuthige Erscheinung, wenn auch nicht mehr in der ersten Blüthe der Jugend stehend. Das helle Sommerkleid umfloß eine schlanke, schöngerundete Gestalt. Ueber einer Stirn, die etwas zu hoch war, um vollkommen schön zu sein, war das glänzende hellbraune Haar schlicht gescheitelt und am Hinterhaupte in zwei dicken Flechten aufgesteckt. Der Ausdruck ihres Antlitzes sprach mehr von geistiger Kraft und Reife, als von mädchenhafter Lieblichkeit und Milde. Aber alle ihre Bewegungen waren leise, ruhig und graziös, und man empfing bei ihrem Anblicke den Eindruck der vollkommenen Harmonie eines schönen Gleichmaßes, aus welchem sie durch äußere Einflüsse nicht leicht herausgeschreckt werden dürfte. Und dennoch, obgleich ihre Stimme ruhig und klar klang und ihr Lächeln seine gewöhnliche Freundlichkeit zeigte, dennoch nahm ihr Bruder die Spur einer Gemüthsbewegung in ihrem Gesichte wahr. Er that jedoch keine Frage und begnügte sich, sie mit einem raschen, forschenden Blick zu betrachten. Dann nahm er seinen Platz neben seinem Gaste am Theetisch ein.

„Ich glaube, Fräulein Reinhard, es ist das dritte Mal in dieser Woche, daß ich Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehme,“ begann Kayser das Gespräch.

„Ich habe Ihre Besuche nicht addirt – wenn es sich aber so verhält, so möchte ich das für ein gutes Zeugniß nehmen, das Sie mir und meinem Theetische ausstellen,“ antwortete sie lächelnd.

„Sie können mir aber glauben, daß ich Ihre kostbare, so vielfach in Anspruch genommene Zeit“ – er warf einen spöttischen Blick nach dem Büchertische – „Ihnen nicht schmälern würde, wenn ich nicht durch Geschäfte dazu gezwungen wäre.“

„Durch diese Erklärung strafen Sie mich für meine vorschnelle Eitelkeit,“ entgegnete sie.

„Herr Kayser ist heute übler Laune, Marie. – Was in aller Welt hat Sie denn so gewaltig verstimmt, Herr Nachbar?“ fragte Reinhard.

„Und das fragen Sie – Sie, der alle meine Bemühungen zu Schanden macht, der jedes kluge Vorbeugen von sich weist und uns zwingt, Tag für Tag auf einer Pulvermine zu wandeln, die uns Alle im die Luft sprengen kann?“

„Das ist es nicht, lieber Herr, wenigstens ist es das nicht allein. Ihre Stirn zeigte schon schwere Wolken, ehe sich noch unsere Meinungsverschiedenheit herausgestellt hatte. Ich weiß, daß ich einen Theil der Schuld trage, aber die ganze auf mich zu nehmen, dagegen sträube ich mich mit Recht.“

„Es scheint, als ob sich Alles und Alle gegen mein Behagen und gegen meine Bequemlichkeit verschwören. Von nah und fern werden Angriffe auf meine Ruhe gemacht.“

„Sind Sie etwa wieder auf unbequeme Weise daran erinnert worden, daß Sie Vormund einer reichen Erbin und außerdem Onkel einer jungen Schönheit sind?“

„Schönheit! Das fehlte nur noch. Ich hoffe, sie bildet sich dergleichen Dummheiten nicht ein. Schöne Frauenzimmer, oder solche, die sich einbilden, es zu sein, sind mir stets am unerträglichsten gewesen. Sie wollen immer gestreichelt, immer umschmeichelt werden. Sie setzen voraus, daß man stets Rücksicht auf sie nehmen, stets an ihre Bedürfnisse oder ihr Amüsement denken muß.“

„Rücksichten, Herr Kayser, beanspruchen nicht nur schöne Frauen. Jede Frau ist berechtigt sie von einem gebildeten Manne zu fordern,“ sagte Marie, sich in's Gespräch mischend.

„Ich weiß nicht, geehrtes Fräulein, was Sie unter ‚Rücksichten‘ verstehen. Sind Sie der Meinung, daß ein Mann stets Opfer bringen, stets sein eigenes Behagen dem der Frauen unterordnen soll, so protestire ich dagegen. Ich für meinen Theil werde meine Pflicht gegen meine Nichte für erfüllt halten, wenn ich ihr Wohnung, Nahrung und Kleidung gebe. Im Grunde,“ fügte er nach einer Pause mit ironischem Lächeln hinzu, „im Grunde – was verlangen die Frauen auch mehr? Gut logirt, gut genährt und vor allen Dingen gut angethan zu sein – das ist die Summe ihrer Lebensbedürfnisse.“

Auf Mariens Wange erschien eine leichte Röthe, und in ihrem braunen Auge leuchtete ein Strahl des Unwillens auf.

„Es scheint nicht gerathen, näher auf die Art einzugehen, wie Sie derartige Erfahrungen gesammelt haben,“ sagte sie mit einer stolzen Hebung ihres zierlichen Kopfes. „Sie haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn man den Werth Ihrer weiblichen Bekanntschaften nicht eben hoch anschlägt.“

Er blickte von seinem Teller auf und schaute mit einiger Ueberraschung in ihr Gesicht, das jetzt zum ersten Male den Ausdruck gleichmäßiger Freundlichkeit abgelegt hatte. Ein grimmiges Lächeln flog über seine Züge.

„Ich bin ein dickfelliger Bursche, geehrtes Fräulein, und kann einen Stoß vertragen,“ sagte er behaglich. „Geniren Sie sich nicht! Es gereicht mir zu ganz besonderer Freude, mich Ihnen als Ableiter für jede häusliche Verdrießlichkeit anbieten zu können.“

Es lag, als er so sprach, ganz unverkennbar der Ausdruck einer jovialen Gutmüthigkeit auf seinem Gesichte und in seiner Stimme. Dazu zwinkerten seine Augen so lustig unter seinen buschigen Brauen hervor und bekundeten so deutlich einen raschen Umschwung seiner üblen Laute, daß auch Marie einen Theil ihres Zornes schwinden fühlte. Sie entsann sich plötzlich, schon mehrmals die Bemerkung gemacht zu haben, daß Herr Kayser ganz besonders lustig und umgänglich geworden war, wenn er durch eine seiner cynischen Bemerkungen sie zu einer Aeußerung ihres Unwillens gereizt hatte. Sie gelobte sich, ihm fernerhin diese Freude nicht wieder zu machen.

„Und was war’s, das Sie außer meiner Halsstarrigkeit noch verstimmt hat?“ fragte Reinhard, der ein schweigender, aber sehr belustigter Zuhörer dieses kleinen Wortgefechts gewesen war. „Hat etwa Ihre Mündel wieder Vorschüsse verlangt? Hat sie Ihnen angezeigt, daß sie sich in Baden langweile und zurückzukehren gedenke, oder was ist sonst geschehen?“

„Nein – dem Himmel sei Dank! – von der bin ich für’s Erste erlöst. Die ist gut aufgehoben und amüsirt sich jetzt in der Straßburger Gegend. Das Unheil kommt von einer anderen Seite. Da schreibt mir meine Nichte in einem ganz lächerlichen Briefe, daß sie nicht länger im Institute bleiben könne. Sie hat, wie sie schreibt, schon dreimal den Cursus auf der Selecta durchgemacht und kann dort nichts mehr lernen. Sie will zum Herbste eine Stelle als Lehrerin annehmen. Dieser Unsinn! Als ob sie, weil es dort nichts mehr zu lernen giebt, gleich einen Ort verlassen muß, wo sie zum Heile für mich und sie so gut aufgehoben war! Sie könne mit gutem Gewissen nicht länger das theure Erziehungsgeld von mir annehmen. Als ob ich nicht gern das Doppelte und Dreifache zahlen würde, wenn sie nur bliebe, wo sie ist, und mich mit solch unsinnigen Projecten nicht behelligte!“

„Sie sind kein sehr liebenswürdiger Onkel, Herr Kayser,“ sagte Marie.

„Habe auch durchaus nicht die Absicht, einer zu sein,“ entgegnete der Gast mit verbindlichem Lächeln. „Beabsichtige indessen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_663.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)